An einem Tag wie gestern zuhause vor dem Fernseher zu sitzen und zu sagen: schaut mal, was die da wieder verbockt haben — das ist leicht. Aber einige Entscheidungen der Sender sind auch mit der Hektik der Sitaution nur schwer zu eklären.
Zum Beispiel bei N24, wo jemand auf die Spitzenidee gekommen ist, die Toten wie auf einer Schatzkarte zu markieren. (Das große Kreuz soll den toten Amokläufer darstellen.)
Screenshot: N24
Und natürlich wüsste man gerne, wer bei n-tv eigentlich die Anweisung gegeben hat, alle, aber wirklich alle Ereignisse, bei denen sich Google-Earth-Karten einbinden lassen, wie den Wetterbericht moderieren zu lassen.
Screenshot: n-tv
Am heikelsten ist der Umgang mit Augenzeugen: Ist es wirklich so gut, alle vor die Kamera zu lassen, die bereitwillig Auskunft geben, während sie womöglich noch unter Schock stehen? Und sogar die, die eher nicht wollen? Das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das sich so gerne selbst für seine Seriosität lobt, steht dem privaten da kaum in etwas nach. Während RTL einen Nachbarn des Amokschützen für ein Interview auftrieb, stellte das ZDF dem Tischtennislehrer des Täters nach, um ihn zu fragen, ob er nicht was hätte ahnen können, weil man ja als Sportlehrer „ein enges, fast schon intimes Verhältnis zu Jugendlichen“ habe.
Screenshots: ZDF (Verpixelung von uns)
Auf RTL erzählte derweil eine entsetzte Mutter, dass ihre Tochter mit ansehen musste, wie einem Mitschüler in den Hals geschossen wurde:
„Ich versteh die Welt nicht mehr. Meine Tochter war in der zehnten Klasse, die hat das alles live miterlebt. Die sitzt jetzt zuhause, zittert und weint. Sie sind aus dem Fenster gesprungen, sie und ihre Freundin.“
Warum die Mutter nicht zuhause bei ihrer Tochter war, und stattdessen vor der Schule Interviews gab, war nicht zu erfahren, weder im „Explosiv“-Spezial noch bei „RTL aktuell“, wo der Ausschnitt in der Dauerrotation lief — bis die Kollegen vom ZDF übernahmen, für die die Mutter noch einmal ganz ähnliche Zitate lieferte, die zigmal in „heute“ und im „ZDF spezial“ wiederholt wurden.
Screenshots: RTL/ZDF (Verpixelung von uns)
Wie muss man sich das vorstellen? Standen da in Winnenden die Kamerateams Schlange hinter den verängstigten Eltern, so lange bis jeder mal dran war?
Die Redaktion von „stern tv“ wollte für ihre abendliche Live-Sendung zwei Schüler aus Winnenden zu sich ins Studio nach Hürth bei Köln holen, allerdings mussten die beiden, wie Günther Jauch berichtete, wieder umkehren, weil sich ein Selbstmörder vor den Zug geworfen hatte, weshalb sie von ihm dann am Tatort im Dunkeln befragt wurden und bloß sagen konnten, dass sie den Täter auch nur vom Sehen kannten. Die Schülerin hatte am Mittag bereits Karriere bei N24 gemacht.
Und bei „RTL aktuell“ war man sich nicht zu blöd, das Foto einer getöteten Schülerin aus „Schüler VZ“ zu klauen und es unverpixelt zu zeigen.
Screenshot: RTL (Verpixelung von uns)
Im ZDF kam es (wie auch die Kollegen von DWDL berichten) dann im „Spezial“ nach den „heute“-Nachrichten noch dicker, wo sich der ehemalige Kanal-Telemedia-Veranstalter Thomas Hornauer während einer Live-Schaltung aus der Kirche in Winnenden hinter den ZDF-Reporter schob – und gar nicht mehr weggehen wollte, ohne dass jemand etwas dagegen unternehmen wollte, was einen geradezu gruseligen Effekt hatte. Etwas verwirrt sagte Moderator Steffen Seibert bloß:
„Liebe Zuschauer, Sie sehen, wir haben da gerade ein Bildproblem.“
Screenshots: ZDF
Eigentlich zeigt das alles bloß, wie hilflos die Sender auf solche Ereignisse reagieren: Indem sie jeden vor die Kamera holen, der was sagen kann, auch wenn es wie bei RTL bloß ein Junge ist, der stammelt: „Nicht so toll, ich find sowas nicht so toll.“ Und indem plötzlich alles relevant ist, sei es auch noch so nichtig. Bei „Explosiv“ erklärte eine Sprecherin, was das eigentlich Schockierende an diesem Amoklauf war:
„Was alle bestürzt: Wenn so ein grausames Massaker im beschaulichen Schwabenländle passiert, dann kann es jederzeit und überall jeden treffen.“
Hornauer hat sich noch ein...
Hornauer hat sich noch ein weiteres mal ins Bild gedrängt: Als Marietta Slomka den Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger interviewte (heute journal 11.3.09, 21.45 Uhr), stand Hornauer – diemal mit Mütze auf der hohlen Birne – hinten rechts im Bild.
