Wenn demnächst mal wieder jemand behauptet, das Fernsehen würde morgen aussterben, weil wir bald alle bloß noch ins Internet gucken, sollte er sich vielleicht am Samstagabend mal „Deutschland sucht den Superstar“ ansehen. Nicht der Kandidaten wegen, auch nicht wegen Dieter Bohlen – sondern einfach, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie faszinierend Fernsehen sein kann, wenn es mit einem gewissen Aufwand produziert wird, und zwar unabhängig davon, ob man „DSDS“ inhaltlich unterhaltsam oder stinklangweilig findet.
Keine andere Sendung im deutschen Fernsehen ist derart komplex inszeniert. Die Macher wollen eine Atmosphäre schaffen, die den Zuschauern signalisieren soll: Hier geht es nicht um einen kleinen Karaoke-Wettbewerb, es geht um den „Superstar“. (So sehr sich das auch relativiert, sobald die Lichter wieder aus sind.)
Das funktioniert zuhause vor dem Fernseher genauso wie im Studio – zumindest wenn man Lust hat, einen Schritt zurückzugehen und mal darauf zu achten, wie „DSDS“ gemacht ist: Wie die Kamera von der Decke auf die Bühne hinab saust, sich um die Kandidaten dreht, wie bei den Auftritten die Farben im Studio explodieren, einfach wie die Zuschauer durch all das in die Show hineingezogen werden sollen.
Das geht schon los, bevor der Vorspann gelaufen ist: Moderator Marco Schreyl steht hinter den Kulissen und spricht seine Anmoderation, bevor die Kamera an ihm vorbei auf die Bühne durch die sich öffnende Studioleinwand rast und dort von einem Publikum empfangen wird, das einen Lärm macht, als kämen gleich die Gladiatoren, um mit den Löwen zu kämpfen. Vielleicht ist es ja auch ein bisschen so.
Screenshots: RTL
Oder wie’s Volker Weicker formuliert:
„Die Leute, die ich erreichen will, sitzen zuhause auf der Couch – und die haben all das Haptische, was wir hier im Studio haben, nicht. Deshalb ist es mein Job, Emotionalität auf den Bildschirm zu bringen, schon durch die Bildauswahl.“
Weicker ist Regisseur der Liveshows von „Deutschland sucht den Superstar“. Mit 80 Kollegen sorgt er jeden Samstag dafür, dass die Show aus dem Coloneum, einer Halle für Fernsehproduktionen in Köln-Ossendorf, abends auf Sendung geht. Weicker bestimmt, aus welcher Kameraperspektive das Fernsehpublikum Auftritte, Jurybewertung und Publikumsjubel miterleben soll. Er sagt: „Den Zuschauern bleiben vor allem Bilder in Erinnerung, die mit Menschen zu tun haben.“ Zwölf Kameras sind bei „DSDS“ im Einsatz, nur beim Fußball arbeitet das Fernsehen sonst mit so vielen Perspektiven.
Das Fernsehblog: Herr Weicker, wird die Show eigentlich besser, je mehr Kameras Sie haben?
Volker Weicker: Mit der Anzahl der Kameras hat das nichts zu tun. Ernst Lubitsch hat mal gesagt: ‚There are thousand ways to place a camera, but really only one.‘ Und da hat er ja auch Recht. Klar kann ich die Show auch mit zwei Kameras weniger machen. Und auch mit drei, vier oder fünf. Aber ob das die Leute zuhause erreicht, wage ich zu bezweifeln. Sie könnten Ihr Interview doch auch zuhause am Telefon führen und ich würde Ihnen einfach sagen, wie’s hier aussieht. Es ist aber nicht dasselbe.
Haben Sie denn Vorgaben, in welchen Situationen welche Bilder zu sehen sein müssen?
Ich hab früher immer viel vorher festgelegt. Mittlerweile hat sich mein Meinung da geändert. Wenn ich mich nur auf das verlasse, was ich mir vorher auf den Zettel geschrieben habe, also auf das, von dem ich glaube, dass es passieren wird, wird es alle emotionalen Bilder, die einfach durch Zufall entstehen, nie geben – weil ja schon festgelegt ist, dass wir in diesem Moment vielleicht eine Halbtotale zeigen.
Diese Zufallsmomente gibt es in einer Liveshow wie „DSDS“ zuhauf: Wenn hinten in der Lounge ein Kandidat eine Schnute zieht, weil auf der Bühne ein Konkurrent gelobt wird. Wenn Bohlen besonders begeistert oder besonders genervt ist. Oder wenn alle Kandidaten aufstehen, um beim Auftritt eines Kollegen mitzuklatschen. Weicker bestimmt, wie die Zuschauer zuhause eine Situation wahrnehmen und bewerten, allein durch die Bildreihenfolge, die er festgelegt. Man könnte genauso gut sagen: er manipuliert.
