Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Streit um die Schulden

 
Mehr Staatsschulden könnten dafür sorgen, dass Sparer wieder Zinsen bekommen. Darüber diskutieren deutsche Ökonomen seit Jahren engagiert.
 

Der Ausbruch der Corona-Krise und die Bereitschaft der Regierungen, zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen die Staatsverschuldung kräftig steigen zu lassen, hat eine zuvor gerade unter deutschen Ökonomen engagiert geführte Debatte in den Hintergrund gedrängt, die allerdings bald wieder aufleben dürfte. Es geht um die Bestimmungsgründe der sehr niedrigen Zinsen und die sich daraus möglicherweise ableitenden Folgen für die Politik.
 
Speziell geht es um eine Situation, in der sich der Zins unter der Rate des wirtschaftlichen Wachstums befindet und in der es den Menschen schwerfällt, adäquat für das Alter vorzusorgen, weil es ihnen an sicheren Kapitalanlagen mangelt. Ökonomen bezeichnen eine solche Situation als “dynamische Ineffizienz”. Pionierarbeiten dazu sind mehr als ein halbes Jahrhundert alt und stammen von den Nobelpreisträgern Paul Samuelson und Peter Diamond.

In Deutschland hat in den vergangenen Jahren vor allem Carl Christian von Weizsäcker die Debatte über die Möglichkeit einer nachhaltigen und nicht nur kurzfristigen Situation “dynamischer Ineffizienz” mit eigenen Arbeiten und der Gründung eines Diskussionsforums angeregt.1) Von Weizsäcker vertritt die These, dass unter anderem aus demographischen Gründen die Sparneigung der Menschen den Zins unter null drückt, weil die Ersparniswünsche nicht auf eine adäquate private Investitionsnachfrage treffen und auf diese Weise ein “Vorsorge-Albtraum” entsteht.2) Von Weizsäckers Remedur besteht in einer Verschuldung des Staates, die tendenziell den Zins steigert und den Menschen in Gestalt von Staatsanleihen sichere Kapitalanlagen bereitstellt.

Die theoretische Ökonomen besonders interessierende Frage lautet: Ist eine Situation nachhaltiger “dynamischer Ineffizienz” mit der Vorstellung einer Marktwirtschaft vereinbar? Im deutschen Sprachraum lehnt vor allem Stefan Homburg dies ab.3) Das Argument lautet vereinfacht: Wenn es einen nicht vermehrbaren Produktionsfaktor wie Land gibt, der als Kapitalanlage zur Verfügung steht und dessen Rendite der Rate des Wirtschaftswachstums entspricht, kann der Zins nicht dauerhaft unter der Rate des Wirtschaftswachstums bleiben. Denn dann wäre es naheliegend, Kredite zum niedrigen Zins aufzunehmen, um das Geld in das höher rentierliche Land zu investieren. Diese Kreditaufnahmen sorgen für ein Ansteigen des Zinses bis zur Rate des Wirtschaftswachstums. “Da Land offensichtlich einen wichtigen Teil der Vermögen darstellt, scheint das Argument nahezuliegen, dass es überhaupt keinen Sinn hat, überhaupt nur zu diskutieren, ob heutige oder frühere Erfahrungen die These nahelegen, dass wir uns in einem durch ,dynamische Ineffizienz’ gekennzeichneten Gleichgewicht befinden”, schreibt dazu Martin Hellwig.

Aus der Analyse Homburgs leiten sich zwei wichtige Schlussfolgerungen ab: Der sehr niedrige Zins in unseren Zeiten kann kaum das Ergebnis fundamental wirkender Kräfte wie der Demographie sein. Vielmehr ist zu vermuten, dass er vor allem durch (geld-)politische Manipulationen zustande kommt. Zweitens ist eine Politik der Staatsverschuldung zur Überwindung eines “Vorsorge-Albtraums” nicht nur unnötig; sie ist möglicherweise sogar schädlich, zum Beispiel wenn damit sinnvolle private Investitionen verdrängt werden. Das ist ein Grund, warum eine zunächst rein theoretische Position, aus der sich eine ablehnende Haltung gegenüber der Staatsverschuldung ableiten lässt, auch für Ökonomen attraktiv ist, die Staatsverschuldung eher aus politökonomischen Gründen ablehnen. Die Position bietet zudem Futter für Ökonomen, die der seit einigen Jahren betriebenen Geldpolitik kritisch gegenüberstehen.

