Videokonferenzen sind tückisch. Eigentlich wäre es richtig, sich voll und ganz auf das Gespräch zu konzentrieren. Aber dann blinkt parallel doch allerhand Neues auf. Die E-Mails im Postfach wollen gelesen, einige am besten auch gleich beantwortet werden. Das Handy liegt sowieso immer in Griffweite, da fällt der Blick zwischendurch fast automatisch drauf.
Kein Wunder. Es gibt so viele Dinge, die um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren. Der Versuch, immer mehrere Bälle in der Luft zu halten, ist trotzdem nicht ratsam. Weil das sogenannte Multitasking einfach nicht funktioniert. Die Studienlage ist in dieser Frage eindeutig. Die Psychologen Joshua Rubinstein, Jeffrey Evans und David Meyer zum Beispiel führten Experimente durch, um zu testen, wie multitaskingfähig Menschen wirklich sind. Es ist das wohl einflussreichste Experiment auf diesem Feld. Junge Erwachsene mussten dabei zwischen verschiedenen Aufgaben hin und her wechseln, mal Matheaufgaben lösen, mal geometrische Objekte nach bestimmten Mustern sortieren. Jedes Mal, wenn die Studienteilnehmer von einer Aufgabe zur anderen wechseln mussten, verloren sie Zeit. Nicht immer viel, oft handelte es sich je Wechsel nur um ein paar Zehntelsekunden. Einen Wimpernschlag.
Problematisch wird das nur, wenn sich die Wimpernschläge häufen. Wir wechseln ständig. Die Forscher aber sagen: Im Multitasking-Modus sind wir um bis zu 40 Prozent weniger produktiv. Und: Je öfter wir zwischen einzelnen Aufgaben wechseln, desto mehr Fehler schleichen sich ein. Die wirtschaftlichen Folgen sind kaum zu überschätzen. Eine Studie beziffert die globalen Kosten von Multitasking im Arbeitsalltag auf 450 Milliarden Dollar im Jahr.
Schuld ist die Biologie. Echtes Multitasking können Menschen nicht leisten, weil ihre Gehirne nicht zwei kognitiv anspruchsvolle Aufgaben gleichzeitig erfüllen können. Jedes Mal, wenn ein Mensch seine aktuelle Tätigkeit unterbricht – weil das Telefon klingelt, weil eine Mail eingeht oder ein Kollege eine Frage stellt -, entsteht kognitiver Aufwand, auch bei der Rückkehr zur ursprünglichen Aufgabe. Effiziente Konzentration weicht einer ineffizienten Start-Stop-Spirale im Gehirn. Selbst bei einfachsten Tätigkeiten nebenher gelingt uns konzentriertes Denken nicht mehr besonders gut. In einem Experiment aus dem Jahr 2010 übersahen Fußgänger, die beim Gehen telefonierten, doppelt so oft einen Einrad fahrenden Clown wie Menschen ohne Handy am Ohr.
In Fabriken hat man auf diese Erkenntnisse längst reagiert. In praktisch jeder Fertigungshalle wird dafür gesorgt, den Betrieb an den Fließbändern möglichst selten zu unterbrechen, um die Produktion eines neuen oder leicht veränderten Produkts zu starten. Der Wechsel der Aufgaben und die Anlaufzeit, um die Anlage wieder auf ihre vorherige hohe Geschwindigkeit zu bringen, beeinträchtigen die Produktivität erheblich.
Nur die Kopfarbeiter am Schreibtisch scheren sich wenig darum. Mit dem Siegeszug von Zoom, Teams und Co. hat sich das Problem in den Büros nur noch verschärft. Den Beleg lieferte Microsoft in diesem Sommer mit einer Studie über die eigenen Mitarbeiter. Um einen Einblick zu erhalten, wie oft die Angestellten während der Videokonferenzen in den Multitasking-Modus fielen, untersuchte der Konzern in Zusammenarbeit mit Forschern von Amazon und dem University College London die Protokolle der Aktivitäten von etwa 100 000 Mitarbeitern in den USA. Die Daten stammten aus dem Zeitraum zwischen Februar und Mai 2020, als Microsoft seine Belegschaft vollständig auf Distanzarbeit umstellte. Jeder Klick in einer PowerPoint-Präsentation, jede Änderung in einer Excel-Tabelle während einer Videokonferenz wurde registriert; auch jedes Mal, wenn eine Person während eines Videoanrufs eine E-Mail sendete, weiterleitete oder beantwortete, wurde das als Multitasking protokolliert. Das bloße Lesen von E-Mails oder das Scrollen in sozialen Medien blieb dagegen unerkannt.
