Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Die scheinheilige Begnadigung der Andrea Kiewel

| 14 Lesermeinungen

Wie lange soll eine Fernsehmoderatorin büßen müssen, die von einem Unternehmen Geld dafür bekommen hat, in Sendungen Schleichwerbung für ein Diät-Programm zu machen? Das ZDF findet bei Andrea Kiewel, ein Jahr sei genug. Vor allem aber findet das ZDF, dass es schön wäre, wenn der ZDF-"Fernsehgarten" wieder bessere Quoten hätte.

Wie lange soll eine Fernsehmoderatorin büßen müssen, die von einem Unternehmen Geld dafür bekommen hat, in Sendungen Schleichwerbung für ein Diät-Programm zu machen?

Ein Jahr ist es her, dass sich das ZDF mit scheinbar klaren Worten von Andrea Kiewel trennte. „Schleichwerbung in Sendungen des ZDF ist nicht akzeptabel“, formulierte der Intendant Markus Schächter damals (meinte damit aber natürlich nur solche Schleichwerbung, die mit dem ZDF nicht abgesprochen ist – dass Thomas Gottschalk den Millionen „Wetten, dass“-Zuschauern Markenlogos hinhält, ist für den Sender überaus akzeptabel). Kiewels Aktivitäten hätten „die Vertrauensbasis zwischen uns zerstört“.

Heute nun bestätigt ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut offiziell, was als Gerücht schon seit Monaten kursiert: Kiewel wird begnadigt und darf vom Mai an wieder den ZDF-„Fernsehgarten“ moderieren. „Wenn einer einsichtig ist, sollte man ihm eine zweite Chance geben“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Als die sich erkundigte, wie er denn „Klarheit und Ehrlichkeit durchsetzen“ wolle, „wenn niemand ernste und nachhaltige Sanktionen fürchten braucht“, fragte er zurück: „Wie viel Strafe wäre denn angemessen?“

Das ist theoretisch eine gute Frage, die praktisch relativ bedeutungslos ist. Natürlich wäre es übertrieben, jemanden wie Andrea Kiewel lebenslang zu sperren – obwohl die Art, wie sie Sender und Zuschauer täuschte, schon von ausgesuchter Dreistigkeit war. Und theoretisch könnte man durchaus argumentieren, dass „ein Jahr auf dem Abstellgleis“, wie Bellut es formulierte, eine angemessene Strafe sind.

Und doch sollte man dem ZDF nicht den Gefallen tun, darüber zu diskutieren, denn in Wahrheit sind solche Fragen nur ein Ablenkungsmanöver. Dass das ZDF Andrea Kiewel jetzt zurückholt, hat mutmaßlich einen einzigen Grund: Die Quoten des „Fernsehgartens“ sind unter ihrem Nachfolger Ernst-Marcus Thomas gesunken, und das ZDF traut ihr zu, sie wieder steigen zu lassen. Jede Wette: Wenn es diese Not nicht gegeben hätte, hätten die Verantwortlichen beim ZDF genau so überzeugend erklärt, dass man Frau Kiewel keineswegs schon wieder trauen könne. Entscheidend sind nicht irgendwelche ethischen Fragen. Entscheidend ist die Quote.

Das erklärt auch, warum Bellut eine Begnadigung von Elke Heidenreich, die das ZDF im Gegensatz zu Andrea Kiewel nicht betrogen hat, mit ekliger Gönnerhaftigkeit („Ich wünsche ihr alles Gute im World Wide Web“) ausschließt. Ein Quotenbringer war Heidenreichs Sendung „Lesen!“ schließlich nie.


14 Lesermeinungen

  1. Lumi1 sagt:

    Ganz offensichtlkich...
    Ganz offensichtlkich funktionieren die Kontroll- und Aufsichtsorgane der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht einwandfrei.

  2. Noch unterscheiden sich die...
    Noch unterscheiden sich die öffentlich-rechtlichen Sender von den privaten sehr deutlich, noch erfüllen die ÖR ihren (derzeit) etwas allgemein formulieren Auftrag ganz passabel. Und nur deshalb spielt die EU-Kommission da auch mit. Doch mit derart kurzfristigen Quotenentscheidungen zerstören Verantwortliche wie Herr Belluth das System von dem sie leben – zwar nur in ganz kleinen Schritten, aber konsequent Stück für Stück. Sendungssponsoring, stundenlange Sportübertragungen, werbefinanzierte Wett-Sendungen und nun die prompte Resozialisierung einer schleichwerbenden Quotenbringerinnen. Nach dieser Entscheidung wird sich Herr Kerner kaum den Kopf zerbrechen müssen, ob er das nächste Werbeangebot auch gegen den Willen der ZDF-Verantwortlichen annehmen soll. Was Herr Belluth im Übrigen so gar nicht kapiert hat: Er ist weder das Opfer von Frau Kiewel, noch ist er der Richter über Frau Kiewel („welche Strafe ist den angemessen?“). Eigentlich sollte er in seiner Funktion so etwas Ähnliches wie der Anwalt der Gebührenzahler sein. Denn es waren die Gebührenzahler, die von Frau Kiewel verarscht wurden.

