Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Rituale eines Hyperaktiven: Wie die ARD zur Hessenwahl Journalismus simuliert

| 5 Lesermeinungen

Wollte man einem Außerirdischen erklären, was man im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen unter Wahlberichterstattung versteht, man müsste ihm nur...

Wollte man einem Außerirdischen erklären, was man im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen unter Wahlberichterstattung versteht, man müsste ihm nur dieses Bild zeigen:

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Der Mann rechts heißt Alois Theisen, er ist Chefredakteur des Hessischen Rundfunks und moderiert sonst (aus gutem Grund) nicht, aber wenn Wahl ist, steht er hinter diesem Pult, an das im Laufe des Abends immer neue Politiker gespült werden, die dann nacheinander ein Mikrofon hingehalten bekommen. Miteinander reden tun sie nicht.

In der ARD hält man das vermutlich für politischen Journalismus.

Ein Wahlabend im Ersten ist etwa so, als würde einem ein Hyperaktiver seine liebsten Rituale zeigen. Das Geheimnis besteht darin, möglichst schnell zwischen den leeren Worthülsen von Politikern im Studio und den leeren Worthülsen von Politikern in den Parteizentralen hin und her zu schalten, damit der Zuschauer das Gefühl hat, er würde einem spannenden Wahlabend beiwohnen.

Gestern zum Beispiel.

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18.05 Uhr. Alois Theisen fragt Hans Eichel, ob das nicht ein desaströses Ergebnis sei (ja), und Franz Josef Jung, ob das nicht ein enttäuschendes Ergebnis sei (nein).

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18.07 Uhr. Breaking News: FDP-Chef Guido Westerwelle freut sich in Berlin über das Wahlergebnis.

18.09 Uhr. Alois Theisen fragt einen anderen FDP-Mann, Wolfgang Gerhard, ob die FDP das Ergebnis eigener Stärke verdanke.

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18.14 Uhr. Breaking News: Alois Theisen unterbricht eine Frage an an den Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir, weil er hört, dass der Spitzenkandidat der FDP, Jörg-Uwe Hahn, ins Studio komme.

18.15 Uhr. Alois Theisen wundert sich, dass er Jörg-Uwe Hahn nicht sieht. Es stellt sich heraus, dass Hahn sich zunächst nicht im ARD-Studio, sondern in der FDP über das Wahlergebnis freut.

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18.16 Uhr. Breaking News: CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla freut sich in Berlin und erklärt Roland Koch zum Wahlsieger.

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18.17 Uhr. Breaking News: Bei der SPD erscheint Andrea Ypsilanti. Die Korrespondentin vor Ort bereichert das in der Fernseh-Liveberichterstattung beliebte Genre der „Was wohl in fünf Sekunden passieren mag“-Spekulation um dieses Kleinod:

Andrea Ypsilanti marschiert hier ein. Es ist ungefähr so wie im letzten Jahr. Sie kommt kaum durch. Sie braucht Minuten, um sich den Weg hier durch die Menge zu bahnen. Allerdings, letztes Mal hatte ein Kollege die Stimmung beschrieben: „Wie bei einem Popkonzert“. Dieses Mal ist es bestenfalls ein Liederabend mit Schunkelverbotr. Es gibt ein bisschen respektvollen Applaus. Man will sie nicht ganz hängen lassen. Aber das ist ganz deutlich: Die Stimmung ist sowas von verhalten, das kann man überhaupt nicht beschreiben. Sehr sehr viele gehen hier auch auf Distanz, weichen ihr aus, letztes Jahr wollten ihr alle auf die Schultern klopfen, das ist mitnichten mehr so. Sie bahnt sich weiter den Weg zum Podium. „TSG“, für alle die es nicht verstanden haben, „Thorsten Schäfer-Gümbel“, wird hier gerufen, wie auch immer man das interpretieren mag. Ich denke mal, dass die meisten sich hier schon mit dem Spitzenkandidaten solidarisiert haben und ihren Rücktritt erwarten. Sie hat auf jeden Fall sehr sehr schnell die Entscheidung gefällt, hier vor der Fraktion aufzutauchen. Wenn sie taktisch gut beraten ist, dann wird sie jetzt die Initiative ergreifen, bevor sie dazu gedrängt wird, und wird ihren Rücktritt erklären. Sie bahnt sich weiter den Weg zum Podium. Schauen wir mal, der Moment der Wahrheit, nehme ich an, jetzt mag er gekommen sein.

18.24 Uhr. Die ARD zeigt nicht die Ansprache des SPD-Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel, sondern Wahlumfragen.

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18.25 Uhr. Breaking News: Guido Westerwelle erzählt im ARD-Hauptstadtstudio Ulrich Deppendorf, wie sehr er sich über das Wahlergebnis freut.

