Das Fernsehblog

Das Fernsehblog

Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Misteln, schöne frische Misteln!

| 39 Lesermeinungen

Es gibt Neues von der Misteltherapie, die derzeit in der ARD-Telenovela "Sturm der Liebe" so oft erwähnt wird. Mistelempfehler Fred ist gestorben - aber seine Freundin Viktoria ist fest davon überzeugt: hätte er sich nur auf die klassische Medizin verlassen, wäre sein Leben schon viel früher beendet gewesen.

Es gibt Neues vom Heilkräutersender Nummer eins und der Misteltherapie, die derzeit in der ARD-Telenovela „Sturm der Liebe“ so oft erwähnt wird.

Der Verdacht, dass es sich dabei um Schleichwerbung handeln könnte, ist ja inzwischen bekannt. Die ARD hat sich etwas schwammig dazu geäußert. Und die Kommentatoren unter beiden Beiträgen, die dazu bisher im Fernsehblog erschienen sind, diskutieren Argumente dafür und dagegen. (Vielen Dank für die rege Beteiligung.)

Gegen ein Themenplacement sprach, wie viele Kommentatoren angemerkt haben, dass Fred, der die Misteltherapie in der Telenovela empfiehlt, kurz nach dieser Empfehlung gestorben ist. Und welcher Hersteller möchte schon, dass seine Präparate mit einem solchen schnellen Tod in Verbindung gebracht werden? Nun ja: Auch dafür haben die Autoren von „Sturm der Liebe“ eine Lösung gefunden. In Folge 794, die am Freitag ausgestrahlt wurde, ist Viktoria noch geschockt über den Tod ihres Freundes und fängt einen Streit mit der Ärztin an.

„Sturm der Liebe“, Folge 794, 27. Februar 2009:

Viktoria: Ich versteh das nicht. Er hat sich doch wohl gefühlt mit der Misteltherapie.
Ärztin: Nein, nein, er hat sich vor allem gut gefühlt wegen der Opiate, die seine Schmerzen gelindert haben.
Viktoria: Ja, aber er war fit, er hatte Pläne – mit Sizilien!
Ärztin: Er wollte einfach bis zuletzt am Leben teilnehmen. Ihr Freund wusste, wie es um ihn steht. Und er hat sich diesem Schicksal tapfer gestellt. Aber es war ein aussichtsloser Kampf, ob mit oder ohne Misteltherapie.
Viktoria: Das sagen Sie doch nur, weil sie selber nicht weiter wissen.
Ärztin: Wie kommen Sie denn darauf?
Viktoria: Durch uns Krebspatienten wird Ihnen doch erst klar gemacht, wie wenig Sie eigentlich können. Und wenn dann einer sagt, er macht diesen ganzen Medizinzirkus nicht mehr mit, dann heißt es nur: Tja, selber schuld, wenn Sie sterben.
Ärztin: Gut, Frau Tarrasch, ich geh jetzt.

Bild zu: Misteln, schöne frische Misteln!
Screenshot: Das Erste

Nachher diskutiert Veronika noch einmal mit Felix über Freds Tod – und kommt zu einer ziemlich eindeutigen Diagnose:

Felix: Ich hab viel über Krebs gelesen, es gibt keine zwei Fälle, die man vergleichen kann.
Viktoria: Dann hast du sicher auch gelesen, wie viele Fälle von der so genannten Schulmedizin einfach aufgegeben worden sind. Und da ist es völlig verständlich, dass man in so einer Situation alles versucht, was es an alternativen Verfahren gibt.
Felix: Ja, wenn es was bringt, aber es hat nichts gebracht.
Viktoria: Doch. Die Misteltherapie hat ihm ein ganzes Jahr geschenkt. Hätte er weiter diesen Weißkitteln vertraut, wäre er doch schon viel früher gestorben.
Felix: Du hast aber viel mehr Zeit, viel mehr Zeit als nur ein Jahr, du hast ein ganzes Leben. Die Misteln, die werden dich nicht heilen, die zerstören keine Krebszellen.
Viktoria: Aber die Chemos helfen mir doch auch nicht, im Gegenteil, schau doch an, was sie aus mir gemacht haben.
Felix: Ok, ich versteh dich, aber bitte versuch, mich auch zu verstehen. Mach die Knochenmarktransplantation.
Viktoria: Mir wird schon schlecht, wenn ich ein Krankenhaus nur von außen sehe.
Felix: Dann suchen wir ein anderes, wo es dir besser gefällt.
Viktoria: Wo es mir besser gefällt? Felix, diese Kill-all-Chemo tötet alles hier in mir drin, alles. Kein Mensch weiß, ob es irgendwas bringt. Darum geht’s.
Felix: Bitte überleg’s dir nochmal.
Viktoria: Was meinst du, warum ich aus dem Krankenhaus abgehauen bin? Es gibt Entscheidungen, die trifft man allein. Ganz allein.

