Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Monetäre Apokalypse: Lehren aus Venedig

Die Pest veranlasste Venedig dazu, Staatsausgaben durch eine Bank zu finanzieren. Das wurde teuer.

 
 
Im Herbst des Jahres 1630 erreichte der dritte Reiter der Apokalypse Venedig. Nachdem die von vermögenden Händlern beherrschte Republik im italienischen Nordosten mit einem für sie verlustreich ausgegangenen Krieg konfrontiert gewesen war und unter einer Hungersnot gelitten hatte, kam das Elend nun in Gestalt der Pest. Vermutlich hatten deutsche und französische Soldaten die Pest nach Norditalien gebracht. Venedig erreichte sie wohl durch den Besuch einer Delegation des Herzogs von Mantua im Juni 1630. Sie wütete vor allem unter den oft in entwürdigenden Verhältnissen lebenden armen Menschen, und sie traf die Alten stärker als die Jungen. Nach Schätzungen erlag der Seuche rund ein Drittel der Bevölkerung; im Jahre 1633 zählte die Stadt Venedig gerade noch 102 243 Seelen.
 
Die Vermögen der Venezianer waren sehr ungleich verteilt. Ihr Rang als eine der führenden Handelsmächte im Mittelmeer hatte erfolgreichen Kaufleuten großen Reichtum beschert, der sich unter anderem in beeindruckenden Palästen manifestierte, während in den Elendsquartieren der Armen die allgegenwärtigen Ratten zur Ausbreitung der Seuche beitrugen. Der wirtschaftliche Erfolg der Kaufleute hatte, für die damalige Zeit sehr innovativ, zum Betrieb einer als Giro-Bank bezeichneten und unter staatlicher Kontrolle befindlichen Bank Anlass gegeben, auf deren Konten Buchgeld kursierte. Daneben besaß Venedig (wie die anderen Staaten der damaligen Zeit) Münzgeld, an dessen Wert sich der Wert des Buchgeldes ausrichtete.
 
Die Pest war in Venedig seit dem 14. Jahrhundert bekannt und gefürchtet. In der Vergangenheit war sie nicht über Land, sondern überwiegend auf dem Seeweg in die Stadt eingedrungen, deren Kaufleute vor allem mit dem Orient und mit Afrika regen Handel trieben. Um der Seuche Herr zu werden, hatten die Venezianer unter anderem zwei kleine Inseln in der Lagune ausgebaut, um dort Menschen in Quarantäne zu halten. Wer noch gesund wirkte, wurde mit Essig gewaschen und neu eingekleidet. Außerdem nutzten die Venezianer die Inseln als Warenlager. Möglicherweise verseuchte Waren wurden dort einer Behandlung mit Rauch unterzogen.
 
Die Regierung in Venedig reagierte auf den Ausbruch der Pest 1630 auf die seit langer Zeit bekannte Weise: mit harten Quarantänemaßnahmen, die allerdings die Wirtschaft schwer schädigten und Diskussionen auslösten, ob der durch die Quarantäne verursachte Schaden für das Gemeinwesen nicht größer wäre als der Schaden durch die Pest. Das erinnert an moderne Debatten über die Bekämpfung der Pandemie in unseren Tagen. Während in Venedig das Niveau der Verbraucherpreise vor dem Ausbruch der Pest recht stabil gewesen war, setzte mit der Seuche eine spürbare Inflation ein, die besonders den Menschen mit kleinen Einkommen und Vermögen zu schaffen machte.
 
Um einen Aufstand vor allem der Armen zu verhindern, wurde der venezianische Staat in der Krise wirtschaftlich aktiv, obgleich er sich ansonsten mit Eingriffen in Märkte eher zurückhielt. Unter anderem kaufte die Regierung Händlern Warenbestände ab, die sie an die Armen verteilte, und die Quellen lassen auch darauf schließen, dass der Staat Löhne an Menschen zahlte, die wegen der durch die Seuche bedingten Wirtschaftskrise keine Arbeit mehr hatten. Auch das klingt sehr zeitgemäß: Ein Grund für die hohen Staatsausgaben in der Corona-Pandemie ist in der Absicht der Regierungen zu suchen, das Vertrauen der Menschen nicht zu verlieren.
 