  3. Mitleser sagt:

    "Entscheidend ist die...
    „Entscheidend ist die Quote.“
    Wenn die Begnadigung scheinheilig ist, dass ist aber auch die Quotendiskussion scheinheilig. Jeder sagt – oder deutet zumindest an – ein ZDF habe sich gefälligst nicht nach der Quote zu richten. Die gleichen Leute sind aber auch ganz schnell da, wenn der selbe Sender zu wenig für die Massen zahlender Zuschauer macht. Man soll Massenprogramme liefern, ohne Massenprogramme zu liefern, obwohl nur eine gesunde Menge an Massenprogrammen den Zuschauer halbwegs ruhig stellt. Der selbe Zuschauer, der arte, 3sat und alle die anderen Nicht-Massenprogramme überhaupt nicht findet.
    Wollen „wir“ zur Beruhigung des Gewissens wirklich einen Batzen an Sendern, die erwiesenermaßen nur Wenige sehen wollen, aber alle bezahlen? Seien „wir“ doch ein wenig egoistischer, lassen den „Freaks“ arte und schauen fleißig das, was „wir“ sehen wollen. (Ich bin übrigens der Freak im vorhergehenden Satz.)
    Zum Fernsehgarten: Es ist eine anspruchslose Unterhaltungsshow für ein breites Publikum. Also zählt dort die Quote – das ist Zweck des Formats. Man hat die Wahl: Entweder die Kiewel rechtfertigen oder eine Massenshow ohne Masse. Was ist besser und wieso wird trotzdem gemeckert?
    Zu Elke Heidenreich: Da hat der Sender Mist gemacht. Man hätte den Vertrag auslaufen lassen müssen. Heidenreich hat vermutlich geahnt, dass sie nicht verlängert wird und sich deswegen lieber feuern lassen. Nun ist wenigstens der Sender der Schuldige. Aber man arbeitet an einem Nachfolgeformat, mit dem man hoffentlich ein schwieriges Format wieder besser an den Zuschauer bringt. Schon vergessen?

  4. Mitleser sagt:

    @Horst_Weyerich
    "Denn es waren...

    @Horst_Weyerich
    „Denn es waren die Gebührenzahler, die von Frau Kiewel verarscht wurden.“
    Zweifelsohne. Aber es sind die gleichen Gebührenzahler, die abschalten, wenn Frau Kiewel nicht mehr auftaucht. Man verlangt nach ihr.
    Wäre das ein Nachrichtenformat, läge die Sache anders, aber es ist eine Tralala-Sendung am Sonntagmittag. Der Rausschmiss war naiv. Man hätte sie die durch den Werbevertrag erhaltenden Gelder doppelt und dreifach spenden lassen, aber nicht feuern sollen.

  5. Die Werbung und das Verhalten...
    Die Werbung und das Verhalten der öffentlichen Fernsehanstalten muß dringend neu organisiert werden und müßte durch eine Verfassungsänderung eingeletet werden. Den Bürger, der ohne Einflußnahme zahlen muß, darf hinterfragen, ob die Gehälter richt positioniert sind ( siehe Sportschaufrau) oder die Prozentzahl der Weiderholung zu akzepieren ist.
    Leider ist den Politiker dieses Problem egal oder haben Angst vor der journalistischen Allmacht.

  6. pschader sagt:

    @Mitleser: Wann gab es denn...
    @Mitleser: Wann gab es denn zuletzt die Beschwerde, das ZDF mache „zu wenig für die Massen zahlender Zuschauer“? War das vor meiner Zeit?

  7. ugottwald sagt:

    Warum sollte es anders sein ,...
    Warum sollte es anders sein , als in der Finanzkrise im Bankensektor.
    Die Gier der Privatbanken wirkte ansteckend auf die (semi)-öffentlichen Institutionen.
    Im Zockerdruck von 9live bis rtl/sat1/pro7
    geht auch – bisweilen verdächtig zunehmend -die Moral der wichtigsten Institution
    der öffentlich-rechtlichen Medien flöten.
    Ernst Albrecht
    wollte das Quoten-Gierfernsehen in Hoffnung auf dauernde CDU-Parteiherrschaft ,
    nun versucht der Kapitalmarkt halt auch
    Verkehrsnetz, Wasser und Medien
    mit dem Zockervirus zu infizieren.
    Die passenden Lobbyisten sind ja schon im Humankörper an den Lymphabwehrsystemen angekommen.

