Ihre erste große Tour hat die neue „Popstars“-Band Queensberry schon vor dem Castingshow-Finale in der kommenden Woche hinter sich – eine Tour durch deutsche Einkaufszentren. Zum Veröffentlichungstermin des Albums „Volume I“ kamen die Castingkandidatinnen von Pro Sieben am Donnerstagabend nach Berlin, um auf Einladung eines Elektronikmarkts zur „exklusiven Mitternachts-Release-Party“ Autogramme zu verteilen.
Vorher verging eine kleine Ewigkeit, in Berlins pompösestem Einkaufszentrum am Alexanderplatz. Ein Protokoll.
19.01 Uhr: Die ersten hundert Teenager haben sich vor der Bühne positioniert, um die besten Plätze für den Show-Auftritt zu ergattern. Es gibt mehr Absperrgitter als Zuschauer, aber das ändert sich sicher noch. DJ Raik Preetz, Mitglied der „Popstars Dance Company“, begrüßt sein Publikum „im weltgrößten Mediamarkt auf der ganzen Welt“ – obwohl der am anderen Ende des Einkaufszentrums liegt, wo offenbar zu wenig Platz für das Spektakel war. Und er hat gleich eine schlechte Nachricht: „Special Guest“ Giovanni ist leider krank. Die Boyband Lexington Bridge soll als Ersatz-Vorprogramm einspringen. Freudige Erregung im Mädchenflügel.
19.15 Uhr: Es ist noch viel Zeit bis zum Queensberry-Auftritt. Preetz unterhält die Zuschauer als DJ, während die auf den vor ihnen aufgebauten Videowänden die Sponsoren auswendig lernen können: ein lokaler Radiosender, der Hersteller eines mp3-Players, eine Spielekonsole.
19.32 Uhr: Söhnlein B. und Michel, die Moderatoren des lokalen Radiosenders, der verspricht, „Hit Music only“ zu spielen, verschenken Schlüsselbänder und Mützen ans Publikum. Rettungssanitäter in reflektierenden Jacken drehen einsam ihre Kreise um die Bühne. In der Nähe streitet sich ein Pärchen über die Weihnachtseinkäufe.
20.15 Uhr: Start des „Public Viewing“. Die gerade auf Pro Sieben laufende „Popstars“-Folge wird auf Videoleinwände übertragen. In den umliegenden Klamottengeschäften gucken die ersten Verkäuferinnen genervt nach draußen.
20.31 Uhr: Im Hinauszögern hat sich Pro Sieben mächtig was von RTL und „DSDS“ abgeschaut. Die Entscheidung, wer vorab als drittes Mitglied der Mädchenband ausgewählt wird, war in der Vorwoche bereits der Cliffhanger der Sendung. Jetzt schiebt Pro Sieben noch eine Werbepause vor die Bekanntgabe. Im Einkaufszentrum wird die Werbung ausgeblendet – um die Werbung der Sponsoren zu zeigen. Die Radiomoderatoren lassen Zuschauerkandidaten auf einer Spielekonsole Karaoke gegeneinander singen („Singstar“) und verschenken mp3-Player. Es wird ein bisschen langweilig.
20.45 Uhr: Gabi aus Berlin wird in der Show in die Band aufgenommen, was Begeisterungsschreie im Publikum provoziert.
21.02 Uhr: Kurzzeitiger Schwächeanfall in der „Food Lounge“ im dritten Obergeschoss, wo ich mich niedergelassen habe, um drei Etagen nach unten auf die Bühne zu schauen. Ein billiger Cappuccino hilft darüber hinweg.
21.34 Uhr: Nach 21 Uhr gleicht so ein Einkaufszentrum selbst in der Vorweihnachtszeit einer Geisterstadt. Kein Mensch mehr auf den Fluren. In Schuhgeschäften sitzen Verkäuferinnen mit leeren Blicken und warten darauf, dass es endlich Feierabend wird.
22.03 Uhr: Der Weihnachtsmarkt hinter dem Einkaufszentrum macht dicht. Das „größte mobile Riesenrad der Welt“ sieht im Dunkeln aus wie ein riesiges Gerippe. Eine krächzende Stimme aus dem Lautsprecher scheucht die letzten Besucher weg: „Wir bitten Sie jetzt, das Gelände zu verlassen.“ Im Einkaufszentrum erklärt der Mann von der Sicherheitsfirma: „Feierabend auf dieser Etage“ – und weist den letzten Einkäufern den Weg ins Erdgeschoss, wo es keinen Kaffee mehr gibt. Unten klebt der Boden. Zu viele fallengelassene Softdrinks.
22.12 Uhr: Die Radiomoderatoren sind immer noch am Geschenke-Verlosen. „Wer hat die dritte ‚Popstars‘-Staffel gewonnen?“, lautet die Preisfrage – aber soweit erinnern sich die 14-jährigen Kandidaten nun wirklich nicht zurück. „Die meisten von denen sind sonst um die Zeit schon im Bett – oder besoffen am Alexanderplatz“, lästern die Moderatoren über ihre größten Fans.
22.34 Uhr: „Popstars“ auf Pro Sieben ist vorbei, endlich. Auf den Videowänden startet ein Countdown, der rückwärts die Zeit bis zum CD-Verkauf zählt. Noch anderthalb Stunden, in denen nichts passieren wird.
22.49 Uhr: Eine junge Frau wird vom nicht wesentlich älteren Ordner angewiesen, nicht auf die Absperrgitter zu steigen. Wir sind hier ja schließlich nicht bei einem Rockkonzert.
