Über das neue Experiment zum Grundeinkommen wird in Deutschland schon heftig diskutiert. Hier antwortet einer der Forscher:
Jürgen Schupp, DIW Berlin und Freie Universität
Wir haben die Marke von einer Million Bewerbungen in nur drei Tagen geknackt: Das gemeinsam vom Verein Mein Grundeinkommen und einer Gruppe von unabhängigen WissenschaftlerInnen diese Woche gestartete Pilotprojekt Grundeinkommen übertraf nicht nur unsere Erwartungen, was die mögliche Resonanz in den Medien betrifft, sondern vor allem auch, was die nach statistischen Vorüberlegungen angestrebte „bestmögliche“ Auswahlpopulation unserer Stichprobe betrifft.
Wir waren darauf vorbereitet, Interessierten bis Anfang November – also knapp drei Monate – Zeit zu geben, um sich für die Langzeitstudie zum bedingungslosen Grundeinkommen zu bewerben. Dieses Ziel wurde in noch nicht einmal drei Tagen bereits erreicht. Offensichtlich hatten wir unterschätzt, welchen Nerv das Thema und die Kombination der „Social Entrepreneurs“ des Vereins und eines an der wissenschaftlichen Fragestellung der Wirkung eines Grundeinkommens brennenden Forscherteams trifft. Jetzt kann man natürlich argumentieren, dass die Motivation der über eine Million Bewerbenden ausschließliches Streben nach Lotterieglück sei. Das ist nicht auszuschließen. Aber dieses Geld, das der Verein Mein Grundeinkommen seit Jahren umverteilt, wird von der Zivilgesellschaft – ohne Steuervergünstigungen – seit Jahren „verschenkt“. Dieses prosoziale Verhalten von annähernd 200.000 Spendenden (sog. Crowd-Hörnchen) hat in letzten fünf Jahren dazu geführt, 668 Personen „bedingungslos ein Grundeinkommen für ein Jahr in Höhe von 1000 Euro“ auszuzahlen. Auf diesen Hunderten „anekdotischen“ Vorerfahrungen der Initiatoren konnte unser Forscherteam in der Konzeption, methodischen Umsetzung sowie bei der Fragebogengestaltung des wissenschaftlichen Teils des Pilotprojektes aufbauen, der dann ab Frühjahr 2021 mit der vergleichenden Langzeitbeobachtung starten wird.
Ist die Stichprobe zu klein?
Aber neben der großen öffentlichen Zustimmung werden auch etliche kritische Stimmen laut zu Fragen, die wir uns auch bereits vor dem Start selbst gestellt haben. Die Stichprobe für das Experiment sei mit 120 Grundeinkommensbeziehenden zu klein. Natürlich arbeiten wir als Forschende bei unseren Analysen lieber mit einer Fallzahl von über 1.000 Personen; die statistische Kraft, auch kleine Wirkungseffekte identifizieren zu können, würde dann enorm wachsen. Mit dieser kleinen Fallzahl bedarf es wahrhaft „großer“ Effekte. Um ein Beispiel zu nennen: Erst wenn die Spendenquote bei Grundeinkommensbeziehenden um rund zehn Prozentpunkte in der Teilnahmegruppe innerhalb eines Jahres steigen würde, wäre unsere Hypothese, dass ein Grundeinkommen das prosoziale Handeln signifikant zu steigern vermag, bestätigt und statistisch abgesichert. Wir werden unsere Forschungshypothesen mit unserer vergleichsweise kleinen – aber für wissenschaftliche Feldexperimente keineswegs zu kleinen – Stichprobe selbstverständlich mit dem konkreten Start des Experimentes innerhalb der scientific community transparent machen und wie dies mittlerweile in der Forschung üblich ist prä-registrieren. Und als Forschende werden wir dem Grundeinkommen keine Wirkung zuschreiben, wenn wir nicht in der Lage sind, es auch empirisch belegen zu können.
Wieso nun „nur“ 120 Probandinnen? Weil dies bereits bedeutet, was jede/r mit dem Taschenrechner leicht ausrechnen kann, dass wir damit pro Jahr mehr als 1,7 Millionen Euro „umverteilen“ werden. Mehr als 140.000 Menschen der Zivilgesellschaft sind aktuell bereit, monatlich auf Geld zu verzichten, da sie offensichtliche Sympathien für ein bedingungsloses Grundeinkommen sowie eine wissenschaftliche Begleitstudie dazu haben. Sie ermöglichen es erst mit ihren vielen kleinen Spenden, dass der Verein 120 Personen in die Lage versetzen kann, über das von der Zivilgesellschaft „geschenkte Geld“ bedingungslos verfügen zu können. Ob dessen Verwendung wie Lottogeld erfolgen wird, bleibt eine empirische Frage, die wir bei unserer Forschung auch im Blick haben werden. Sollte es den InitiatorInnen der Studie nun wie angekündigt gelingen, durch einen Spendenaufruf sowie die Öffnung der Studie für mehr als 1 Million Menschen weitere Studienplätze für Grundeinkommensbeziehende und die Vergleichsgruppe für die Forschung bereitzustellen, würde dies die statistische Präzision sowohl bei der Auswahl der Untersuchungsgruppen als auch bei den geplanten Analysen erhöhen. Und auch die Frage einer nie auszuschließenden Selbstselektion bestimmter Personengruppen in das Sample werden wir selbstverständlich bei der Anfang 2021 zu erfolgten Stichprobenbildung bestmöglich empirisch zu lösen versuchen.
