Wer die Technik versteht, verdient mehr Geld. Aber nicht unbedingt auf Dauer.
Wer viel verdienen will, der muss in die IT-Branche gehen – so heißt es landläufig. IT-Fachleute sind überall gesucht. Auch wer einfach Daten analysieren kann, hat Chancen auf hohe Löhne. Und wer gar Experte für Künstliche Intelligenz ist, für den sind sechsstellige Einstiegsgehälter überhaupt kein Problem, so sagt man. Der amerikanische Polit-Kommentator Charlie Sykes hat die Lage schon vor Jahren in einem einfachen Satz zusammengefasst: „Sei nett zu Nerds, vielleicht arbeitest du mal für einen.“ Doch all diese Legenden können täuschen. Die Gehälter der Nerds sind nicht zwangsläufig dauerhaft so gut, wie man anfangs denkt.
Das wird erst allmählich deutlich, denn die langfristigen Folgen des IT-Booms lassen sich erst nach vielen Jahren beobachten. Die Zahl der Informatik-Studenten beispielsweise hat sich allein in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Erst in der Langfrist-Beobachtung zeigt sich, was passiert, wenn ein nennenswerter Teil eines Jahrgangs tatsächlich in der Informationstechnik landet – und wie sich seine Gehälter auf Dauer entwickeln.
Das haben nun zwei Ökonomen von der Management-Universität HEC in Paris und der Princeton-Universität in New Jersey untersucht. Sie nahmen sich die Gehälter der Leute aus der Informations- und Telekommunikationsbranche vor, die während der New-Economy-Blase der späten 90er Jahre angefangen haben zu arbeiten. Anfangs lief das auch so, wie jeder denkt: Wer 1998 in der ITK-Branche sein Berufsleben begann, der verdiente mehr als in anderen Branchen. Durchschnittlich lagen die ITK-Gehälter fünf Prozent über den anderen. Anfangs eilten die IT-Experten ihren Gleichaltrigen noch weiter davon. Doch bald wuchsen ihre Gehälter nur noch langsam. Seit 2005 verdienen die IT-Experten dieser Generation unterdurchschnittlich. 2015, im letzten Jahr der Studie, nahmen die ITK-Leute sieben Prozent weniger ein als die anderen. Über die vielen Jahre aufsummiert, gleichen die frühen hohen Verdienste die späteren niedrigen Verdienste nicht aus: Insgesamt liegen die IT-Leute vier Prozent unter den anderen. Woran liegt das?
Warum verdienen IT’ler später weniger?
Die beiden Autoren testen drei Thesen. Die eine: Nach der Blase wurden viele IT-Experten wieder entlassen. Wer sich eine neue Stelle suchen musste, musste sich vielleicht mit einem niedrigen Gehalt zufriedengeben. Das allerdings war nicht der Fall. Die Auswirkungen von Arbeitgeberwechseln auf das Gehalt waren zu vernachlässigen, niedriges Gehaltswachstum geschah vor allem während Arbeitsverträge liefen. Die zweite These: Weil während des Booms so viele Leute aus einer Generation auf den Arbeitsmarkt kamen, wurde es vielleicht später schwieriger, eine Beförderung zu bekommen. Auch diese Hypothese stellte sich als falsch heraus. Offenbar brauchten die Unternehmen für mehr Mitarbeiter auch mehr Chefs, jedenfalls hatten Arbeitnehmer aus der Boom-Zeit in der Boom-Branche eine ebenso große Chance, Chef zu werden, wie andere Arbeitnehmer.
Es gibt allerdings noch zwei bemerkenswerte Beobachtungen. Erstens: Die Gehälter der IT-Experten, die schon vor der Blase auf den Arbeitsmarkt kamen, verliefen so ähnlich wie die ihrer späteren Kollegen – sie wuchsen bis in die Blase hinein, dann allerdings begannen sie zu stagnieren und blieben hinter dem Wachstum in anderen Branchen zurück. Zweitens: Die ganze besprochene Lohnstagnation traf nur die Technik-Experten in der ITK-Branche. Manager und Betriebswirte konnten ihre Gehälter weiter steigern.
Deshalb spekulieren die Forscher über eine dritte Erklärung für die geringen Löhne: Das Lernen. Im Boom waren bestimmte Fähigkeiten besonders gefragt – während der New-Economy-Blase war es zum Beispiel interessant, schöne Websites ins Internet stellen zu können. Viele IT-Experten eigneten sich das an. Doch die Technik entwickelte sich weiter. Bald waren Handy-Apps der letzte Schrei, später die Künstliche Intelligenz. Mit alldem müsste man mithalten, aber diese Neuerfindung schaffen viele IT-Experten nicht: Ihr Wissen veraltet, und zwar viel schneller als in anderen Branchen. Deshalb schaffen sie es nicht, ihre Gehälter so zu steigern wie die anderen.
Andere Erklärungen für das geringe Gehalt in der ITK-Branche
Das ist eine plausible Erklärung, aber nicht die einzige. Es ist nämlich schon eine Weile bekannt, dass mathematisch-technische Fähigkeiten allein noch kein hohes Einkommen garantieren. Das wurde in den Jahren seit den späten 90ern immer eklatanter. In den 20 Jahren vor 1999 hatten die Gehälter für Nerds noch deutlich angezogen, wie die Ökonomin Catherine Weinberger erst vor wenigen Jahren berechnete. Die weitaus höchsten Verdienste gab es allerdings damals schon für diejenigen, die sich eben nicht nur mit der Technik auskannten, sondern zudem soziale Fähigkeiten hatten. Im Jahr 1979 hatte diese Kombination noch überhaupt nichts gebracht, doch 1999 schon war es vorteilhaft, wenn man mit der Technik nicht nur umgehen, sondern das auch anderen Leuten näherbringen konnte oder ein Team von Technikern erfolgreich leiten konnte.
Nach dem Jahr 2000 sind die sozialen Fähigkeiten immer wichtiger geworden, hat Harvard-Ökonom David Deming ermittelt. Er hatte Daten von mehr als 12000 Amerikanern. Diese wurden schon in ihrer Jugend gefragt, ob sie eher schüchtern oder eher extrovertiert waren und ob sie an vielen Schul-AGs teilnahmen, die in Amerika eine viel größere Rolle spielen als in Deutschland. In den Jahren danach gaben die Befragten immer wieder ihr Gehalt an.
Demings Bilanz war deutlich: Wer sich nur mit Technik auskennt, hatte kleinere Gehaltssteigerungen. Die größeren Lohnerhöhungen bekamen die Menschen, die mehr soziale Fähigkeiten hatten. Das überrascht niemanden, der die Platitude kennt, dass es gerade die Menschlichkeit ist, die der Computer noch nicht ersetzen kann. Zwar reichen soziale Fähigkeiten für Spitzenverdienste heute nicht immer aus: Das Gehalt in Sozialberufen bleibt noch weit hinter den IT-Gehältern zurück. Doch der neue Trend wird schon deutlich. Zu den gesuchtesten Leuten überhaupt, die inzwischen leicht streiken und in der Hoffnung auf eine Gehaltserhöhung den Arbeitgeber wechseln können, gehören inzwischen soziale Berufe, zum Beispiel Erzieher oder Krankenpfleger. Je länger dieser Mangel andauert, desto eher werden Menschen mit diesen Berufen in der Lage sein, ihre Gehälter weiter zu steigern.
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