Soll die Regierung die Schuldenbremse aussetzen? Eine neue Studie stimmt skeptisch.
Schon wieder eine Diskussion über die Schuldenbremse? Wird das nicht mal langweilig? Nein, denn in der aktuellen Erdgas-Situation ist einiges anders.
In den vergangenen Jahren ging das wichtigste Argument gegen die Schuldenbremse oft so: Deutschland investiert viel zu wenig – eben weil sich das Land verpflichtet hat, die jährlichen Staatsdefizite zu begrenzen. Vor allem in Zeiten niedriger Zinsen sei es doch geradezu schlau, das Geld zu leihen und zu investieren – dadurch entstünde Gewinn. Auf der anderen Seite hieß das Argument oft, man könne durchaus investieren. Falls es tatsächlich an Geld fehle, könne der Staat auch an seinem Konsum sparen, in der Praxis sei aber das Problem ein ganz anderes: Jedes Jahr blieben Milliarden von eingeplanten Euros ungenutzt, weil die öffentliche Hand das Geld gar nicht ausgeben konnte.
Jetzt ist die Lage eine andere. Wirtschaftsminister Habeck wünscht sich ein Ende der Schuldenbremse nicht etwa für Investitionen, sondern um das Gas in Deutschland billig zu halten – auf dem Weg über die Verstaatlichung von Uniper einerseits, auf einem Weg zur Vermeidung der Gasumlage andererseits. Finanzminister Christian Lindner steht dagegen. Sein Ministerium warnt: Wenn der Staat jetzt zu viele Schulden macht, dann könnte das die Inflation noch weiter treiben.
Die Realität ist nicht eindeutig, die Folgerungen sind es trotzdem
Stimmt das? Zum Glück gibt es zum Zusammenhang von Staatsschulden und Inflation eine relativ neue Untersuchung. Das Ergebnis schon mal vorweggenommen: Die Realität ist nicht schwarz oder weiß, die Folgerungen für die aktuelle Lage sind es vielleicht trotzdem.
Warum sollen Staatsschulden überhaupt die Inflation steigern? Das Erdgas-Beispiel zeigt das recht gut: Gas wird in Deutschland im Winter knapp, weil gar nicht so viel angeliefert werden kann, wie das Land braucht. Irgendjemand wird in diesem Winter auf Gas verzichten müssen, im Idealfall und bei warmem Wetter geht das noch halbwegs freiwillig. Im schlechten Fall aber müssen Verbraucher abgeschaltet werden.
Wenn der Staat nun Schulden dazu nutzt, den Gaspreis zu senken oder das Einkommen der Deutschen zu steigern, dann erleichtert er ihnen erst mal das Leben. Sie können sich mehr Gas leisten, mehr Nächte im Hotel, bessere Lebensmittel. Knapp bleibt all das aber trotzdem. Das Risiko besteht: Die Deutschen überbieten sich im Kampf um die knappen Gas-Kubikmeter und die knappen Arbeitskräfte. Die Preise steigen, auch die Löhne steigen, aber die Lohnbezieher können sich davon dann auch nicht mehr kaufen. In diesem Fall hätten die Schulden das Problem der Menschen gar nicht gelöst, aber die Inflation wäre befeuert worden.
Schulden steigern die Inflation immer, zumindest ein bisschen
Kommt das alles tatsächlich so? Welche Rolle spielt der Weltmarkt? All das ist schwer abzuschätzen. Aber erst im Juli ist eine Untersuchung erschienen, in der die Folgen von Staatsdefiziten unter die Lupe genommen werden. Sie stammt aus der Forschungsabteilung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), das ist die Bank der Zentralbanken. Und das Ergebnis ist: Zusätzliche Staatsschulden steigern die Inflation immer zumindest ein bisschen – aber ob es viel wird, das hängt von der Situation ab.
Dazu haben die Autoren die Lage in 21 Ländern zwischen 1972 und 2011 betrachtet – vier Jahrzehnte, in denen die Inflation mal zu hoch und mal zu niedrig war und in denen die Staaten ganz unterschiedliche Strategien testeten, um mit Schulden und Preissteigerungen umzugehen.