Bewusste Mutter tauchte...
Bewusste Mutter tauchte schließlich auch noch im ARD-Brennpunkt auf. Wahrscheinlich sind nicht viele bereit sich an einem solchen Tag zu äußern. Auch ein Hinterbliebener des Erfurt-Amoklaufs war bei beiden öffentlich-rechtlichen Sendern identisch.
Interessant auch, dass laut DWDL der ZDF-Reporter früher bereits mit Hornauer zusammengearbeitet hat.
Höhepunkt des ZDF-Spezial nach der abstoßenden Verfolgung des Tischtennislehrers war der Internet-Experte, dessen Aussage sich auf eine Hashtagsuche bei Twitter stützten, um dem Publikum darzulegen, wie die Jugend im Internet auf das Ereignis reagiert.
<p>@Marc: Die ARD hat die...
@Marc: Die ARD hat die Mutter vom ZDF übernommen und eingezoomt, damit man das Mikro nicht sieht — bzw. nur ganz kurz:
Screenshot: ARD (Verpixelung von uns)
@Ralf Henke: Den Hornauer im „heute journal“ find ich nicht. Sicher, dass es „heute journal“ war?
Im verlinkten Artikel "Sowas...
Im verlinkten Artikel „Sowas ist hier noch nie passiert“ wird unter Anderem kritisiert, dass ARD und SWR spät reagiert hätten und normales banales Programm gesendet haben. Der Kritik kann ich mich nicht anschliessen, und ich weiss ehrlich gesagt nicht, wie der Autor sich das vorstellt – soll die Forderung sein, dass jeder Sender gefälligst sein Programm ändern *muss*? Bei aller Tragik des Geschehens: man soll es nicht glauben aber, tatsächlich, das Leben geht weiter, und die Erde dreht sich auch immer noch. Ich finde es völlig nachvollziehbar, dass ein Sender „auch“ noch sein vorgesehenes Programm sendet und eben nicht sofort und total auf den Zug der hyperventilierenden Sondersendungsmaschinerie aufspringt, auch um vielleicht eine Alternative zu der Berichterstattung in anderen Kanälen zu bieten (ernsthaft, nicht jeder will von einer solchen Tragödie im Fernsehen überflutet werden…). Wer sich informieren wollte, der konnte das auf einem guten Dutzend an Sendern tun. Auch dass gerade die Vielzahl der öffentlich-rechtlichen Sender eben kein redundantes Amoklauf-Programm sondern Alternativen zu „sich selbst“ bietet, ist eine gute Entscheidung. Im ZDF kam nachmittags übrigens auch noch Sport (Frauenfussball-Länderspiel), wenn auch nach Abpfiff nur sehr knapp analysiert um schnell zu einem heute-spezial abgzugeben (Katrin Müller-Hohenstein: „…an einem Tag wie diesem…“). Das ist doch völlig legitim so.
der reporter l. becker kann...
der reporter l. becker kann garnix für hornauers auftritt. becker hasst den hornauer wie der rest der bevölkerung. hornauer hat sich da nur eben mal zugestellt, weil er immer noch der kranken meinung ist, es sei der chef von allen..auch der von l. becker. ich kenn l.b. persönlich und lege meine hand für ihn ins feuer. lothar ist ein netter mensch…mehr nicht!
über das "bildprobelm" im...
über das „bildprobelm“ im zdfSpezial musste ich schmunzeln…
<p>Weil ich das jetzt erst...
Weil ich das jetzt erst sehe: „Willkommen zurück zum Magazin und zum schrecklichen Amoklauf in Winnenden“, hat Moderatorin Annika Kipp im „Das Sat.1-Magazin“-Spezial gestern nach der Werbeunterbrechung gesagt.
Und vorher lief der Sat.1-Trailer:
Screenshot: Sat.1
Hornauer:
Was soll man denn...
Hornauer:
Was soll man denn machen, wenn der sich in einem Live-Interview in den Hintergrund stellt? Es war ein frei zugänglicher Raum. Wenn man ihn verbal auffordert hört das der Zuschauer. Wenn man ihn am Arm packt und wegzieht, sieht das der Zuschauer. Hornauer wehrt sich und wir würden hier jetzt sowas wie „Eklat in Kriche: ZDF zensiert Hornauer“ lesen. Der Sender hatte keine Chance.
@nona
"Im verlinkten Artikel...
@nona
„Im verlinkten Artikel „Sowas ist hier noch nie passiert“ wird unter Anderem kritisiert, dass ARD und SWR spät reagiert hätten und normales banales Programm gesendet haben. “
Das ist wieder diese Verlogenheit. Einerseits fordert man, dass die Sender sofort vor Ort sind und eine Zeit lang über alles informieren und macht es denen zum Vorwurf, die eben nicht sofort da sind.
Andererseits kritisiert man offensive Berichterstattung oder doppelte Interviewpartner, die nur deswegen von Sender zu Sender gereicht werden, weil die Menge an Informationen und Interviewpartner begrenzt ist.
Jetzt warten wir noch auf den...
Jetzt warten wir noch auf den Amokläufer, der mit dem Kameramann zusammen in die Schule kommt….