Nachmittage sind ein Alptraum. Zumindest für Programmplaner beim Privatfernsehen – weil es dort besonders schwer ist, den Zuschauergeschmack zu treffen und sich gegen die Konkurrenz aus Telenovelas und Zoo-Dokusoaps durchzusetzen, die ARD und ZDF dann abfeuern. Als Pro Sieben vor dreieinhalb Jahren entdeckte, dass Familien-Dokusoaps funktionieren, muss allen im Sender ein Stein vom Herzen gefallen sein.

Am 6. Juni 2005 lief die erste Folge „We are Family“, dieses Jahr feierte Pro Sieben die 750. Sendung – und meldet in regelmäßigen Abständen Quotenrekorde:
„Mit einem durchschnittlichen Marktanteil von 17,6 Prozent bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern ist ‚We are Family! So lebt Deutschland‘ das erfolgreichste Nachmittagsformat im deutschen Fernsehen.“
Beim Marktführer RTL, der schon eine halbe Ewigkeit Probleme am Nachmittag hat, ist das genau beobachtet worden. Im vergangenen Mai startete RTL „Mitten im Leben“ in direkter Konkurrenz zur Pro-Sieben-Dokusoap-Schiene, seit Anfang Juni laufen Doppelfolgen, weil die Wiederbelebung der Nachmittagstalkshow mit „Natascha Zuraw“ ordentlich daneben ging (vermutlich, weil die Sendung noch schlimmer aussah als ihre Vorgänger, die sie kopieren wollte).
Wenn zwei Sender nun täglich zwei bis drei Stunden erzählen wollen, wie Menschen in Deutschland zusammenleben, gibt es aber ein logistisches Problem: Irgendwer muss die Leute ja auch finden, hinfahren, mit ihnen drehen. Pro Sieben und RTL haben einen interessanten Wettbewerb daraus gemacht: Sie lassen die Produktionsfirmen um Ideen „pitchen“. Das bedeutet: Wer eine gute Geschichte auftreibt, kriegt den Zuschlag für die Produktion einer Folge. Bei RTL beteiligen sich daran 15 Firmen, für die Pro-Sieben-Formate sind sogar 35 Firmen im Einsatz (und die meisten so klein, dass man von ihnen noch nie was gehört hat).
Für die Sender ist das spitze, weil nicht eine Firma den Auftrag kriegt und sich dann auch mal mit ein paar Folgen nicht soviel Mühe geben muss, sondern alle in ständigem Konkurrenzkampf zueinander stehen. Zugleich erklärt das aber auch, warum immer absurdere, spektakulärere und ungewöhnlichere „normale Menschen“ gefunden werden müssen: um überhaupt den Zuschlag zu kriegen und Geld verdienen zu können. Dass dabei trotzdem stets Rücksicht auf die Interessen der Protagonisten genommen wird, ist nicht gerade plausibel. Und in der Branche schiebt man sich gerne gegenseitig den Schwarzen Peter zu: Die anderen sind die, die mit ihren Methoden den Ruf der Dokusoaps versauen.
Als ich in der vergangenen Woche ein paar Produktionsfirmen darum bat, mir zu erzählen, wie sie an ihre Protagonisten kommen, haben vor allem die für RTL tätigen unisono geantwortet: Dazu sagen wir nichts, bitte wenden Sie sich an RTL. Dort sagt man auch nicht viel, außer:
„In der Sendung ‚Mitten im Leben‘ werden echte Geschichten erzählt mit echten Protagonisten, die in den jeweiligen Geschichten im Fokus stehen.“
Über den Druck, dem die Produzenten ausgesetzt werden, um gute Geschichten anzuschleppen, und die Konsequenzen, die das womöglich für Menschen hat, die sich leichtfertig auf einen Dreh einlassen, wird nicht so gerne gesprochen.