Kurz gesagt: Wie groß die Folgen der Staatsdefizite sind, das hängt davon ab, wie stabil ein Land grundsätzlich verfasst ist. Verfolgen die Staaten generell eine solide Haushaltspolitik? Und ist die Notenbank unabhängig? Wenn das der Fall ist, dann ändert ein Staatsdefizit an der Inflation nicht viel. Wenn alles aber nicht so solide angelegt ist, dann sind die Folgen der Staatsdefizite durchschnittlich bis zu fünfmal so groß – und, noch schlimmer: Sie sind kaum noch vorherzusagen, weil sie in Extremfällen noch viel größer sein können.
Ist in Deutschland alles gut? Nicht so schnell!
Da könnte man im ersten Moment denken: Deutschland hat eine Schuldenbremse, die Europäische Zentralbank ist unabhängig, dann müsste doch alles gut sein? Aber nicht so schnell.
Die Probleme beginnen damit, dass die Studie feststellt: Staaten mit niedriger Schuldenquote sind oft gar nicht die diszipliniertesten. Deutschland hat innerhalb der EU immer noch einen unterdurchschnittlichen Schuldenstand, und offenbar kommt da in der Politik eher mal die Idee auf, dass der Haushalt nicht ganz ausgeglichen sein muss, man steht ja schon so gut da. Das passt durchaus zur deutschen Debatte um die Schuldenbremse.
Dann kommt dazu, dass der Umgang mit den Schulden in der Praxis zuletzt tatsächlich nachgelassen hat. Die BIZ-Forscher haben die Staatsfinanzen der Corona-Zeit unter die Lupe genommen – und festgestellt: In vielen Ländern schien die Notenbank zumindest in der Praxis gar nicht mehr so unabhängig zu sein.
Monetäre Dominanz – oder fiskalische Dominanz?
“Monetäre Dominanz” nennen es die Fachleute, wenn die Zentralbank sich ohne Rücksicht auf die Staaten nur um ihre Geldpolitik kümmern kann. “Fiskalische Dominanz” heißt dagegen der Zustand, wenn die Regierungen, zum Beispiel durch hohe Schulden, in der Praxis den Handlungsspielraum der Zentralbank eingeengt haben. Ob die Eurozone schon im Zustand fiskalischer Dominanz ist, darüber wird schon seit Jahren gestritten. Oft wird das zögerliche Vorgehen der EZB gegen die Inflation im vergangenen Jahr auf die Staatsschulden der Eurokrise zurückgeführt. Die aktuelle Studie liefert jetzt ein weiteres Indiz dafür, dass hier größere Vorsicht geboten ist.
Jedenfalls muss die EZB jetzt dringend auf ihre Glaubwürdigkeit achten. Und diese Aufgabe wird durch zusätzliche Staatsschulden sicher nicht einfacher. Es gibt nämlich einen einleuchtenden Grund dafür, dass Staaten mit unabhängiger Zentralbank die Inflation auch im Angesicht hoher Staatsdefizite im Zaum halten können: Unabhängige Notenbanken sind oft in der Lage, die inflationären Tendenzen der Staatsschulden wirksam zu bekämpfen. Die BIZ-Studie liefert also ein weiteres Indiz dafür, dass Staatsschulden tendenziell tatsächlich die Inflation treiben, auch wenn die Notenbank das wieder ausgleichen kann.
So viel ist also sicher: Selbst wenn Deutschland die Schuldenbremse aussetzen kann, ohne die Inflation anzutreiben, dann würden diese Schulden doch zumindest das Geschäft der EZB erschweren. Die wiederum hat es mit dem Kampf gegen die Inflation und um ihre Glaubwürdigkeit gerade schwer genug. Die Studie liefert also bei aller Differenzierung genügend Argumente dafür, gerade jetzt nicht die Staatsschulden zu erhöhen.