Läuft das Experiment zu kurz?
Kann nun ein auf drei Jahr befristetes Projekt überhaupt die Frage beantworten, ob die zentrale Frage, ob nicht doch langfristige „unbeabsichtigte Nebenwirkungen“ im Verhalten auftreten? Dies ist selbstverständlich nicht auszuschließen. Aber wie auch bei Zulassungen von Medikamenten bei pharmazeutischen Wirkungsstudien kann nicht grundsätzlich – aber in der Regel mit sinkender Wahrscheinlichkeit – ausgeschlossen werden, dass es auch nach Abschluss einer Zulassung dennoch zu bis dahin nicht beobachteten Nebenwirkungen im weiteren Verlauf kommen kann. Die mögliche politische Bewertung unserer Forschungsergebnisse wird ohnehin an anderer Stelle vorgenommen werden. Aber wir schätzen uns glücklich, dass wir im Gegensatz zur im letztes Jahr abgeschlossenen finnischen Studie zum Grundeinkommen oder in Kanada abgebrochenen Studie, unsere Langzeitstudie auf immerhin drei Jahre anlegen und hoffentlich auch zum Abschluss bringen können.
Forschung mit der Zivilgesellschaft
Die große vielfältige Resonanz auf unsere Studie sowie die berechtigte Erwartung der Zivilgesellschaft, dass sich die Forschung der Frage widmet, wie praxistauglich und wirksam ein Grundeinkommen ist, motiviert auch uns, bestmögliche handwerkliche Forschungsarbeit zu erbringen. Wir arbeiten, auch um unsere wissenschaftliche Unabhängigkeit glaubhaft nach außen belegen zu können, „ohne Bezahlung“ durch den Verein Mein Grundeinkommen. Natürlich forschen wir – nicht nur – in unserer Freizeit für dieses Projekt, sondern vor allem im Rahmen unserer institutionellen Grundförderung. Und unsere Zuwendungsgeber ermutigen uns seit einigen Jahren, aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft herabzusteigen, um „relevante“ Forschung zu betreiben und den Austausch und den Dialog mit der Zivilgesellschaft aktiv zu suchen. Wissenstransfer ist nämlich schon längst mehr als „nur“ das Verfassen von Pressemitteilungen, also eine kommunikative Einbahnstraße. Zeitgemäßer Wissenstransfer erfordert auch bei Themen, die die Menschen und die Gesellschaft zum Gegenstand haben, Kooperation und Austausch auf Augenhöhe. Für uns Forschende sind sowohl die Spendenden als auch die große Zahl der für die Längsschnittstudie bereitstehenden Bürgerinnen und Bürger im wahrsten Sinne „citizen scientists“.
Bundesforschungsministerin Anja Karliczek setzt sogar Anreize, um den Austausch von Forschenden mit der Gesellschaft zu intensivieren. So unterstützt sie mit einem eigenen Förderprogramm den bereits begonnenen Kulturwandel hin zu einer kommunizierenden Wissenschaft.
Durch die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern aber auch durch die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Vereinigungen wie in unserem Fall dem Verein Mein Grundeinkommen sowie das hohe – selbst internationale – mediale Interesse an dem geplanten Projekt führt dies zu einer wachsenden Auseinandersetzung nicht nur mit den Themen und Forschungsfragen der Wissenschaft, sondern auch mit unserer wissenschaftlichen Arbeitsweise. Unsere Forschung profitiert deshalb vom Wissen der Vielen sowie deren Bereitschaft, uns viele Daten, aber auch enorme finanzielle Ressourcen zur Durchführung unserer Forschung bereitzustellen. Wir als Forschende im Pilotprojekt Grundeinkommen fühlen uns verpflichtet, dieses Vorabvertrauen in wissenschaftliche Erkenntnis zu transformieren.
Kann das Grundeinkommen schaden?
Kann man Schaden anrichten, wenn man ein Grundeinkommen einführt? Schon möglich. Wenn man es nicht einführt aber vor allem auch keine Grundlagenforschung dazu betreibt, kann man jedoch möglicherweise ebenfalls künftig Schaden anrichten. Denn wer kann schon ausschließen, dass die Gewährung eines Grundeinkommens nicht vielleicht doch in einigen Jahren eine überlegene Alternative zum Status Quo unseres gegenwärtigen Sozialsystems darstellen kann? Dieses Risiko einer verpassten Klärung wollen wir – ausgestattet mit einem Mandat der Vielen – nicht eingehen. Deshalb wollen wir es jetzt wissen und starten in dieser ungewöhnlichen Form ein gemeinsames Forschungsprojekt zu einem gesellschaftlich relevanten Thema, wohl wissend, dass unser wissenschaftlicher Beitrag zur Klärung nur ein bescheidener Puzzlestein sein wird.