Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Das steckt hinter der Lohnlücke

Männer verdienen mehr als Frauen. Hat das biologische Gründe?

Was Frauen körperlich und psychisch während der Schwangerschaft, im Kreißsaal und später beim Stillen erleben und phasenweise erleiden, lässt sich für Männer bestenfalls erahnen.
 
 
Und auch manche Frauen berichten, dass die Geburt ihres Kindes mit ihnen “etwas gemacht” habe, was sie nicht genau beschreiben können. Milliardenfach vollbracht, ist die Geburt in vielerlei Hinsicht noch immer ein Mysterium. Mit Sicherheit sagen lässt sich aber eines: Sie ist ein einschneidendes Erlebnis – und das nicht nur persönlich, sondern auch beruflich. Für Frauen gilt das viel mehr als für Männer. Mütter reduzieren ihre Arbeitszeit viel stärker als Väter und verdienen in der Folge deutlich weniger. Kinder zu bekommen – das geht in der Debatte um Lohngleichheit und “Gender Pay Gap” oft unter -, ist der Hauptgrund für die schlechtere Bezahlung von Frauen.

 

Vergleicht man die Lebenseinkommen von Männern und kinderlosen Frauen, die Anfang der achtziger Jahre in Deutschland geboren sind, gibt es nur noch geringe Vorteile für Männer, zeigt eine Simulationsstudie der Bertelsmann-Stiftung. Bekommt eine Frau jedoch ein Kind, kostet sie das ein Vermögen. Frauen setzen im Job länger aus, gehen in Teilzeit und verlieren karrieretechnisch den Anschluss. Im Vergleich zu kinderlosen Frauen büßen Mütter eines Kindes im Schnitt bis zur Rente mehr als 40 Prozent Einkommen ein. Mit dem zweiten Kind wächst die auch als “Motherhood-Penalty” bezeichnete Lücke auf mehr als die Hälfte des Einkommens, mit dem dritten Kind laut Bertelsmann-Studie auf mehr als zwei Drittel.
 
Der Princeton-Ökonom Henrik Kleven, einer der renommiertesten Forscher auf diesem Gebiet, fasst in seiner jüngsten Studie zusammen: “Tatsächlich kann der größte Teil der verbleibenden geschlechtsspezifischen Ungleichheit in Ländern mit höherem Einkommen auf die ungleichen Auswirkungen von Kindern auf Männer und Frauen zurückgeführt werden.”
 
Wer sich an den ungleichen Einkommen von Frauen und Männern stört, kommt deshalb nicht an der Frage vorbei, warum Frauen sich häufiger als Männer dafür entscheiden, mehr in die Erziehung und Betreuung des Nachwuchses zu investieren als in ihre berufliche Laufbahn. Und warum ist das bei Männern meistens nicht so?
 
Eine naheliegende Erklärung für den Geschlechterunterschied sind biologische Gründe. Schwangerschaft und Geburt des Kindes könnten bei Müttern hormonell etwas in Bewegung setzen, das den Wunsch, beim Kind zu sein, verstärkt und die Prioritäten im Leben verschiebt. Eine Art Mutter-Gen also, das persönlich womöglich ein Gewinn ist, unter dem Strich aber zu einer finanziell teuren Verhaltensänderung führt.
 
Man mag solche Theorien als chauvinistisch abtun. Aus der Luft gegriffen sind sie nicht. In der Neurobiologie gibt es tatsächlich eine riesige Literatur, die argumentiert, dass Schwangerschaft und Geburt anhaltende hormonelle Veränderungen bewirken. So beschrieb vor knapp fünf Jahren beispielsweise ein Team von Gehirnforschern in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience, dass eine Schwangerschaft “zu erheblichen Veränderungen der Gehirnstruktur führt, vor allem zu einer Verringerung des Volumens der grauen Substanz in Regionen, die der sozialen Kognition dienen”. Das jeweilige Ausmaß der Veränderungen, die mindestens zwei Jahre angedauert hätten, habe in einem engen Zusammenhang mit Messungen der mütterlichen Bindung nach der Geburt gestanden, “was auf einen Anpassungsprozess hinweist, der dem Übergang zur Mutterschaft dient”.
 
Wenn es tatsächlich die Natur ist, die zur traditionellen Rollenverteilung beiträgt, hätten die Fans von Ehegattensplitting und “Herdprämie” ein Argument auf ihrer Seite. Um herauszufinden, ob dem so ist, hat ein Forscher-Trio um Ökonom Kleven jetzt einen fast vierzig Jahre umfassenden Datensatz aus Dänemark ausgewertet. Er enthält Informationen über mehr als eine halbe Millionen Geburten und rund 4600 Adoptionen, die in diesem Zeitraum stattgefunden haben. Die Idee der Forscher: Wenn Schwangerschaft und Geburt auf biologischem Weg tatsächlich gravierenden Einfluss auf das Verhalten von Frauen nehmen, dann muss das bei leiblichen Müttern sichtbar werden, nicht aber bei Frauen, die ein Kind adoptiert haben.
 
Die Ergebnisse sind bemerkenswert – sie widersprechen der “Mutter-Natur-These” diametral. Zwar entwickelten sich die Einkommen von Adoptivmüttern kurzfristig etwas besser als die von leiblichen Müttern, doch die langfristigen Auswirkungen sind den Forschern zufolge praktisch identisch. Die Einkommenseinbuße dänischer Adoptivmütter habe 18,1 Prozent betragen, was sich statistisch nicht von den 17 Prozent bei den leiblichen Müttern unterscheiden lasse. Während Kinder die Einkommen von Vätern nicht oder sogar leicht positiv beeinflussen, verlieren Frauen fast ein Fünftel. “Unsere Ergebnisse sprechen gegen die Bedeutung der biologischen Verbindung zwischen Mutter und Kind zur Erklärung der Einkommensverluste”, schlussfolgern die drei Wissenschaftler. Dieses weitreichende Fazit setzt allerdings voraus, dass Adoptivmütter keine hormonelle Veränderungen erleben, sobald sie ihre Tochter oder ihren Sohn in den Arm schließen. Davon gehen die Forscher offenbar aus, ohne die Frage weiter zu thematisieren.
Eine interessante Nebenerkenntnis der Studie besteht darin, dass die Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau mit Kindern auch nichts mit einer ökonomisch rationalen Spezialisierung innerhalb der Familie zu tun hatte. Oder anders gesagt: Frauen mit höheren Einkommen und besseren Berufsaussichten reduzierten Arbeitszeit und Einkommen genauso wie Frauen, die ohnehin schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt hatten.
 
Was ist es also dann, das die Mütter ins Hintertreffen und nach einer Trennung vom Vater des Kindes häufig in finanzielle Probleme geraten lässt? Klevens Studie funktioniert nach dem Ausschlusskriterium: Bei der Ursachenforschung müsse man sich stärker darauf konzentrieren, wie die Wünsche von Müttern nach weniger Karriere entstehen, welche sozialen Normen vorherrschen und welche kulturellen Hintergründe es gibt, schreibt der Ökonom am Ende. In Deutschland scheinen diese weichen, aber dennoch nicht zu unterschätzenden Faktoren besonders ausgeprägt. Denn nach den Berechnungen des Forschers ist der Lohnrückstand von Müttern hierzulande etwa doppelt so groß wie in den Vereinigten Staaten und bis zu dreimal so groß wie in skandinavischen Ländern.