Die Finanzpolitik darf nicht überfordert werden. Sie ist kein Allheilmittel.
Zahlreiche Fachleute vertreten die Ansicht, die Geldpolitik sei als wirtschaftspolitische Stimulans weitgehend verbraucht. Das ist wohl zutreffend. Nun muss es für eine wachsende Zahl von Ökonomen und Politikern die Finanzpolitik richten, deren Verschuldungsspielräume angesichts sehr niedriger Zinsen vermutlich weitreichender sind als bisher vermutet.
Im einzelnen soll expansive Finanzpolitik eine Rezession verhindern, durch mehr staatliche Investitionen Deutschland modernisieren, den niedrigen Zins steigern, konservativen Anlegern mehr Bundesanleihen als sichere Anlagen bereitstellen und dazu beitragen, die im Ausland häufig kritisierten deutschen Leistungsbilanzüberschüsse zu reduzieren.
Wünschen kann man sich gerade zum Jahreswechsel vieles. Aber mit der Realität hat das wenig zu tun: Expansive Finanzpolitik ist ein vor allem in Krisen hilfreiches Instrument. Als wirtschaftspolitische Allzweckwaffe taugt sie nicht – ebenso wenig wie die Geldpolitik.
Die Renaissance der Finanzpolitik wirkt auf den ersten Blick erstaunlich, da sie in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich als ein wenig taugliches Instrument eingeschätzt worden war. Mit der Finanzkrise und der Debatte um eine säkulare Stagnation und ein dauerhaft sehr niedriges Zinsniveau hat sich der Blick, nicht zuletzt durch Arbeiten von Olivier Blanchard und Larry Summers, verändert. Diese Debatte ist nun auch in Deutschland angekommen, wo sie durch die kaum umstrittene Diagnose eines Bedarfs an öffentlichen Investitionen befeuert wird.
Gegen die Forderungen nach einer expansiven Finanzpolitik regt sich auf unterschiedliche Weise Widerstand. Ein unter anderem vom Ordoliberalismus vertretenes Argument lautet, die Berechtigung zu einer deutlich höheren Neuverschuldung ermögliche es dem Staat, Geld nicht nur sinnvoll für Investitionen auszugeben, sondern mit Blick auf Wahlen Konsumausgaben auf Pump zu finanzieren. Das ist nicht falsch, solange es nicht als Totschlagsargument gegen jede Form von Staatsverschuldung verwendet wird.
Die Befürworter einer höheren Verschuldung entgegnen, man müsse halt dafür sorgen, dass der Staat bevorzugt Investitionen finanziere. Das lässt sich aber nicht so einfach gewährleisten: Der Wähler zeigt bisher keine große Neigung, Regierungen zu bestrafen, die viel Geld für Sozialleistungen und wenig für Investitionen ausgeben. Und gesetzliche Regeln, die wie früher in Deutschland die Höhe der Neuverschuldung an die Höhe der Investitionen banden, leiden unter einer schwer kurierbaren Unbestimmtheit des Investitionsbegriffs.
Ein anderes Argument gegen expansive Finanzpolitik besagt, sie werde nicht zu höheren Investitionen beitragen, weil fehlendes Geld nicht den Engpass darstelle. Zum einen seien die staatlichen Investitionen in den vergangenen Jahren gestiegen, aber dennoch würden viele Gelder, die der Staat bereit stelle, nicht abgerufen. Denn viele öffentliche Investitionen scheitern an extrem langen Genehmigungsverfahren sowie am Widerstand gut organisierter Gegner etwa von Verkehrsprojekten. Manche Projekte befinden sich seit Jahrzehnten in der Planung, werden aber nicht umgesetzt.
