Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Britische Revolution

Zentralbanken kaufen Anleihen, als gäbe es kein Morgen mehr. Das hat keine Zukunft. Die Bank of England denkt schon heute an eine Zeit, in der sie Anleihen verkaufen wird.

Die Bank of England könnte der geldpolitische Trendsetter unserer Zeit werden. Denn als sie – wie andere Zentralbanken – kürzlich eine Aufstockung ihres Anleihekaufprogramms beschloss, stimmte ihr Chefvolkswirt Andy Haldane gegen diese Entscheidung. Das allein war noch nicht revolutionär, auch wenn Haldane seit langem als einer der anregendsten Denker unter den Geldpolitikern gilt. Für eine regelrechte Überraschung sorgte dann aber vor ein paar Tagen der neue Gouverneur der Bank of England, Andrew Bailey, mit seiner Ankündigung, im Rahmen einer späteren Normalisierung der Geldpolitik plane die Bank den Verkauf von Staatsanleihen, noch ehe sie den Leitzins erhöhen werde. Die Nachrichtenagentur Bloomberg sprach von einem “dramatischen Wandel”.
 
Sollte Bailey seinen Ankündigungen im Zuge einer späteren wirtschaftlichen Erholung Taten folgen lassen, wäre dies bemerkenswert.
Wertpapierkäufe von Zentralbanken sind aus der Sicht wohl der allermeisten Ökonomen aus wirtschaftlicher Sicht ein legitimes geldpolitisches Instrument – jedenfalls in mit ernsten Deflationsgefahren verbundenen Krisen, in denen Zinssenkungen entweder nicht mehr möglich sind oder als alleiniges Instrument nicht mehr ausreichend erscheinen. Auch der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Otmar Issing, hat schon vor rund zwei Jahrzehnten öffentlich darauf verwiesen, dass im Falle des Falles auch die EZB über die Möglichkeit umfangreicher Käufe von Wertpapieren verfügen müsse.

In der Praxis werden Zentralbanken bei umfangreichen Käufen von Wertpapieren am Markt für Staatsanleihen nicht vorbeigehen können, denn die Märkte für Staatsanleihen sind liquider als die Märkte für Unternehmensanleihen. Aus geldpolitischer Sicht hat eine solche Strategie Sinn: Nach empirischen Untersuchungen wirken Anleihekäufe, wenn überhaupt, am ehesten in Krisen. Die von manchen deutschen Ökonomen bis heute vertretene Auffassung, Käufe von Staatsanleihen seien grundsätzlich Teufelszeug, ist in internationaler Betrachtung aus gutem Grund eine Verwunderung erzeugende Außenseiterposition.
 
Beim durchaus nützlichen, vorübergehend eingesetzten Kriseninstrument ist es allerdings nicht geblieben. Und daraus entstehen nicht nur juristische, sondern auch ökonomische Probleme. So fällt auf, dass selbst in wirtschaftlich besseren Zeiten eine deutliche Rückführung der Wertpapierbestände nicht gelingt, weil Zentralbanken auch nach dem Ende von Anleihekaufprogrammen fällig werdende Anleihen durch neue Papiere ersetzen.

In den Vereinigten Staaten beispielsweise hat die Fed im Herbst 2014, also rund fünf Jahre nach dem Ende der Rezession, angekündigt, ihre Anleihebestände nicht weiter aufzustocken. Erst im Herbst 2017, also acht Jahre nach der Rezession, begann sie mit einer vorsichtigen Reduzierung ihrer Anleihebestände – allerdings nicht durch Verkäufe, sondern nur durch den Verzicht auf den Ersatz fällig werdender Anleihen durch neue Papiere. Dieser Prozess dauerte drei Jahre, in denen die Bilanzsumme der Fed zwar von 4,5 auf 3,8 Billionen Dollar sank, im historischen Vergleich damit aber noch sehr hoch blieb. Im Herbst 2019 hörte die Fed damit auf, obgleich die Wirtschaft immer noch wuchs. Mit dem Ausbruch der Corona-Krise und neuen Programmen ist die Bilanzsumme unterdessen auf 7,1 Billionen Dollar gestiegen.

