Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der schönste Politiker im ganzen Land? “Jan Ralf Nolte, Jan Ralf Nolte”, wird der Zauberspiegel aktuell wohl verkünden. Schließlich wurde der 31 Jahre alte AfD-Politiker vor zwei Jahren zum attraktivsten Kandidaten bei der Bundestagswahl 2017 gekürt. Der Düsseldorfer Soziologe Ulrich Rosar hatte in einer aufsehenerregenden Studie alle 1786 weiblichen und männlichen Direkt- und Spitzenkandidaten nach ihrem Aussehen bewerten lassen. Der Berufssoldat und Landesvorsitzende der Jungen Alternative Hessen gewann erst diese Wahl – und zog dann auch über die Landesliste in den Bundestag ein.
Alles nur Zufall, weil Wahlerfolg nichts mit dem Aussehen zu tun hat, sondern eher an anderen Faktoren hängt wie Bekanntheit, Sympathien, bestimmten Inhalten und Kompetenz? Keineswegs. Eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Studien zeigt: Gutaussehende Kandidaten, seien es Frauen oder Männer, bekommen bei Wahlen mehr Stimmen. Dieser Effekt wurde in empirischen Studien in Australien, Brasilien und Mexiko, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Japan, der Schweiz und den Vereinigten Staaten nachgewiesen. Und wie die Experimente eines amerikanischen Forscherteams um Douglas J. Ahler zeigen, ist dieser Zusammenhang nicht dem Zufall geschuldet, sondern ein kausaler Effekt, also ein Ursache-Wirkung-Zusammenhang. Das heißt: Ein attraktives Äußeres steigert tatsächlich die Chancen auf einen Wahlerfolg.
Was unfair klingt, ist statistisch vielfach belegt: Schöne Menschen finden leichter einen Partner und leichter einen Job. Sie haben ein erfüllteres Sexleben, haben es erst leichter in der Schule und verdienen dann mehr Geld. Auch erhalten sie mehr Zuwendung und haben einen höheren sozialen Status. Und: Das alles fängt schon bei den Allerkleinsten an. Nicht nur schauen sich bereits Babys schöne Gesichter länger an als weniger schöne. Auch schenken Mütter schönen Neugeborenen mehr Aufmerksamkeit.
Was wir als schön einstufen, ist dabei nicht rein subjektiv. Das haben Umfragen gezeigt. Rosars Untersuchung zum Beispiel basierte zwar nur auf der Befragung von jeweils zwölf männlichen und zwölf weiblichen Testpersonen. Doch in ihren Antworten zeigte sich ein starker Konsens. Für die Repräsentativität seiner Attraktivitätsanalyse, argumentiert der Forscher, mache es keinen Unterschied, ob man zwanzig oder zwanzigtausend Personen befrage. Und in der Tat: Diese recht hohe Übereinstimmung in der Bevölkerung, welche Menschen als attraktiv gelten, ist durch etliche Studien belegt.
Ausschlaggebend für unser Schönheitsempfinden ist die sexuelle Anziehungskraft. Offenbar hat sich das im Zuge der evolutionären Strategien, bei denen es um die Fortpflanzung mit “fitten” Partnern und die Weitergabe “guter” Gene geht, tief in die menschlichen Gehirne eingebrannt. Frauen werden demnach als schön eingestuft, wenn sie jugendlich und “gebärfähig” erscheinen. Und unter Männern wirken die stark und dominant Aussehenden besonders attraktiv.
Der Neurowissenschaftler Anjan Chatterjee spricht in seinem Buch “The Aesthetic Brain” von einem “Schön-ist-gut-Stereotyp” in unserem Gehirn. Das heißt, wir neigen dazu, schönen Menschen prinzipiell gute Eigenschaften anzudichten. In weniger als einer Sekunde fällen wir unser Urteil über das Aussehen eines Menschen. Andere Merkmale wie Alter, Sympathie oder Freundlichkeit werden von diesem Attraktivitätsurteil überstrahlt. Chatterjee spricht von einem “Halo-Effekt”, wobei “Halo” auf Englisch für Heiligenschein steht. Dieses Schubladendenken hat sich das Gehirn aus Effizienzgründen angewöhnt. So lassen sich die Eindrücke am schnellsten einordnen. Instinktiv reagieren deshalb die meisten von uns auf attraktive Menschen positiver. Und sie schreiben ihnen automatisch gute Eigenschaften wie Intelligenz, Kompetenz oder Liebenswürdigkeit zu.
