Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Gab es in der Pandemie eine Siezession?

Was Covid über die Folgen der Rezession für Frauen lehrt. Von Jürgen Kaube
 
 
Die Covid-Krise war eine besondere unter den Krisen, die wir in den vergangenen zwanzig Jahren erlebt haben. Denn sie erfasste alle Sektoren der Gesellschaft, von den Familien bis zur Wirtschaft, von den Kirchen bis zum Sport. Kein Land der Erde, das nicht von ihr betroffen war, kein Staat, der nicht auf sie reagierte. Und zwar zunächst durch “Lockdowns”, also die Absenkung der sozialen Kommunikationsmöglichkeiten, durch Kontaktverbote und Schließungen. Keine Person blieb davon unberührt.
 
Aber die Folgen der “Lockdowns” waren ungleich verteilt. Die amerikanische Ökonomin Claudia Goldin aus Harvard ist jetzt in einem Aufsatz dem unterschiedlichen Ausmaß nachgegangen, in dem Frauen und Männer wirtschaftlich unter den Maßnahmen gegen Covid gelitten haben. Frauen waren in unterschiedlichen Rollen betroffen: als Mütter von Kindern, die aus den Tagesstätten und Schulen nach Hause geschickt worden waren; als Angehörige der Pflegeberufe, auf die neue Belastungen zukamen; als Tätige in Dienstleistungsbetrieben (Restaurants, Hotels, Einzelhandel), die geschlossen wurden. Mit anderen Worten: Da es eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Haushalten und in vielen Bereichen einen geschlechtsspezifischen Arbeitsmarkt gibt, wirkte sich die Covid-Politik auch geschlechtsspezifisch aus. In den Vereinigten Staaten hat sich das Wort “shecession”, also Sie-Zession, für die von Covid bewirkte Rezession eingebürgert.
 
Die amerikanischen Daten, auf die Goldin zurückgreift, geben dieses Bild: 47 Prozent der amerikanischen Arbeitskraft entfallen auf Frauen, 76 Prozent aller amerikanischen Frauen im Alter zwischen 25 und 54 gehen einer bezahlten Arbeit nach. Die Hälfte von ihnen hat mindestens ein Kind unter achtzehn Jahren. Die deutschen Zahlen sind vergleichbar, hier sind ebenfalls 47 Prozent der Beschäftigten weiblich, und es gibt eine hohe Beschäftigung der Mütter in Teilzeit.
 
Sehr ungleich verteilt ist der Zeitaufwand in den Familien für das Sich-Kümmern um die Kinder. In der Pandemie stieg er in Zweipersonenhaushalten mit berufstätiger Mutter von 8,7 Stunden pro Woche zunächst auf 17,3 Stunden, um im Herbst 2020 das Maximum von 22,4 Stunden zu erreichen. Diese immense Steigerung ging einerseits auf die Schul- und Kindergartenschließungen zurück, andererseits auf eine erhöhte Anwesenheit der Kinder und Jugendlichen in Zeiten geschlossener Kinos, reduzierter Sportaktivitäten und untersagter Partys.
 
Schätzungen zufolge werden zwei Drittel der Zeit für Erziehung und Betreuung von den Müttern aufgebracht. Mit Covid erhöhte sich der Zeiteinsatz der Väter um das 1,9-Fache, der viel höhere der Mütter um das 1,5-Fache. Als manche Arbeitsstätten wieder öffneten und die Väter wieder ins Büro oder die Fabrik gingen, blieben viele Schulen geschlossen, was zusätzlichen Druck auf die Mütter ausübte.
Überraschenderweise folgte dem kein starker Rückgang der weiblichen Berufstätigkeit.
 
Zeitungsmeldungen, wonach die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen den tiefsten Stand seit 1988 erreicht habe, lassen sich statistisch nicht bestätigen. Tatsächlich war sie im November 2021 ungefähr so hoch wie im November 2018, und der leichte Rückgang fiel bei den Frauen nicht stärker aus als bei den Männern. Hinzu kommt, dass die weibliche Arbeitsmarktbeteiligung im Januar 2020, kurz vor der Pandemie, sich auf einem historischen Hoch befand; nur in zehn Monaten seit 1990 war sie höher gewesen. Niemand kann sagen, ob sie dieses Niveau ohne Covid gehalten hätte. Genauere Analysen zeigen überdies, dass viele von denen, die kurz vor der Pandemie eine Arbeit aufnahmen, auch diejenigen waren, die den Arbeitsmarkt in der Pandemie wieder verließen. Hierbei handelte es sich vor allem um geringer qualifizierte Frauen.
 
