Gewalt ist schlecht fürs Geschäft. Das weiß niemand besser als die Mafia. Von Winand von Petersdorff
Am 10. September 1931 endete das Leben von Salvatore Maranzano in seinem Büro in Manhattan. Vier Killer, die sich als Polizisten ausgaben, hatten Maranzanos Büro im 9. Stock des Helmsley-Hochhauses betreten, die Beschäftigten im Vorzimmer mit gezückter Waffe an eine Wand gezwungen, um schließlich den selbst ernannten Boss der Bosse der amerikanischen Mafia zu eliminieren.
Der Mord setzte einen Schlusspunkt hinter einen blutigen Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Mafiagruppen, den Castellammarese-Krieg. Als Sieger des Machtkampfes ging Charles “Lucky” Luciano hervor, der Mario Puzo zur literarischen Figur des Paten Vito Corleone inspirierte. Der Erfolg hatte seinen Preis. Die Eskalation der Gewalt weckte die Öffentlichkeit und Ermittlungsbehörden, die einen schärferen Blick auf die Verbrecherbanden warfen. Erhöhte Aufmerksamkeit der Justiz aber war schlecht fürs Geschäft. “Ich bin Geschäftsmann. Blut ist mir zu kostspielig”, sagte der Pate und gab damit die Stimmungslage führender Mitglieder der fünf New Yorker Cosa-Nostra-Familien wieder.
Der Castellammarese-Krieg war ein konstitutiver Moment, der die Verbrecher veranlasste, bereits vorhandenes institutionelles Arrangement zu stärken, welches die Ruhe sicherte. Die Cosa Nostra entwickelte Regeln und ein formales Gerichtssystem mit der “Commission” als höchster Instanz. Die Organisation verdanke ihre Langlebigkeit der Effizienz dieser institutionellen Arrangements, argumentiert Henry Thompson in seinem faszinierenden Arbeitspapier “Cosa Nostra Courts”.
Die kriminelle Organisation war mit folgenden Problemen konfrontiert: Ihre kriminelle Wirtschaft hatte sich in die formale Volkswirtschaft eingenistet. Sie war eine klandestine Gesellschaft in der Gesellschaft. Die Gangster verkauften Alkohol und Drogen, betrogen Versicherungen, verliehen Geld zu Wucherzinsen, überfielen Lastwagen, organisierten Glückspiele und Prostitution und bestachen Würdenträger. All diese Geschäfte waren auf Geheimhaltung angewiesen. Vor allem Bluttaten aber gefährdeten die Geheimhaltung, weil sie Ermittler auf den Plan riefen, die potentiell Geschäfte verderben würden.
Konflikte unter Mitgliedern der Verbrecherorganisation waren allerdings häufig. Zum einen gewährten die Familien den “made men”, die die Aufnahme-Selektion hinter sich gebracht hatten, große Autonomie in ihren geschäftlichen Aktivitäten, vorausgesetzt, sie gaben zehn Prozent ihrer Einnahmen ab. Laut Thompson erwiesen sich viele Mafiosi als sehr geschäftstüchtig. Damit ihnen Ermittler nicht auf die Schliche kamen, waren sie angehalten, alle Absprachen mündlich zu halten. Schriftliches war untersagt. Die Autonomie und Geschäftigkeit provozierte Konflikte, während das Verbot der Verschriftlichung Unstimmigkeiten über Absprachen erzeugte.
Die Saat für Gewalt war damit gelegt. Dazu kam, dass Mafiosi in der Regel überhaupt wegen ihrer Fähigkeit und Bereitschaft, Gewalttaten zu verüben, in ihre Position gekommen waren. Professionelle Gewaltausübung war ihr komparativer Vorteil. Damit schüchterten sie Geschäftsleute ein, die Straßensteuer, den Pizzo, zu entrichten und brachten Kreditnehmer dazu, die Wucherzinsen zu begleichen. Die Mitwirkung an einem Mord war überdies bis in die Fünfzigerjahre hinein Voraussetzung für die Aufnahme in eine Mafia-Crew.