Für die Demokratie sind solche Erkenntnisse beunruhigend. Mehrere Wissenschaftler haben in der Vergangenheit die Sorge geäußert, dass dieser starke Einfluss von Äußerlichkeiten auf die Wahlergebnisse die Inhalte verdrängen könnte. Gerade bei Direktwahlen sei das bedenklich. Der Soziologe Markus Klein von der Universität Hannover etwa befürchtet, dass sich vor allem populistische Parteien den Effekt zunutze machen und zur Steigerung ihrer Stimmanteile bewusst gutaussehende Kandidaten ins Rennen schicken könnten.
Doch ist das aus parteitaktischen Gründen wirklich eine gute Idee? Eine neue Studie der Ökonomen Niklas Potrafke, Marcus Rösch und Heinrich Ursprung sät Zweifel daran. In ihrer systematischen Untersuchung verschiedener Wahlen in Deutschland kommen sie zum Ergebnis, dass sich politische Parteien das Aussehen ihrer Kandidaten weder bei direkten noch bei indirekten Wahlen zunutze machen. Und nicht nur das: Sie fanden zudem Hinweise darauf, dass ihnen ein hoher Anteil an Schönen in ihren Parteien unter Umständen sogar Schwierigkeiten bereitete. In offenen Abstimmungen ohne Fraktionszwang wichen die Gutaussehenden deutlich häufiger von der innerparteilichen Konsensposition ab als ihre weniger attraktiven Kollegen. Zuverlässige Parteisoldaten sind sie also eher nicht.
Für ihre Parteifreunde dürfte das besonders enttäuschend sein. Denn wie die amerikanischen Ökonomen James Andreoni und Ragan Petrie schon vor einem guten Jahrzehnt gezeigt haben, sind unsere Erwartungen an attraktive Mitmenschen besonders hoch.
Andreoni und Petrie untersuchten Spiele, in denen die Probanden zusammen an einem gemeinsamen Gewinn arbeiten sollten. Die Spiele waren so gestaltet, dass höhere individuelle Einsätze den Gesamtgewinn steigerten, jeder Teilnehmer aber Anreize hatte, sich selbst nicht zu beteiligen, sondern als Trittbrettfahrer von den Einsätzen anderer zu profitieren. Interessanterweise erwarteten die Versuchspersonen von den Attraktiven die höheren Einsätze. Und die Schönen? Ihre Beiträge waren im Schnitt nicht höher als die der anderen Teilnehmer. Doch auch mit Blick auf die enttäuschten Erwartungen zahlt sich gutes Aussehen aus. Denn attraktive Menschen werden in der Regel milder beurteilt und ihre Vergehen eher verziehen.
Für einen Politiker wie Jan Ralf Nolte, der es bislang nur noch ein weiteres Mal in den Fokus der Öffentlichkeit schaffte, weil er einen rechtsextremen Soldaten als Mitarbeiter beschäftigt haben soll, ist das doch keine schlechte Aussicht.
Literatur:
Gaßner, A., Masch, L., Rosar, U., Schottle, S.: “Schöner wählen: Der Einfluss der physischen Attraktivität des politischen Personals bei der Bundestagswahl 2017”. Erschienen in: Die Bundestagswahl 2017.
Potrafke, N., Rösch, M., Ursprung, H.: “Election systems, the ,beauty premium’ in politics, and the beauty of dissent”. European Journal of Political Economy, im Erscheinen.
Andreoni, J., Petrie, R.: “Beauty, gender and stereotypes: Evidence from laboratory experiments”. Journal of Economic Psychology, 2008, 29 (1), S. 73-93.