23.03 Uhr: Fünf junge Männer, die sich „Lexington Bridge“ nennen, machen lustige Verrenkungen auf der Bühne und tun so als würden sie dazu singen. Nie von denen gehört. Das Publikum offenbar schon. Aus der letzten Reihe ist vor lauter hochgehaltenen Handykameras nicht so viel zu sehen. Die Zuschauer machen Fotos von ihrer Lieblingsboyband mit dem dahinter projizierten Logo des Elektronikmarkts – eine schöne Erinnerung.
23.19 Uhr: „Wollen wir noch eine Runde ‚Singstar‘ spielen?“, rufen die Radiomoderatoren. „Naaaaaaain!“, schreit ein Mädchen aus dem Zuschauerraum ganz laut.
23.20 Uhr: Es wird noch eine Runde „Singstar“ gespielt: Yasna aus Berlin und Andrea aus Hannover singen „So soll es bleiben“ von Ich & Ich, und beide sind so mittelgut. Andrea gewinnt ein Playstation-3-Spiel. „Jetzt musst du dir noch noch eine Playstation kaufen“, ulkt der Moderator. Und erklärt nochmal, wie einfach das mit dem „Singstar“-„Singstore“ ist, wenn man sich neue Songs auf die Konsole downloaden will, die man sich kaufen soll.
23.30 Uhr: Gleich ist es soweit. „Wir möchten, dass das richtig donnert“, ermuntern Söhnlein B. und Michel ihr etwas müde gewordenes Publikum. Immerhin filmt Pro Sieben mit und will das nachher im Internet zeigen – und da soll es natürlich nicht so aussehen, als hätten die Teeanger schon viereinhalb Stunden rumgestanden, um eine Band zu sehen, die es noch gar nicht richtig gibt. In der ersten Reihe schreit jemand: „Wir haben Hunger!“ – „Je lauter ihr seid, desto schneller sind wir durch“, verspricht der Moderator. Dann startet das Klatsch- und Schreitraining.
23.35 Uhr: Gleich ist es soweit.
23.40 Uhr: Auf der rechten Seite steht eine Gruppe cooler Jungs, trinkt Flaschenbier und motzt, will aber auch nicht nachhause gehen. Als die nächsten mp3-Player („Popstars-Edition“) verlost werden, wird die Stimmung wieder versöhnlicher.
23.42 Uhr: Gleich ist es soweit. Die Namen der Kandidatinnen werden einzeln abgekrischen. Die Radiomoderatoren werfen Mützen und Schlüsselbänder ins Publikum: „Ist noch einer da, der noch kein Schlüsselband hat?“, fragt Söhnlein B.
23.43 Uhr: Die ersten Schlüsselbänder fliegen zurück auf die Bühne.
23.46 Uhr: Jetzt ist es soweit. Die „Popstars“-Kandidatinnen kommen auf die Bühne, singen ihren Hit „No Smoke“ und dann ihren Weihnachtssong „I believe in X-Mas“. Sie freuen sich sehr, heute hier sein zu können. Nach zwei Songs ist alles vorbei.
0.00 Uhr: Der Mitternachtsverkauf der CD startet. Weil das Pro-Sieben-Publikum erst am Donnerstag entscheidet, wer als letztes in die Band kommt, hat der Sender drei Alben mit den verbliebenen drei Kandidatinnen produzieren lassen. Auf der Videoleinwand betteln die Kandidatinnen abwechselnd: „Kauft mein Album – dann komm ich in die Band.“
0.01 Uhr: Herr Jost vom Mediamarkt verkauft mit ruhiger Hand das Queensberry-Album. Der Ansturm hält sich in Grenzen. Die Hälfte der Zuschauer ist schon nachhause gegangen. Die andere stellt sich für die Autogrammstunde an.
0.12 Uhr: Zwei Mädchen, die seit Stunden in der ersten Reihe ausgeharrt haben und jetzt als erstes ein Autogramm auf ihre CDs bekommen, stehen vor dem Einkaufszentrum im Regen und sehen sehr, sehr glücklich aus. „Hat sich doch gelohnt“, sagt die eine zu ihrer Freundin. „Na klar“, antwortet die. Dann gehen die beiden nachhause.
0.15 Uhr: Auf dem anderen Weihnachtsmarkt, dem vor dem Einkaufszentrum, ist die Bierstube „Stadtwirt“ noch geöffnet, drinnen trinken die letzten Gäste ihre Gläser aus, ein betrunkenes Pärchen tanzt. Der DJ spielt „Ti amo“ von Howard Carpendale und muss kurz aufs Klo.
0.17 Uhr: Die nächste U-Bahn kommt in 14 Minuten.
Medien- und...
Medien- und Kriegsberichterstatter in einem. Meinen Respekt hast Du.
Stimme meinem Vorredner zu,...
Stimme meinem Vorredner zu, Antonia Rados kann einpacken.
Erkennt ausser mir eigentlich niemand das die Autoren des „Hits“ sich ziemlich dreist an einem Shannon-Stück vergriffen haben?
queensberry: https://www.youtube.com/watch?v=O1Ro4SDjvNE
del shannon: https://www.youtube.com/watch?v=m_2gTwIlis8
Tote Musiker können sich leider nicht über Plagiate ihrer Musik beschweren. Schade.
di ist ein geld- und...
di ist ein geld- und publicitygeiler agitator, ein militärtyp, ein in massenmilch gefallenes kind.
kein wunder, dass dieses format soviel zuspruch erfährt, es basiert auf erniedrigung und suggeriert jungen menschen: nur berühmtsein mache das leben lebenswert. zu beneiden sind sie nicht, die popstars [kommt nicht umsonst von poppen..]