Die Daten lassen tief blicken: Während 30 Prozent der Besprechungen wurden E-Mails verschickt. In größeren und längeren Besprechungen betrieben die Beschäftigten häufiger Multitasking, auch kam es in Routinebesprechungen viel häufiger vor als bei spontanen Terminen. Bei Besprechungen am Morgen war die Multitasking-Rate höher als zu anderen Tageszeiten. In Videobesprechungen, die länger als 80 Minuten dauerten, fand Multitasking sechsmal häufiger statt als bei Gesprächen von maximal 20 Minuten.
Mit diesen Erkenntnissen hatte sich das Thema für die Forscher aber noch nicht erledigt. In einem zweiten Studienteil ließen sie etwa 700 Microsoft-Mitarbeiter Protokolle über ihre Tätigkeiten anfertigen und fragten dabei auch ihre Einschätzung zu ihrer eigenen Leistung ab. Bemerkenswerterweise gaben etwa 15 Prozent der Teilnehmer an, dass sie glaubten, Multitasking mache sie produktiver.
Nun ist es nicht so, dass jede parallele Tätigkeit den Mitarbeiter Zeit kostet und das Arbeitsresultat leidet. Es gibt auch Menschen, die einfach richtig gut sind im geistigen Jonglieren und denen der ständige Wechsel zwischen den Aufgaben nicht schadet. Im Jahr 2010 veröffentlichten zwei amerikanische Psychologen eine Studie, für die sie Probanden unter verschiedenen Bedingungen einen realitätsnahen Fahrsimulator benutzen ließen. Die allermeisten Teilnehmer fuhren deutlich schlechter, wenn sie ihre Aufmerksamkeit teilen mussten. Immerhin 2,5 Prozent aller Probanden fuhren jedoch weiter, als gäbe es die Ablenkung nicht. Und nicht nur das: Sie fuhren unter allen Bedingungen überdurchschnittlich gut. Eine kleine Gruppe von “Supertaskern” gebe es also durchaus, schlussfolgerten die Forscher. Diese Menschen könnten womöglich auch ohne messbare Verluste parallel an verschiedenen Aufgaben arbeiten.
Doch auch all den anderen Menschen muss Multitasking nicht zwangsläufig schaden. Ein gewisses Maß kann sogar dabei helfen, konzentriert zu bleiben, etwa wenn man in Besprechungen nebenher Notizen macht. Das räumen auch die Microsoft-Forscher ein. Die Daten, die sie ausgewertet haben, hätten aber auch gezeigt, dass sich die Mitarbeiter während der Konferenzen auch gerne Zweittätigkeiten widmeten, die mit ihrer Arbeit gar nichts zu tun hatten. Sie trieben Sport, spielten Videospiele, schauten sich Katzenvideos an. Spannenderweise sahen die Mitarbeiter ihre Leistung dadurch nicht gemindert. Sie beschrieben diese Episoden eher als ein Hilfsmittel zur Stressbewältigung und zur eigenen Besänftigung angesichts der in irrelevanten Besprechungen geopferten Lebenszeit.
J. S. Rubinstein et al.: Executive Control of Cognitive Processes in Task Switching. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 27 (4), 763-797, 2021.
H. Cao et al.: Large Scale Analysis of Multitasking Behavior During Remote Meetings. Proceedings of the 2021 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems. Mai 2021. Article No. 448, 1-13.
D. M. Sandonmatsu et al.: Who Multi-Tasks and Why? Multi-Tasking Ability, Perceived Multi-Tasking Ability, Impulsivity, and Sensation Seeking. PLoS ONE 8 (1), e54402, 2013.