Bild zu: Misteln, schöne frische Misteln!
Screenshot: Das Erste

Beim allem Verständnis für den Appell, vorsichtig mit dem Verdacht auf Themenplacement umzugehen: Schöner kann man einem Krebspatienten gar nicht erklären, welche angeblichen Chancen die Misteltherapie ihm bietet. Sie wird keine Wunder vollbringen, erklärt Felix, die Stimme der Vernunft – aber sie hat Fred „ein ganzes Jahr geschenkt“, fügt Viktoria hinzu, und ohne sie wäre er „schon viel früher gestorben“.

Die klassische Medizin kommt denkbar schlecht weg – als „so genannte Schulmedizin“, in der „Weißkittel“ bei Krebs einfach „nicht weiter wissen“, „wenig können“ und kühl ihren „Medizinzirkus“ durchpeitschen, ohne Rücksicht auf Einzelfälle, die „einfach aufgegeben werden“.

Mal angenommen, das alles hat tatsächlich rein gar nichts mit Themenplacement zu tun, die Autoren wollten bloß Kritik an der klassischen Medizin üben, brauchten eine alternative Heilmethode, die sich – wie die ARD ja sagt – an der „Lebenswirklichkeit“ orientiert und stießen bei ihren Recherchen auf die Misteltherapie. Dann ist es immer noch hochgradig erstaunlich, dass weder der Bavaria noch der federführenden Redaktion im WDR auffällt, wie sehr sie sich mit solchen impulsgebenden Dialogen in den Dienst einer Industrie stellt, die großes Interesse daran zu haben scheint, dass ihre Alternativmethode bekannt wird (oder bleibt) – vor allem, wenn diese Industrie sich bis vor wenigen Jahren noch in ARD-Serien einkaufen konnte.

Ich dachte ja bisher, die ARD hat aus dem Skandal von 2005 etwas gelernt, nämlich mindestens, dass sie auf jeden Fall den Eindruck vermeiden muss, auch nur im Entferntesten von Dritten manipulierbar zu sein, auch nicht in Unterhaltungssendungen. Aber langsam bin ich mir da nicht mehr so sicher.

(Mit Dank an die Kommentatoren für die Hinweise.)


39 Lesermeinungen

  1. Hannelore sagt:

    Genau diese Folge habe ich mir...
    Genau diese Folge habe ich mir gestern abend auch angesehen.
    Wahrscheinlich geht Viktoria jetzt in das Krankenhaus, für das der Arzt wirbt, dessen Link Darian netterweise zur Verfügung gestellt hat. Im schönen Thüringen kann sie sich dann – man staune – in einer Klinik des Deutschen Roten Kreuzes behandeln lassen, die dann unter klinischen Bedingungen neben der Misteltherapie noch die Therapie mit Pilzen o.ä. anwendet.
    Damit lassen sich ohne weiteres die nächsten 20 Folgen mit lukrativen Werbeaussagen füllen und das Rote Kreuz hat auch noch etwas davon, es sei denn, sie distanzieren sich, nachdem ich ihnen den Link mit entsprechendem Hinweis gechickt habe.
    Können die nicht lieber wieder so einen nette Abendsendung mit Barbara Rüttig und Herrn Fliege machen, über Engel, Aura, Operationen ohne Messer … Dann kann man das ganze wenigsten vor einem wissenschaftlichen Hintergrund diskutieren.

  2. Mit der Misteltherapie wird...
    Mit der Misteltherapie wird doch überhaupt nicht viel verdient. Das sind doch „Erdnüsse“ im Vergleich zu den „Kokosnüssen“, die der schulmedizinische Komplex aus Ärzten, Krankenhäusern und „normaler“ Pharmaindustrie umsetzt.
    Würden also die Misteln in den Episteln der Telenovellen im Zusammenhang mit Krebs nicht erwähnt, würde es sich also um besonders geschickte Schleichwerbung der Schulmedizin und ihrer Profiteure handeln?
    [P.S.: Ich persönlich glaube nicht an die alternative Medizin.]

  3. "Mistel langsam - jetzt erst...
    „Mistel langsam – jetzt erst recht!“ Teil 3 goes web. Herrlich. Der Artikel drückt genau aus, was mir heute nacht bei der zufälligen Berieselung der diskutierten Serie auffiel und mich nötigte, es in kommentarform gegen 04:30 Uhr in „Mistel – unter Verdacht!“, Teil 2 einzuklöppeln. Bis neue Auffälligkeiten auffallen, falle ich hier erst einmal weniger auf. Nur zu Hannelore noch: Lieber alle Folgen Sturm der Liebe mit Streichhölzern unter den Augen als auch nur 1 Minute Pseudobetroffenheit und Gutmenschentum vom Schleichwerber für die Nächstenliebe Fliege. In diesem Sinne:
    Passen Sie gut auf sich auf!

