Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Wozu noch Lehrer?

Unterrichten geht auch ohne große Vorbildung. Mit festen Standards für die Schulstunden.

Von Winand von Petersdorff

Die Schnellrestaurantkette McDonald’s schafft es, in der gesamten Welt begehrte Nahrungsmittel in gleichbleibender Güte zu erschwinglichen Preisen bereitzustellen. Der Onlinestellenmarkt des Konzerns verrät, dass weder Schichtführer noch das gewöhnliche Personal eine Kochausbildung vorweisen müssen. Wie passt das zusammen?

Die Erklärung ist einfach. Die Restaurants verwenden auf der ganzen Welt weitgehend identische Vorprodukte, die nach festen detaillierten Regeln zubereitet werden. Die Standardisierung geht noch weiter: Jeder McDonald’s-Mitarbeiter lädt nach den gleichen Vorgaben für Bewegungsabläufe Kisten aus Lastwagen, kippt die identische Menge Pommes in den Korb der Fritteuse und lässt diese genauso lange bei der vorgeschriebenen Temperatur frittieren. Wie viele Male der Salzstreuer zu schütteln ist, um die heißen Pommes abschließend zu salzen, ist ebenfalls festgelegt. Das Ergebnis ist schnell gelieferte, erschwingliche Standardware guter Qualität. Sie macht nicht krank und schmeckt vielen gut.

Standardisierung wird in vielen Geschäftsprozessen erfolgreich praktiziert, weil sie die Qualität eines Produktes unabhängig macht von Erfahrungen, volatilen Entscheidungen und der Urteilskraft einzelner Mitarbeiter. Eine der großen Fragen der Entwicklungsökonomie lautet, ob Standardisierung sich auch im Bildungswesen bewährt.

Die Frage gewinnt aktuelle Bedeutung durch die “Bridge International Academies”, die in Kenia, Liberia, Nigeria und anderen Ländern mit hochstandardisierten Schulprogrammen erschwingliche Bildung angeboten haben und in viele arme Länder zu expandieren trachten. Vom Ko-Gründer Jay Kimmelman ist folgende Aussage überliefert: “Unsere größte Herausforderung liegt darin: Wir müssen sicherstellen, dass wir alles standardisieren. Wenn wir wie McDonald’s operieren wollen, dann müssen wir sicherstellen, dass wir jeden Prozess, jedes Mittel und alles, was wir tun, systematisieren.”

Die Programme von Bridge International sind politisch umstritten, weil sie die Rolle der Lehrer auf weisungsgebundene Exekutoren detaillierter Vorgaben für die Unterrichtsvermittlung reduzieren. Die Denkschule dahinter steht im Kontrast zur weit verbreiteten Vorstellung, dass Lehrer die besten Bildungsergebnisse produzieren, wenn sie kreativ und empathisch auf jeden Schüler individuell einzugehen vermögen.

Die Methode, Lehrer einem präzisen Drehbuch folgen zu lassen, ist allerdings umfassend und mit positivem Resultat getestet worden. Eine Metastudie über die Bildungsvermittlung mittels “direkter Instruktion”, die mehr als 300 einzelne Untersuchungen ausgewertet hat, kam zu dem Ergebnis, dass diese Methode ziemlich gut funktioniert. Jetzt haben Forscher um den Nobelpreisträger Michael Kremer die Ergebnisse einer höchsten Ansprüchen genügenden Studie vorgelegt, die eindrucksvoll unterstreicht, wie überlegen Unterricht nach einem genau durchstrukturierten Ablaufplan sein kann im Vergleich zu gering vorstrukturiertem Unterricht.

Die “Bridge International Academies” sind eine von Silicon-Valley-Entrepreneuren gegründete Bildungsfirma, die in Kenia zum Zeitpunkt der hier vorgestellten Forschungsarbeit 400 Privatschulen mit rund 100 000 Schülern betrieb. Bridge hat alle Schulstunden standardisiert, vom Kindergarten bis zur achten Klasse. Die Pläne werden auf der Grundlage aktueller Bildungsforschung zentral erstellt. Sie regeln detailliert den Ablauf einer Stunde und werden den Lehrern per Tabletcomputer übermittelt.