Über die Tauglichkeit der Positionen von Weizsäckers und Homburgs ist unter Ökonomen mehrere Jahre engagiert diskutiert worden. Es fällt leicht, Gründe anzuführen, warum in der Praxis Land eine mit Staatsanleihen nicht leicht vergleichbare Anlagekategorie darstellt. Bundesanleihen gibt es in kleinen Stückelungen auch für wenig betuchte Sparer; Land ist dagegen nicht so einfach teilbar. Von Weizsäcker verweist zudem darauf, dass Land leichter besteuerbar ist als Kapitalvermögen, weil es sich nicht einfach ins Ausland transferieren lässt. Auch die Gefahr einer Enteignung ist bei Land größer als bei Kapitalvermögen.

Mit Verweis auf praktische Probleme ließe sich Homburgs Position durchaus als realitätsfremd zurückweisen. Aber so ticken nicht alle Ökonomen. Der Verweis auf eine im Vergleich zur Theorie abweichende Realität würde so manchen Forscher nicht befriedigen. Ein Theoretiker akzeptiert nur eine theoretische Widerlegung seiner Position. Daher hat sich Hellwig die Position Homburgs noch einmal genauer angeschaut. In einem kürzlich veröffentlichten Arbeitspapier gelangt Hellwig zu dem Schluss, dass die These vom Land als einer Kapitalanlage, die “dynamische Ineffizienz” zuverlässig verhindert, nicht mehr vorausgesetzt werden kann, sofern in die Analyse etwas eingebaut wird, was mit Kapitalanlagen in Land üblicherweise verbunden ist: Transaktionskosten.

Solche Kosten verhindern beispielsweise in Deutschland die breite Auflegung von Fonds für Kleinanleger, die sich gerne an Wald beteiligen würden. Kosten entstehen, weil Land häufig nur zusammen mit Immobilien erworben werden kann, wodurch sehr verschiedenartige Objekte entstehen. Hellwig zeigt theoretisch, dass Land nicht mehr als Argument herangezogen werden kann, um grundsätzlich die Möglichkeit “dynamischer Ineffizienz” zu bestreiten, wenn Kosten angenommen werden, die proportional zum Wert von Land sind. Er betont aber auch, dass sich aus dieser Erkenntnis nicht zwingend von Weizsäckers Forderung nach mehr Staatsverschuldung aufdrängt.4)

Diese Debatte mag angesichts der starken Zunahme der Staatsverschuldung eher etwas für Spezialisten sein. Aber die Frage, was den Zins antreibt, ist mit der laufenden Krise nicht obsolet geworden. Sie wird sich auch künftig stellen. Schon heute diskutieren Ökonomen, was die Krise mit dem Zins macht. Sorgt die stark steigende Staatsverschuldung für einen steigenden Zins? Halten ein ausgeprägtes Vorsichtsparen der Menschen und der Zwang für Unternehmen, Kredite zurückzuzahlen, den Zins unten? Welche Rolle spielt die Geldpolitik? Droht eher eine Deflation oder eine Inflation? Oder bleibt es bei niedrigen Inflationsraten? Auch über diese Diskussionen werden wir berichten.

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1) Von Weizsäcker hatte die deutsche Debatte vor zehn Jahren mit einem Beitrag in der F.A.Z. (“Das Janusgesicht der Staatsverschuldung”) eröffnet. Ein zusammen mit Hagen Krämer im vergangenen Jahr erschienenes Buch (“Sparen und Investieren im 21. Jahrhundert”) fasst die Forschungen zusammen.

2) Die Frage, warum die Zinsen seit Jahrzehnten im Trend fallen, haben wir in FAZIT häufig behandelt, zum Beispiel hier und hier und hier.

3) Homburg hatte im Jahre 1991 die seiner Doktorarbeit entstammende Position in einem Artikel im Canadian Journal of Economics (“Interest an Growth in an Economy with Land”) zusammengefasst, wo sie ausweislich der Zitierungen seitdem aber nur wenig gelesen wurde. Leichter zugänglich dürfte eine vor wenigen Jahren in einer deutschen Fachzeitschrift publizierte Arbeit (“Overaccumulation, Public Debt and the Importance of Land”) sein, die sich kritisch mit den Thesen von Weizsäckers auseinandersetzt.
 
4) Kurz vor Ausbruch der Corona-Krise hatten  Rüdiger Bachmann und Christian Bayer in der F.A.Z. (“Her mit den Schulden”) für mehr Staatsverschuldung geworben, um höhere Zinsen zu erreichen. Gegen ihre Argumentation wandte sich, auch in der F.A.Z., Tom Krebs (“Sind Staatsschulden Selbstzweck?”).