Diese Staatsausgaben mussten finanziert werden. Die Regierung erhob eine Vermögensteuer, die aber nicht ausreichte. Daher griff die Regierung zu einer direkten Finanzierung von Staatsausgaben durch die Giro-Bank, deren Geldmenge anschwoll. Dadurch litt aber das Vertrauen in das Buchgeld der Bank. Es wertete sich gegenüber dem umlaufenden Münzgeld ganz erheblich ab. Der Vertrauensverlust der Menschen in das Buchgeld und die anschließende Flucht ins Münzgeld waren so stark, dass die Regierung den Tausch von Buchgeld in Münzgeld reglementieren und die Giro-Bank auf Kosten des Staates retten musste. Konkret lief dies so ab, dass Eigentümer von Guthaben bei der Giro-Bank diese in hoch verzinste, einer Staatsanleihe ähnliche Einlagen bei der staatlichen Münze umtauschen konnten.
 
Nach der Epidemie der Jahre 1630 und 1631 kehrte die Pest nicht mehr nach Venedig zurück. Aus Dankbarkeit für die Befreiung von dieser letzten Epidemie findet in jedem Jahr jeweils am 22. November die “Festa della Madonna della Salute” statt. Nicht aufhalten konnten die Feiern jedoch den Niedergang Venedigs als maritimer Handelsmacht. Er hatte schon früher begonnen, sich durch die Pest und ihre Folgen aber noch einmal beschleunigt.
 
Aus dieser historischen Episode lassen sich bis zum heutigen Tag Schlüsse für die Wirtschaftspolitik ziehen. Zum einen sind viele vermeintlich moderne Konzepte in Wirklichkeit sehr alt, wie Ulrich Bindseil anhand einer Geschichte der Zentralbanken für die Geldpolitik in einem sehr lesenswerten Buch mit zahlreichen Beispielen gezeigt hat.
 
Zum anderen lässt sich die Beanspruchung der Giro-Bank in Venedig für die Finanzierung der Staatsausgaben während der Pest von 1630 durchaus als eine frühe Form des seit einigen Jahren wieder diskutierten Helikoptergeldes von Milton Friedman begreifen. So argumentieren Charles Goodhart, Donato Masciandaro und Stefano Ugolini in einem aktuellen Diskussionspapier. Milton Friedman hatte vor einigen Jahrzehnten bildhaft die Wirkung einer Vergrößerung der Geldmenge auf das Preisniveau zeigen wollen und als Beispiel den Abwurf von Banknoten aus Helikoptern gewählt.
Das Exempel aus Venedig liefert, ähnlich wie der Fall der Bank von Amsterdam einige Zeit später, scheinbar Anschauungsunterricht für die Bedeutung des Staates als Retter der letzten Instanz für die Glaubwürdigkeit einer Bank, die eigenes Geld ausgibt.
 
Nach einer geläufigen These kann eine Zentralbank auch ohne Eigenkapital funktionieren. In unserer Zeit liefert das Beispiel der Tschechischen Nationalbank einen Beleg. Aber diese These ruht auf der Annahme, dass die Menschen nicht das Vertrauen in die Zentralbank und ihr Geld verlieren. Geht dieses Vertrauen verloren wie im Venedig der Jahre 1960 und 1631, bedarf es eines Staates, der die Zentralbank finanziell saniert und damit neues Vertrauen in die Bank und ihr Geld erzeugt. Auch diese Erkenntnis kann in einer Zeit, in der die Bilanzen von Zentralbanken anschwellen, wieder sehr aktuell werden.
 


Literatur:
Ulrich Bindseil (2019): Central Banking before 1800: A Rehabilitation. Oxford University Press.
Charles A. Goodhart, Donato Masciandaro & Stefano Ugolini (2021): Pandemic Recession, Helicopter Money and Central Banking: Venice, 1630. Discussion Paper.