Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Huch, RTL 2 macht jetzt auch Journalismus

Einmal im Jahr leistet sich RTL 2 eine Reportage, die auf einer grundjournalistischen Idee basiert: herauszufinden, was 100 Tage nach einem Ereignis, das die Nachrichten beherrschte, mit den Menschen passiert ist, die daran beteiligt waren. Das ist ungewöhnlich für einen Sender, der sonst sehr genau weiß, wie er seine täglichen "News" mit Boulevard und Lifestyle aufpeppen muss, um beim jungen Publikum gegen die "Tagesschau" bestehen zu können.

Einmal im Jahr leistet sich RTL 2 eine Reportage, die auf einer grundjournalistischen Idee basiert: herauszufinden, was 100 Tage nach einem Ereignis, das die Nachrichten beherrschte, mit den Menschen passiert ist, die daran beteiligt waren. Das ist ungewöhnlich für einen Sender, der sonst sehr genau weiß, wie er seine täglichen „News“ mit Boulevard und Lifestyle aufpeppen muss, um beim jungen Publikum gegen die „Tagesschau“ bestehen zu können.

An diesem Sonntagabend um 23.05 Uhr läuft „100 Tage – Der Todesflug von Madrid“, das keineswegs so reißerisch geworden ist, wie der Titel vermuten lässt. Zweieinhalb Fast dreieinhalb Monate nach dem Absturz einer Spanair-Maschine auf dem Flughafen von Madrid, bei dem 154 Menschen starben, haben sich die Autoren mit Helfern, Angehörigen und Überlebenden unterhalten, um zu reflektieren, welche Konsequenzen der Unfall hatte. Es ist eine sehenswerte Reportage geworden, die die Menschen einfach erzählen lässt: die Männer vom Rettungsdienst, den Flughafen-Kaplan und die Passagierin, die den Absturz überlebte und schildert, wie sie sich aus dem eingeklemmten Wrack zu befreien versuchte – all das, wofür in den Nachrichten kein Platz ist.

Nebenbei zeigt „100 Tage“ auch, wie Medien in Krisensituationen funktionieren: Ein spanisches Kamerateam spricht kurz nach dem Unglück mit Angehörigen, die zum Flughafen geeilt sind. Andere Reporter bekommen das mit und stürzen sich mit ihren Kameras und Mikrofonen innerhalb weniger Sekunden wie Hyänen auf die um Fassung ringenden Menschen.

Bild zu: Huch, RTL 2 macht jetzt auch Journalismus

Bild zu: Huch, RTL 2 macht jetzt auch Journalismus
Screenshots: RTL 2 (Verpixelung von uns)

Zu sehen ist auch  wie Menschen die nicht wissen, ob ihre Verwandten überlebt haben, von den Kameras weggezerrt werden müssen, weil sie kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehen und verzweifelt fordern:

„Ich will keine Politiker an meiner Seite. Ich will Antworten.“

Bild zu: Huch, RTL 2 macht jetzt auch Journalismus
Screenshot: RTL 2 (Verpixelung von uns)

Und die Tochter einer Frau, die überlebt hat, erzählt, wie das war, als die Liste mit den Passagiernamen bekannt gegeben wurde:

„Viele Journalisten riefen [bei uns] an. Das war sehr ärgerlich. Sie sagten: Wir verstehen deine Situation. Und ich dachte: Nein, das tut ihr nicht. Wir wollten, dass die Telefonleitung frei bleibt falls wir eine wichtige Nachricht erhalten. Aber sie riefen einfach immer weiter an.“

Obwohl das alles verhältnismäßig unaufgeregt erzählt wird, hält sich auch „100 Tage“ an viele Regeln des Privatfernsehens: Zu Unglücksbildern wird bedrohliche Musik eingespielt, und die Aufnahmen weinender Angehöriger laufen immer und immer wieder. Dafür blieb kaum Zeit, um sich intensiver mit der eigentlichen Idee der Reportage auseinander zu setzen und zu erklären, was genau sich seit dem Unfall verändert hat. Auch ein kritisches Interview mit den Betreibern des Flughafens, die nach dem Unglück den Flugverkehr einfach weiterlaufen ließen und damit die Rettungsdienste behinderten, fehlt.

Als Momentaufnahme in einem Programm, zu dessen Höhepunkten sonst knallbunte Dokusoaps, Spielfilmwiederholungen und (ab morgen wieder) „Big Brother“ gehört, ist „100 Tage“ aber eine feine Ausnahme.