Die größte Differenz am Arbeitsmarkt war also für Goldin nicht die zwischen Frauen und Männern, sondern die zwischen den besser und den schlechter Ausgebildeten. Ausbildung entscheidet, nicht Geschlecht. Unter den ungleichen Möglichkeiten zum Homeoffice und den ungleichen Schließungen von Arbeitsstätten litten weniger die Frauen als Personen mit geringerer Qualifikation. Während die Erwerbsbeteiligung unter College-Absolventen im Frühjahr 2020 um acht Prozent zurückging, war der Rückgang bei Beschäftigten ohne College-Abschluss mehr als doppelt so hoch. Die absoluten Rückgänge waren bei Männern und Frauen in beiden Gruppen nahezu gleich.
 
Dass Ausbildung und nicht Geschlecht ausschlaggebend für den Arbeitsmarkt war, heißt aber nicht, dass Geschlecht keine Rolle spielt. Es spielt sie in den Familien. Denn die Frauen zogen sich nicht überproportional aus dem Arbeitsmarkt zurück, sondern übernahmen die zusätzlichen Belastungen durch Kinder- und Altenpflege. Sie erhöhten, anders formuliert, ihren Anteil an unbezahlter Arbeit. Das galt vor allem für Frauen mit sehr jungen Kindern. Die geschlechtliche Arbeitsteilung in den Familien ist mithin die wichtigste Quelle der Ungleichheit.
 
Dass weibliche Beschäftigung überproportional in Bereichen kommunikations- und kontaktintensiver Arbeit stattfindet, wirkte sich als weitere Belastung für Frauen durch die “Lockdowns” aus. Im Einzelhandel, den Restaurants und Hotels, in der Kosmetik und im Bereich medizinischer Dienstleistungen, hält Goldin fest, wird überdies viel gering qualifizierte Arbeit geleistet, weshalb die ökonomische Krise gerade dieser Sektoren während der Epidemie nachteilig für die Beschäftigung von Frauen (und zusätzlich: schwarzen Frauen) war. Gegen Automatisierung und geringere Löhne in Asien sind diese “Kontakt-Berufe” relativ gut geschützt, sie waren aber besonders empfindlich auf die Pandemie und ihre Bekämpfung. Das Homeoffice ist außerdem eher männlich besetzt, vor allem aber mit besser Qualifizierten. Etwa 42 Prozent der College-Absolventen arbeiteten im Herbst 2020 von zu Hause aus, aber nur 13 Prozent der weiblichen und 7 Prozent der männlichen Arbeitskräfte ohne College-Abschluss.
 
Die arbeitsmarktbezogene Bilanz der Pandemie ist also: Bildung schützte stärker gegen Jobverlust als Zugehörigkeit zu einem Geschlecht. Junge Kinder zu haben wurde zum Nachteil am Arbeitsmarkt, als öffentliche Einrichtungen ausfielen. Unterschiede zwischen der ethnischen Herkunft waren, über Bildung vermittelt, gravierend. Von einer Sie-Zession zu sprechen, hält Claudia Goldin darum für übertrieben. Allerdings betont sie, dass der Stress für die Frauen sich gerade daraus ergab, dass sie sich nicht aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, wohl weil sie es nicht konnten. Zugleich liege in einer Erkenntnis der Pandemie, dass sich nämlich viele Tätigkeiten von zu Hause aus und ohne Flüge verrichten lassen, eine Aussicht für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ausbildung ist auch dafür der Schlüssel. Denn die Geringqualifizierten haben auch vor der Pandemie keine Dienstreisen gemacht.
 
 
Literatur:
Claudia Goldin: Understanding the Economic Impact of Covid-19 on Women, Brookings Papers on Economic Activity, 2022, S. 65-110.