Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Fernsehen und Realität (1): Verrückte Familien gesucht

| 2 Lesermeinungen

Es ist eine ziemlich dumme Idee, sich innerhalb von zehn Stunden ansehen zu wollen, was RTL und Pro Sieben in einer Woche Nachmittag für Nachmittag über "echte Menschen" berichten. Weil man dann schnell auf die Idee kommt, alle um einen herum wären verrückt geworden. Dabei ist man es nachher selber.

Es ist eine ziemlich dumme Idee, sich innerhalb von zehn Stunden ansehen zu wollen, was RTL und Pro Sieben in einer Woche Nachmittag für Nachmittag über „echte Menschen“ berichten. Weil man dann schnell auf die Idee kommt, alle um einen herum wären verrückt geworden. Dabei ist man es nachher selber.

Früher hat das Fernsehen die Menschen mit den seltsamen Hobbys und den kuriosen Neigungen zu sich in die Talkshows geholt und reden lassen, bis irgendjemandem aufgefallen ist, dass es viel authentischer wirkt, einfach mit der Kamera zu ihnen nachhause zu gehen. Das Ergebnis sind Sendungen wie „Mitten im Leben“, „We are Family“ und „Lebe deinen Traum“, die ein Bild von der Realität zeichnen, in dem alle unzufrieden, verschuldet, zerstritten, deprimiert, alleinerziehend und brustoperiert sind. Für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung habe ich gerade aufgeschrieben, was das für Folgen haben kann.

Darüber ließe sich natürlich streiten. Aber es reicht auch schon, sich anzusehen, wo das herkommt. So sucht Pro Sieben derzeit nach neuen Dokusoap-Familien:

‚We are Family!‘ sucht Deutschlands verrückteste Familie!
Deine Familie ist alles andere als langweilig? Bei dir zu Hause geht alles drunter und drüber und du fragst dich manchmal, ob man deine Liebsten tatsächlich auf die Menschheit loslassen sollte? Dann bewirb dich bei uns: Drehe ein kurzes Familien-Video und stelle uns deine Chaosbande vor. Lade deinen Clip bei MyVideo.de hoch und gewinne für dich und deine Lieben ein Erlebnis-Wochenende im Europapark, Übernachtung im 4-Sterne-Hotel inklusive!Außerdem bekommt ihr mit dem We are Family!-Film ein einzigartiges Andenken: eure persönliche Familiengeschichte! Zeig uns deinen ganz normalen Familienwahnsinn!“

Bild zu: Fernsehen und Realität (1): Verrückte Familien gesucht
(Casting-Aufruf als Video ansehen.)

Ein „einzigartiges Andenken“? So kann man das natürlich auch nennen, wenn nachher nicht nur die Nachbarn wissen, wie verkorkst die Bande ist, neben der sie wohnt, sondern gleich das halbe Land.

Für den Text in der F.A.S. hat mir Medienforscherin Constanze Rossmann von der Ludwig-Maximilians-Universität in München schon erzählt, wie die Dokusoaps, wenn sie häufig gesehen werden, Einfluss auf die Realitätswahrnehmung der Zuschauer haben können. (Zu der im Text erwähnten Studie gibt es hier eine ausführlichere  Beschreibung: „Schönheit nach Maß – Zur Darstellung und Wirkung von Schönheitsoperationen im Fernsehen“.) Das Spannende daran ist aber auch, dass – anders als bei Talkshows, die ja klar in einem künstlichen Fernsehumfeld stattfinden – die vermeintliche „Echtheit“ der Situationen diesen Effekt verstärken kann. Rossmann sagt:

„Die Dokusoaps suggerieren nicht nur Normalität, sondern auch: Das ist das Leben, so sind deine Mitmenschen – und es ist ganz normal, so zu sein.“

Ja, na gut, jetzt ließe sich einwenden, dass das vielleicht einen Bruchteil des Publikums betrifft, der den ganzen Tag unreflektiert vor der Glotze hängt – aber ganz so einfach ist es nicht, glaubt Rossmann, die sich intensiv mit der „Kultivierung“ durch das Fernsehen beschäftigt hat:

„Die Menschen wissen eigentlich, dass Fernsehen nicht immer die Realität wiederspiegelt – und trotzdem wird vieles in die Wahrnehmung der tatsächlichen Realität übernommen. Das ist eigentlich ein Widerspruch, aber trotzdem stellen wir das in Studien immer wieder fest.“

Als lebendiges Versuchsobjekt kann ich dem nach zehn Stunden Dokusoaps am Stück nicht widersprechen.

Mehr zum Thema am Montag im Fernsehblog: Warum Pro Sieben so gerne von Brust-OPs erzählt.


2 Lesermeinungen

  1. Toeb sagt:

    Danke für den Hinweis auf den...
    Danke für den Hinweis auf den Text aus der Zeitung. Wieso können Quellen zu so Texten eigentlich nie in nem Kasten „verwandte Links“ stehen? Das würde dem Leser doch mal richtig weiterhelfen…

  2. pschader sagt:

    @Toeb: Ihr Wunsch ist uns...
    @Toeb: Ihr Wunsch ist uns Befehl. Danke für die Anregung. Kasten ist eingebaut, und wir denken künftig öfter dran.

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