  4. Hannelore sagt:

    Lieber Darian, war das doch...
    Lieber Darian, war das doch der Grund für mich Ahnungslose, diese Serie zu verfolgen und – wenn ich unterwegs war – sogar noch aufzuzeichnen.
    Die ARD weigert sich, auszumisteln und beruft sich unter anderem auf „intensive Recherchen“ für ihre Telenovela, um (wenn das nicht besonderes Gutmenschentum erfordert)… Krebskranken durch starke Serienfiguren Mut zu machen …
    Verpassen wir doch allen einen Heiligenschein, beten sie an und legen uns vor Ehrfurcht schweigend (ach nein, heißt doch vor Ehrfurcht erstarrt) auf unser Sofa, natürlich nicht, ohne vorher unseren Viedeorekorder einzuschalten, damit wir nicht eine Minute verpassen. Gegen die Streichhölzer spricht, dass der Videorekorder einem die Möglichkeit gibt, alle wichtigen Passagen hins. GeMISTel ständig wiederholen zu können, um auch keinen noch so kleinen Teil der für die Gesamtwirkung und -aussage wichtigen hochwissenschaftlichen Dialoge zu verpassen.
    Und ich habe wirklich gedacht, diese Serie soll unterhalten. Dass die ARD uns hiermit eine besonders intensive hochwissenschafltiche Bildung zumisteln wollte, habe ich nicht geahnt.
    Alle Achtung, lieber WDR (als der Verantwortliche für diese Serie).

  5. Hannelore sagt:

    Allem Hohngelächter zum...
    Allem Hohngelächter zum Trotz: Die Fa. Helixor z.B. lebt nicht schlecht von ihrem für die Kebsbehandlung hergestellten Präparat. Im Bundesanzeiger werden Handelsbilanzen veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass hier 6stellige Summen nach Abzug aller Kosten (und Gehälter der Geschäftsführer) übrig sind.
    Und einen weiteren Vorteil erwähnt die Helixor auch noch in ihrem Geschäftsbericht: nicht die Firma muss für die Kostenerstattung durch die Krankenkassen klagen, das erledigen die todkranken Patienten für sie (aufgeputscht durch die aggressive Werbung in der Hoffnung, doch noch einen letzten Strohhalm zu erwischen), vor dem Sozialgericht, das wiederum von den Steuerzahlern finanziert wird, weil man dort kostenlos klagen kann….

  6. Hannelore sagt:

    Wo wir doch gerade über...
    Wo wir doch gerade über Bildung sprechen:
    Die Mistel heisst auf lateinisch Viscum, was aber auch bedeutet:
    Vogelleim, klebrige Früchte.
    Sollten die Verantwortlichen Probleme haben, sich von den mit Vogelleim festgeklebten Früchten, die ihr (oder der Bavaria) die Bemistelung eingebracht haben, zu befreien, ohne üble Fruchtflecken zu hinterlassen? Die Früchte der Mistel sind doch weiß, wo ist das Problem, wenn man weiße Westen trägt?

  7. Hallali, wie wäre es (zur...
    Hallali, wie wäre es (zur allgemeinen Auflockerung), wenn wir hier die schönsten Mistelwortspiele zum Besten geben? Ich greife da gleich mal Hannelores, mir ein Schmunzeln bereitendees, „ausmisteln“ auf. Dazu lege ich: „Mir geht`s heut echt Mistelabel“ und „Bei der ARD vermisteln wir in letzter Zeit eine Menge Professionalität!“ oder „Auf wessen Mistel ist das nur gewachsen?“
    Darian, „mistel“egant mit dem Zollstock…

  8. Georg sagt:

    Mal angenommen, in der Serie...
    Mal angenommen, in der Serie wäre die Misteltherapie schlecht weggekommen, dafür aber die Chemotherapie besser. Würdest Du dann ein Schleichwerbeverdacht zugunsten der Chemotherapie-Industrie äußern?

  9. mistelman sagt:

    so ein verdammter mistEL! ;P...
    so ein verdammter mistEL! ;P ok…ich weiss…der war schwach 😛 wollt nur auch mal was schreiben ,P

  10. Georg... mal angenommen, es...
    Georg… mal angenommen, es gäbe Fernsehwerbung für Misteltherapien und die Form der Werbung hätte so was wie einen Handlungsstrang: Würden Sie dann auch von einer „Vorabendserie“ oder doch eher von „Werbung“ sprechen?

Kommentare sind deaktiviert.