  8. khaproperty sagt:

    Nicht nur das interne...
    Nicht nur das interne Kontrollsystem, das ganze System der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten funktioniert nicht. Sich im Markt privater Anbieter quotenmäßig durchsetzen zu wollen, ist das Eine. Dazu von allen Menschen – praktisch ausnahmslos – Zwangsabgaben zu erheben, ist etwas völlig Anderes. Entweder paßt man sich dem Markt an – dann bitte auch bei der Finanzierung. Oder man agiert außerhalb des Wettbewerbs – sozusagen als edler Außenseiter mit Staatsfinanzierung. ARD und ZDF nehmen jedoch beides in Anspruch. Und sie geraten zunehmend in Widerspruch zu sich selbst und ihren hehren Ansprüchen. Starrsinnig beharren sie auf ihrer previligierten Sonderrolle und trachten sogar nach Ausdehnung ins Internet. Wo führt das hin? Mit Sicherheit zur Selbstzerstörung des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, welches bereits jetzt unkontrollierbar, unersättlich und unkalkulierbar daher kommt. Der Fall Kiewel ist nur ein Symptom der Selbstherrlichkeit, die sich dort schon lange in allen Gremien breit gemacht hat.

  9. Mitleser sagt:

    @ Peer Schader
    "Wann gab es...

    @ Peer Schader
    „Wann gab es denn zuletzt die Beschwerde, das ZDF mache „zu wenig für die Massen zahlender Zuschauer“?“
    Das kommt unterschwellig jedes Jahr zu Jahresbeginn, wenn verschiedene Medien die Jahresmarktanteile kommentieren und anmerken, dass die Marktanteile langsam immer mehr sinken („Obwohl wir alle immer mehr zahlen müssen. Skandal! Jawoll!“) – ganz egal welchen Hintergrund das hat.
    Außerdem zeigt die Altersstruktur des ZDF, dass man besonders für die U50 nicht massentauglich ist, außer bei den gelegentlichen Lizenz-Spielfilmen. Auch dies wird immer wieder angemerkt.
    Und wie war das gleich mit Heino, der zum teilweisen Gebührenboykott aufrief, als man ’seine‘ Massen-Volksmusikformate ausdünnen wollte. Die hätte/hat zwar keineswegs mit Randgruppenformaten ersetzt, aber die Richtung des Retters deutscher Kulturware war eindeutig: Egoismus, sobald sich der Sender etwas bewegen will.
    Besonders beim ZDF zeigt sich, dass man zwar immer mehr Massensendungen anbietet, der Zuschauer aber immer weniger zufrieden ist. Diese Verflachung ist aber mittlerweile nötig, weil sie die wenigste Entrüstung hervorruft. Stillhalten als Sicherungsstrategie. Ich finde dies ausdrücklich nicht gut, das aktuelle Angebot ist viel zu mittelmäßig, lustlos uns einfältig, aber verstehe die Macher auch. Die beziehen für alles Prügel.
    Beispiel KDD: Etwas wirklich innovatives, aber der Zuschauer verdammt es. Zu schnell, zu hektisch, unrealistisch und überhaupt nicht wie Derrick. Dabei war es die beste deutsche Serie seit langem. Nun hat der Sender die Wahl. Der Zuschauer auch. Er schaltet um und der Sender kriegt eins übern Deckel.
    Ich frage nochmal: Wollen wir wirklich Sender haben, die in ihrem Elfenbeinturm mit Gutmenscheneinstellung dahersenden, egal ob es gesehen wird oder nicht? Das haben wir bereits und heißt arte. Qualitativ über jeden Zweifel erhaben, aber soll das Zweite ebenso werden? Was habt man gekonnt, wenn Anspruch einkehrt, aber keiner mehr zuschaut? Ich frage da nicht den Fernsehkritiker und Medienjournalisten, sondern die breite Masse, die zwar immer schon angibt, nach der Arbeit bei RTL entspannen zu wollen, aber an arbeitsfreien Tagen dennoch keine Dokus schaut.

  10. maxi04 sagt:

    Das Vorgehen Moderatoren die...
    Das Vorgehen Moderatoren die ihren Job für Werbung mißbrauchen zu entlassen war ein erster guter Ansatz des ZDF. Bei anderen Mitarbeiter z.B. Kerner hat man großzügig hinweg gesehen. Nach einem Jahr Buße darf Kiwi nun wieder arbeiten. Was bleibt ist wie der Schwabe sagt, ein „Geschmäckle“. Schade, daß das ZDF hier nicht konsequent ist. In der freien Wirtschaft würde Kiwi vom gleichen Unternehmen niemals wieder eingestellt. Bei den öffentlich rechtlichen Sendern, vom Steuerzahler finanziert ist man da wohl freizügiger. Schade !!

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