Die Globalisierung schickt sich zum Rückzug an, und die Welt bemerkt es gar nicht richtig. Dabei gibt es diesen Trend schon seit Jahren. Während der Corona-Krise wurde er allerseits gefeiert: Die Welt machte die Erfahrung, dass Importe aus anderen Ländern ausfallen können, manchmal werden sie auch auf dem Weg aufgehalten, zum Beispiel im Suezkanal. Da wurde jede Fertigungsstätte im Inland bejubelt.
Doch tatsächlich gibt es den Trend zur Deglobalisierung schon länger. Rechnet man die Exporte von Waren und Dienstleistungen zusammen, hat der Welthandel im Jahr 2007 seinen Höhepunkt erreicht; seit der Finanzkrise geht es abwärts. 2018 kam der damalige US-Präsident Donald Trump und fachte einen Handelskrieg an, indem er Dutzende unterschiedlicher Zölle erließ. Erst danach kam die Corona-Pandemie als weitere Hürde für die Globalisierung, und zuletzt hat der Ukrainekrieg die Welt gelehrt, dass man sich besser nicht zu abhängig von anderen Handelspartnern macht – zumal dann, wenn sie nicht das gleiche Wertesystem haben.
Jetzt versucht die westliche Welt, sich von China unabhängig zu machen. Es ist nicht ehrenrührig, anzunehmen, dass es dabei nicht nur um Fragen von Sicherheit und Resilienz geht, sondern auch um Industriepolitik.
Die Statistik kann trügen
Optimisten sagen: Die weltweiten Exporte und Importe wachsen noch, auch in diesem Jahr. Es wird allerdings noch weit bis ins nächste Jahr dauern, bis die Statistiken detailliert genug sind und wirklich zeigen können, was läuft. Wie viel von den höheren Handelsvolumen entfällt auf Gas und Öl oder auf Lebensmittel, deren Preise schlicht gestiegen sind? Und haben sich die Handelsströme neu verteilt? Falls die Welt in Blöcke zerfällt und westliche Demokratien ihren Handel auf andere Demokratien konzentrieren, dann mögen die Welthandelstatistiken immer noch nach oben zeigen. Was dann passiert, wäre allerdings ein Rückzug der Globalisierung auf eine Regionalisierung.
Die Unternehmen sollen nicht mehr so abhängig sein von einzelnen Lieferanten oder von großen Abnehmern, heißt es oft. Deshalb müssten sie ihren Handel neu verteilen. Was in der Praxis passiert, ist aber oft etwas anderes. Da schaffen sich Unternehmen zwei ganz eigenständige Lieferketten: In China wird mit asiatischen Vorprodukten für China produziert, in Deutschland mit westlichen Vorprodukten für den Westen.
Die Idee: Wenn es zu geopolitischen Schwierigkeiten kommt, lässt sich die chinesische Lieferkette schnell abtrennen. Damit das funktioniert, müssen manche Unternehmen aber erst in ihre Produktionsanlagen in China investieren. Die Schlagzeilen und die Statistik zeigen dann ein Wachstum der deutschen Investitionen in China, während das tatsächliche Geschehen genau das Gegenteil von Globalisierung ist. Viel resilienter sind die Lieferketten dadurch aber auch nicht. Das Unternehmen ersetzt bloß eine Abhängigkeit durch eine andere. Und für die Verbraucher wird es trotzdem teurer, für die Steuerzahler ebenfalls.
Industriepolitische Hoffnungen haben wenig Chancen
Sicherheitspolitisch haben viele der Maßnahmen durchaus ihre Berechtigung. Die industriepolitischen Wünsche, die sich damit verbinden, haben allerdings wenig Chancen auf Verwirklichung. Nicht nur die ökonomische Theorie sagt, dass Protektionismus in vielen Fällen wirtschaftlich eher schadet als nutzt. Inzwischen häufen sich auch Studien, welche die Wirkungen der aktuellen Protektionismuswelle untersuchen, vor allem die Zollpolitik von Donald Trump. Und ihre Ergebnisse sind nicht ermutigend.
Zuletzt erschien eine Studie, in der die Arbeitsplatzwirkungen von Trumps Zöllen unter die Lupe genommen werden. Das hatte er sich ja vorgenommen: industrielle Arbeitsplätze in die USA zu holen. Schließlich waren die Vereinigten Staaten das Land, das am meisten unter dem Aufstieg Chinas und unter dessen Integration in den Welthandel gelitten hatte. Vor allem mittelmäßig gebildete Männer auf dem Land verloren ihre Stellen. Drogen- und Medikamentenabhängigkeit wuchsen. Es ging so weit, dass Ökonomen von “Tod durch Verzweiflung” sprachen.
Trumps Zölle kosteten 175.000 Stellen
Die Idee hinter solchen Zöllen wie den von Trump beschlossenen ist immer ähnlich: Wenn Importe teurer werden, dann müssen zwar Verbraucher mehr zahlen – aber heimische Unternehmen haben eher eine Chance, selbst mehr zu verkaufen. Im Beispiel von Trump hat sich diese Hoffnung offenbar nicht erfüllt.
So zeigt es ein Forscherteam von Internationalem Währungsfonds, Weltbank, Universität Oxford und Burning Glass, einem Arbeitsmarkt-Analyseunternehmen. Burning Glass untersucht rund 40.000 Websites in den USA auf Stellenanzeigen. Das sind die Homepages von Unternehmen, es sind aber auch Stellenmärkte, seien es nationale oder regionale. Auf diese Weise konnte das Forscherteam feststellen, was mit den Stellenanzeigen geschah, als Trump 2018 seine verschiedenen Zölle ankündigte.
Insgesamt fielen danach in den Vereinigten Staaten rund 175.000 Stellenanzeigen weg, schätzen die Ökonomen. Zwei Drittel davon entfielen auf Unternehmen, die direkt unter den Zöllen litten, weil sie Produkte importierten und selbst teurer einkaufen mussten. Ein weiteres Drittel der Stellenausschreibungen ging verloren, weil die Handelspartner der USA ihrerseits Zölle auf amerikanische Produkte erhoben.
Und wie viele Stellen schufen Trumps Zölle im Gegenzug in den neuerdings geschützten Branchen? So viel sie auch suchten, die Ökonomen waren nicht in der Lage, eine nennenswerte Zahl an zusätzlichen Stellen zu finden. Sie wollen nicht ausschließen, dass die Unternehmen noch eine Weile länger brauchten, um Arbeitsplätze zu schaffen. Sie verweisen aber auch darauf: Es ist schon gut erforscht, dass die USA viele der höher verzollten Güter dann nicht etwa in der Heimat kauften, sondern eben aus anderen Ländern importierten, für welche die Zölle noch niedriger waren.
Der aktuelle US-Präsident Joe Biden probiert es anders. Mit Hunderten Milliarden Dollar an Subventionen, nicht zuletzt Staatsgeld für Klimaschutztechnik, versucht er, Unternehmen anzusiedeln. Damit scheint er erste Erfolge zu haben. Wie dauerhaft diese Erfolge sind, ist eine andere Frage. Viele Deutsche erinnern sich noch gut daran, wie hierzulande nach Einführung der EEG-Umlage erst eine ganze Solarindustrie entstand, die auch Ostdeutschland viele Arbeitsplätze brachte – und wie wenige Jahre später die Branche und all die schönen Arbeitsplätze trotzdem nach China abwanderten.