18.27 Uhr. Breaking News: Die ARD zeigt als Aufzeichnung Thorsten Schäfer-Gümbels Rede vor der SPD-Fraktion.

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18.30 Uhr. Nach Wolfgang Gerhard im ARD-Wahlstudio, Guido Westerwelle in der FDP-Zentrale und Guido Westerwelle im ARD-Hauptstadtstudio sagt nun FDP-Spitzenkandiat Jörg-Uwe Hahn im ARD-Wahlstudio, wie sehr er sich über das Wahlergebnis freut. Alois Theisen fragt ihn, ob es nun schwieriger wird für die CDU, eine Koalition mit der FDP zu bilden.

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18.31 Uhr. Breaking News: Roland Koch sagt in der CDU-Zentrale, wie sehr er sich über das Wahlergebnis freut.

18.35 Uhr. Tarek Al-Wazir sagt, wie sehr er sich über das Wahlergebnis freut. Jörg-Uwe Hahn ist auch noch da.

18.44 Uhr. Alois Theisen fragt Jörg-Uwe Hahn, ob er jetzt „Dicke Backen“ machen und mehr verlangen wird von der CDU.

18.49 Uhr. Die ARD gibt ab zu den Gewinnzahlen der Fernsehlotterie und der „Lindenstraße“.

Es gibt bestimmt einen Grund, warum die ARD das so macht. Warum sie irgendwelche Parteipolitiker wie die Orgelpfeifen im Studio aufreiht und nacheinander ihre auswendig gelernten Statements abfragt, das aufgeregt unterbricht, um zu zeigen, wie andere Parteipolitiker an anderen Orten auswendig gelernte Statements aufsagen, als handele es sich um Nachrichten, und dann den Orgelpfeifen, die das Studio noch nicht verlassen haben, noch einmal dieselben Fragen stellt wie vorher. Es gibt bestimmt einen Grund dafür, dass die ARD nicht findet, dass das lächerlich ist und auch so aussieht. Der einfachste wäre, dass sie das immer schon so gemacht hat. Ein anderer, dass den Politikern das so gefällt.


5 Lesermeinungen

  1. spiros81 sagt:

    Gut durchgehalten. Ich habe es...
    Gut durchgehalten. Ich habe es bis Franz-Josef Jung geschafft, der auf die Frage, ob die CDU verloren habe, sagte: „Nein. Zuerst muss man festhalten: Hessen hat gewonnen.“ *zapp*

  2. asdrubael sagt:

    Irgendwie hatte das gestern...
    Irgendwie hatte das gestern was von Fußball Interviews wenn die Verlierer nachträglich gefragt werden warum sie denn so schlecht gespielt haben und die Gewinner sagen dürfen das sie sich freuen. Die Antworten der Politiker sind genauso sinnentleert und vorhersehbar, dafür schenkt man sich jede sportliche Fairness.
    Die interessanten Fragen wurden mal wieder ausgeklammert zum Beispiel die niedrige Wahlbeteiligung und ob sich eine Partei die bei 60% Wahlbeteiligung von 24% der Wähler gewählt wird überhaupt noch Volkspartei nennen darf. Oder das seit Jahren in der deutschen Politik nicht mehr der bessere gewinnt sondern das „geringere Übel“. Roland Koch ist unwählbar ebenso die SDP also geht man halt zur FDP oder den Grünen, die sind wenigstens nicht noch schlimmer.

  3. AlbertoGreen sagt:

    Die ARD kämpft aktiv gegen...
    Die ARD kämpft aktiv gegen die verhasste, Politik nur vortäuschende Herrscherkaste, demaskiert sie und wird so schon bald den ach so nötigen Umsturz in unserer Gesellschaft bewirken. Der Kampf geht weiter, Freunde! Wir stehen an Eurer Seite!

  4. Zu kurz gesprungen. Theisen...
    Zu kurz gesprungen. Theisen frug Koch in der „tagesschau“ zur besten Zeit (sinngemäss) Koch, ob er in Anbetracht des schlechten Wahlergebnisses nicht auf die Ministerpräsidenten-Kandidatur verzichten wolle. So frech war lange niemand mehr um 20 Uhr.

  5. Ja, Theisen stellte Koch...
    Ja, Theisen stellte Koch wörtlich als Eingangsfrage: „Für Sie muss das Ergebnis eine Riesenenttäuschung sein. Sie können zwar eine Koalitionsregierung bilden. Haben Sie schon mal dran gedacht, die Brocken hinzuschmeißen, denn Sie sind ja offenbar nicht mehr Zugpferd, sondern eher Blockade für die CDU?“ Das kann man „frech“ finden.

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