In Europa, wo die EZB später als die Fed mit Anleihekäufen begonnen hat, ist es nicht einmal zu einem vorübergehenden Abschmelzen von Anleihebeständen gekommen. Mittlerweile wachsen sie als Folge der Krise wieder. Die Bank von Japan, die früher als andere Zentralbanken mit Anleihekäufen begonnen hat, schaffte es zwar einmal, über mehrere Jahre ihre Bestände an Staatsanleihen zu reduzieren. Aber dieser Prozess kam 2009 zu einem Halt. Seitdem sind die Bestände an Staatsanleihen von 41 auf 479 Billionen Yen gestiegen. In diesem internationalen Umfeld erstaunt es nicht, dass Andrew Bailey, der Chef der Bank of England, mit seiner Ankündigung von künftigen Verkäufen britischer Staatsanleihen für Aufregung sorgte.

Die unmittelbare geldpolitische Bedeutung sehr großer Bilanzen von Zentralbanken ist unzureichend erforscht. Aber aus einer polit-ökonomischen Sicht besteht die Gefahr, dass die Zentralbanken in eine wachsende Abhängigkeit von Regierungen und Finanzmärkten geraten. Wenn eine Zentralbank wegen steigender Inflationsgefahren ihre Zinsen erhöht, sinken die Kurse umlaufender Anleihen, was besonders jene Banken stark treffen könnte, die umfangreiche Bestände an Staatsanleihen ihres Landes halten.

Zentralbanken machen sich angreifbar, indem sie in einer Welt niedriger Zinsen und Inflationsraten mit Verweis auf eher vage Deflationsgefahren umfangreiche Anleihekaufprogramme lanciert haben. Dies gilt zum Beispiel für die EZB, die in und nach der Finanzkrise von 2009 eher Anlass für ein Anleihekaufprogramm besessen hätte als im Jahre 2015. Zumindest hätte das Programm, als keine Deflation mehr drohte, früher beendet werden müssen. Stattdessen wurde es mit der Begründung fortgesetzt, die Inflationsrate sei zwar positiv, liege aber unter der Zielmarke von knapp unter 2 Prozent. Die Erfahrung zeigt jedoch zweierlei: Erstens lässt sich die Inflationsrate von einer Zentralbank nicht punktgenau auf die Stelle hinter dem Komma steuern. Und zweitens richtet eine Inflationsrate, die 0,8 oder 1,2 Prozent beträgt und damit unter der Zielmarke von knapp unter 2 Prozent liegt, keinen schweren wirtschaftlichen Schaden an.

Mit der expansiven Geldpolitik ist es so gekommen wie mit der expansiven Finanzpolitik. Beide Instrumente sollten in schweren Krisen eine Rolle spielen, aber die Finanzpolitik ist in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern über Gebühr strapaziert worden, so dass heute nicht wenige Länder, die in der aktuellen Krise auf sie zurückgreifen müssten, keine ausreichenden Spielräume mehr haben. Ähnlich ist es mit der Geldpolitik. Expansive Geldpolitik hat in schweren Krisen ihre Berechtigung, und vor allem in einer Situation, in der Leitzinsen nicht mehr gesenkt werden können, müssen Zentralbanken in der Lage sein, Programme zum Ankauf von Wertpapieren aufzulegen. Aber auch dieses Instrument ist durch Überbeanspruchung zur falschen Zeit entwertet worden.
 
Wer es sich erhalten will, wird in einer künftigen Erholung à la Bailey vorgehen müssen: Anleihen darf man auch verkaufen. Weder die Mehrheit des Zentralbankrats der EZB noch die das Hohelied der Anleihekäufe preisenden Chorknaben an Finanzmärkten und in Studierstuben der Ökonomen scheinen das bisher bemerkt zu haben.