Drittens verweisen Gegner einer expansiven Finanzpolitik auf fehlende Arbeitskräfte. Viele Investitionsprojekte erforderten den Einsatz von Bauarbeitern und Handwerkern, aber jeder Privatmann, der rasch einen Handwerker benötigt, weiß, wie leergefegt der Markt ist. Dem würden manche Befürworter expansiver Politik entgegenhalten, die richtige Antwort auf voll ausgelastete Märkte im Inland wären steigende Löhne, um Arbeitskräfte aus dem Ausland anzulocken.
Das Argument, öffentliche Investitionen scheiterten nicht am Geld, wird von Befürwortern einer expansiven Finanzpolitik allenfalls für den Bund und die Länder akzeptiert, aber nicht für die Kommunen, auf die ein nicht geringer Anteil öffentlicher Investitionen entfällt und von denen viele hoch verschuldet sind. Gegen die Idee, in einer Art „Stunde Null“ diese Kommunen vom Bund oder den Ländern entschulden zu lassen, regt sich allerdings vielfältiger Widerstand. Zum einen verschwinden die Schulden nicht, sie werden von einem anderen Teil des Staates übernommen. Hinzu tritt wieder das Argument der Fehlanreize: Es müsste verhindert werden, dass die entschuldeten Kommunen künftig wieder unsolide mit Geld umgehen und sich ausschließlich auf solide finanzierte und nützliche Investitionsprojekte konzentrieren. Aber wie soll das gewährleistet werden?
Auch die Finanzierungsmöglichkeiten entzweien Befürworter und Gegner einer expansiveren Finanzpolitik. Die Gegner sehen Potential ohne neue Schulden, indem unnötige Subventionen abgebaut und die Konsumausgaben des Staates auf Einsparungen durchforstet werden. So könnten Gelder mobilisiert werden, ohne die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse anzutasten. Die Befürworter halten dies nicht für ausreichend, sondern vertreten die Ansicht, angesichts negativer Renditen auf Bundesanleihen seien die Konditionen für schuldenfinanzierte Investitionen außergewöhnlich günstig. Sie sagen auch, dass sich durch die Ausgabe langfristiger Anleihen der Niedrigzins für lange Zeit festschreiben lasse und der Staatshaushalt so gegen etwaige Zinserhöhungen in den kommenden Jahren zumindest zu einem guten Teil abgeschirmt werden könne.
Richtig an diesem Argument ist, dass die Behauptung, ein Zinsanstieg bringe in kurzer Zeit Haushalte an den Rand des Zusammenbruchs, nicht zutrifft. Zinserhöhungen beträfen nur neue Anleihen, aber nicht den Bestand an mit Festzins schon ausgegebenen Anleihen.
Andererseits unterstellt expansive Finanzpolitik implizit, dass der Staat seine fällig werdenden Anleihen durch die Ausgabe neuer Anleihen ersetzen kann. Für Länder mit einer guten Bonität ist das naheliegend, aber nicht sicher. Niemand weiß, wie die Nachfrage nach Staatsanleihen künftig aussieht. Nicht eindeutig wären auch die Effekte einer expansiven Finanzpolitik in Deutschland auf die Konjunktur im Rest Europas sowie auf die deutsche Leistungsbilanz. Und auch der zinssteigernde Effekt zusätzlicher öffentlicher Ausgaben müsste sich erst einstellen: Die jüngeren Erfahrungen aus den Vereinigten Staaten sind nicht so klar.
Was bleibt? Die Welt ist weder schwarz noch weiß. In einer Rezession sollte die Finanzpolitik eine aktive Rolle spielen können – insofern wird das Konzept der „Schwarzen Null“ in allen Lebenslagen von kaum einem Ökonomen geteilt. Aber wir befinden uns nicht in einer Rezession. Daneben existiert wohl ein Bedarf an öffentlichen Investitionen, der sich aber nicht einfach durch eine Finanzpolitik mit der Gießkanne beseitigen ließe. Schnellere Genehmigungsverfahren und die Nutzung vorhandener finanzieller Spielräume haben Priorität. Daher besteht auch kein Anlass, die Schuldenbremse abzuschaffen.