Der Computer schreibt vor, was heute unterrichtet wird, wie es vermittelt wird und wie viele Minuten jedes Segment bekommt. Er dirigiert die Gesten der Lehrer, er sagt ihnen, wann sie Schüler ohne Vorwarnung drannehmen sollen und wie häufig bestimmte Übungen wiederholt werden sollen.

Die Lehrer werden zweimal am Tag von Rektoren und anderen Vorgesetzten geprüft. Halten sie sich an die Vorgaben? Wie interagieren sie mit den Schülern? Die Rektoren bekommen Handbücher, die sie einweisen, wie sie die Lehrer bewerten und ihnen Feedback geben sollen.

Im Jahr 2016 verloste die Schule 12 000 Stipendien für Kindergartenkinder und künftige Schüler der Sekundarstufe. Es gab knapp 30 000 Bewerber. Damit fanden Kremer und seine Kollegen die Bedingungen vor, die sie für sogenannte randomisierte Vergleichsstudien benötigen. Es gab zwei Gruppen, deren Bildungskarrieren sie folgen konnten: Bridge-Schüler und Schüler, die auf öffentliche Schulen gingen, weil sie kein Stipendium bekommen hatten.

Beim Vergleich der Bildungserfolge zeigten sich deutliche Unterschiede. Bridge-Schüler verfügten nach zwei Jahren schon über einen Bildungsstand, für den die Schüler anderer Schulen 2,9 Jahre brauchten. Bridge-Kindergartenkinder machten sogar noch größere Fortschritte im Vergleich zu ihren Altersgenossen in öffentlichen Einrichtungen. Am meisten profitierten schwächere Schüler vom Bridge-Programm. Weder die sozioökonomische Herkunft der Schüler noch ihr Geschlecht konnten die Unterschiede erklären. Der Verdacht, dass reichere Familien dank des Stipendiums frei gewordene Mittel in zusätzliche Nachhilfe steckten, um ihre Sprösslinge zu fördern, bewahrheitete sich ebenfalls nicht.

Selten habe die internationale Bildungsliteratur für eine spezielle Methode der Stoffvermittlung einen derart großen Effekt verzeichnet wie in diesem Fall, schreiben Kremer und sein Ko-Autoren. Dabei waren die Lehrer in den Bridge-Schulen weniger erfahren, jünger und schlechter bezahlt als ihre Berufskollegen in öffentlichen Schulen. Nicht einmal ein Viertel der Bridge-Lehrer hatte überhaupt selbst die Sekundarstufe 2 abgeschlossen, also die Qualifikation für ein Hochschulstudium erworben. Ihr Gehalt entsprach einem Fünftel bis einem Drittel des klassischen Lehrergehalts. Dafür arbeiteten sie länger.

Im Kontrast dazu stehen die öffentlichen Schulen, die sogar Probleme haben, die Anwesenheit ihrer Lehrer zu garantieren. Klassen, die sich ohne Lehrer beschäftigen, sind ein Problem in Kenia. In einer Studie zeigte sich, dass bei überraschenden Unterrichtsbesuchen fast jede zweite Klasse unbeaufsichtigt war.

Die Erkenntnis, dass sich mit schlecht ausgebildeten Lehrern ein Bildungsvorsprung erreichen lässt, macht die Studie von Kremer und seinen Kollegen brisant. In Kenia haben die Lehrergewerkschaften indes ihre Macht bewiesen. Bridge hat das Geschäftsmodell geändert. Das Kernanliegen sei nicht der Betrieb von Schulen, sondern wirkungsvolle Bildungsvermittlung. Statt eigene Schulen zu betreiben, sieht sich das Unternehmen nun als Partner und Berater der Bildungsministerien und hilft in Kenia, Ruanda, Nigeria, Liberia und Indien bei der Erstellung von Lehrprogrammen.

 

Literatur:
Guthrie Gray-Lobe, Anthony Keats, Michael Kremer, Isaac Mbiti, Owen Ozier: Can Education be Standardized? Evidence from Kenya. University of Chicago, Becker Friedman Institute for Economics Working Paper 2022-68.