Zur hohen Gewaltbereitschaft gesellte sich schließlich ein klassisches Trittbrettfahrer-Dilemma, das aus Sicht der Führung gemanagt werden musste. Die Kosten individueller Gewalt konnten für den Einzelnen deutlich geringer ausfallen als für die ganze Organisation. Das galt speziell, wenn der ertappte Gewalttäter mit den Ermittlern kooperierte und Organisationsgeheimnisse verriet.
Die führenden Mafiosi erkannten: Die traditionelle Schweigepflicht “omerta” reichte nicht, Konflikte geräuschlos beizulegen. Es brauchte ein System, das die Gewalt in geschäftlich sinnvolle Bahnen kanalisierte. Die Mafiosi erließen Regeln und gründeten die “Commission”, in der die Chefs der mächtigsten Familien saßen. Polizisten oder Politiker umzulegen wurde verboten, ebenso wie Bombenanschläge, weil dabei leicht unbeteiligte Kinder und Frauen umkommen konnten. Man fürchtete stets geschäftsschädigende Racheakte und Gegenschläge der Justiz, wie der Mafioso Joseph Bonanno in seiner Autobiographie schreibt.
Eigenmächtige Gewalttaten unter Mitgliedern waren generell untersagt. Morde waren zwar nicht prinzipiell verboten, mussten aber vom Boss der Familie genehmigt werden. Sie galten manchmal als kleineres Übel, wenn ein notorischer Unruhestifter nicht anders ruhiggestellt werden konnte. Der Mord an dem berüchtigten Gangster Dutch Schultz passt in diese Kategorie. Schultz plante einen Mordanschlag am New Yorker Staatsanwalt Thomas Dewey, obwohl die “Commission” den Anschlag untersagt hatte. Sie schickte deshalb Killer aus, die Schultz und vier seiner Mitstreiter 1935 in einem Restaurant in Newark niederstreckten.
Die Regeln halfen, konnten aber das Risiko einer Eskalation nicht ausschließen. Deshalb entwarfen die Mafiosi die “arguinamenda”. Stritten sie innerhalb einer Familie, mussten sie ihren Unterführer, den Captain bitten, eine Sitzung der beteiligten Parteien zu organisieren, um den Konflikt beizulegen. Manchmal gelang ihnen das, bevor der Fall vor die Bosse kam. In den Sitzungen waren “Klägerpartei”, die “Partei des Angeklagten” und ein Gremium aus führenden Mafiosi der betroffenen Familie vertreten. Sie fällten das Urteil. Die Sitzungen beschränkten sich in der Regel auf einen Tag. Weil die Bosse, die die Urteile sprachen, von den Zahlungen der Mitglieder lebten, hatten sie einen Anreiz Urteile zu fällen, die für beide Seiten akzeptabel waren.
Die “Commission” kam ins Spiel, wenn Streit zwischen Familien entbrannt war. Sie bestand aus den Bossen der New Yorker und einiger anderer Familien, die nach dem Mehrheitsprinzip Urteile fällten. Ihre zweite Rolle war die eines Revisionsgerichts, an die sich Mafiosi wenden konnten, wenn sie interne Konflikte innerhalb einer Familie nicht durch die “arguinamenda” beilegen konnten. Die Urteile waren verbindlich, wer sich ihnen nicht unterwarf, wurde erschossen. Insgesamt funktionierte das System. Die sizilianische Mafia entwickelte spät ebenfalls eine “Commission”, während ihr Pendant in Kalabrien, die ‘Ndrangheta keine entsprechenden Arrangements traf. Laut Thompson war für letztere die Geheimhaltung nicht so wichtig. Kalabrien war dieser Deutung zufolge so korrupt, dass die Verbrecher weitgehend unbehelligt morden konnten.
Für die Cosa Nostra hatte die “Commission” am Ende womöglich trotzdem Nachteile. Die Ermittler fanden ihre Existenz durch Geständnisse und Telefonwanzen heraus und konnten damit nach 1970 das Rico-Gesetz (Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act) zur Anwendung bringen, das organisierte Kriminalität höher bestraft.
Literatur:
Henry A. Thompson: Cosa Nostra Courts. 2022
Henry A. Thompson: Cosa Nostra Courts. 2022