Das Fernsehblog: Gibt es Perspektiven, die Sie hauptsächlich verwenden, weil sie vielleicht besonders stark sind?
Volker Weicker: Natürlich ist es eine tolle Möglichkeit, sich mit der Kamera zu bewegen und vielleicht aus einer Totalen ganz nah an einen Kandidaten heranzugehen – zumindest wenn man das im Einklang mit der Musik hinbekommt. Das größte Manko im deutschen Fernsehen ist meiner Meinung nach, dass anscheinend zu wenig zugehört wird: Sie sehen bei fast jeder Talkshow, wie ein Gast spricht und mitten in der Aussage in die Totale geschnitten wird. Damit bekommt der Zuschauer aber das Gefühl vermittelt: Das ist nicht mehr wichtig. Ich finde, man muss lernen, mit Bildern auch zu werten und Situationen durch die Bildauswahl eine Gewichtung zu geben.
Im Idealfall produziert diese Auswahl eine Show, die visuell beeindruckender ist als man das sonst vom Fernsehen kennt, wenn um Oliver Geißen auf dem Sofa herum immer dieselben Kulissen aufgebaut werden. Aber natürlich liegt es auch an Weickers „Gewichtung“, ob Skandale verstärkt werden, die RTL um seine Kandidaten und deren (angebliche) Zerstrittenheit rankt, einfach weil die Zuschauer ständig miterleben können, wie der eine auf den anderen reagiert.
Wer Lust hat, kann bei „DSDS“ großen Spaß haben, indem er einfach die Inszenierung genießt – und zwischendurch mal darauf achtet, welche Bilder in welchen Momenten gezeigt werden und warum wohl. Manchmal hilft das, um bei all der Aufregung, die die Show produziert, nicht zu vergessen, dass es am Ende doch bloß Fernsehen ist.
Mehr über die Kameras bei „DSDS“ steht am Freitag im Fernsehblog.
Foto V. Weicker: RTL
Danke für das gute Interview....
Danke für das gute Interview. Freu mich schon auf morgen.
"...dass es am Ende doch bloß...
„…dass es am Ende doch bloß Fernsehen ist.“
…und nicht mal gutes Fernsehen. Die Atmosphäre, die Herr Weicker bei DSDS erzeugt finde ich einfach nur abstoßend. Abgesehen vom schlechten Inhalt, der in der Sendung präsentiert wird, sorgt der Einsatz so vieler Kameras dafür, dass sich der Zuschauer als Voyeur fühlt. Wers mag…
Der unvergleichliche Peer...
Der unvergleichliche Peer Schader schrieb neulich über ein arte-Format: „Ein echter Fernsehleckerbissen, der ganz auf Boulevard-Zutaten verzichtet.“
Schade, dass das hier im Blog nicht auch stattfindet. Hier gibts immer nur kühle, durchkalkulierte RTL-Auslands-Einkaufware, die ohnehin jeder zu schauen scheint.
Auch eine hochprofessionell,...
Auch eine hochprofessionell, mit dem Einsatz avanciertester Technik brillant inszenierte Verblödung ist immer noch eine Verblödung. Das war halt schon das Problem von Leni Riefenstahl …
"aus dem Coloneum, einer Halle...
„aus dem Coloneum, einer Halle für Fernsehproduktionen“ – früher hieß das schlicht und einfach „Studio“. 😉
Aber durchaus interessanter Bericht. Danke!
@Seegurke: Aber vielleicht...
@Seegurke: Aber vielleicht schreib ich bald mal einen Text darüber, dass Überschriften und Teaser (außer in Blogs) auch bei Online-Texten selten von freien Autoren stammen, obwohl die sich nachher öfter mal dafür rechtfertigen müssen?
Falls das die etwas umständliche Aufforderung war, mehr Arte ins Fernsehblog zu bringen, berücksichtige ich dies aber gerne bei der Themenfindung.
Hmmm, bringt mich auf eine...
Hmmm, bringt mich auf eine gute Idee…
„Schatz, ich gucke den Porno doch nur, weil ich von der Kameraführung, der Perspektive und der Schnitttechnik so begeistert bin!“ :o)
Im Gegensatz zur wirklich...
Im Gegensatz zur wirklich großartigen Bühnenshow und Kameraführung bei DSDS muss man aber die Tonmischung öfters mal tadeln. Oft gegen die Stimmen der Kandidaten in der Msik unter.
Vielleicht ist das ja auch Absicht, damit man von der wahren Stimmqualität nicht so viel mitbekommt 😉
<p>Anderes Thema - ähnliche...
Anderes Thema – ähnliche Empfehlung: eine Sendung, die man sich unter den gleichen Gesichtspunkten anschauen kann, ist der Eurovision Song Contest. – Und im übrigen finde ich es großartig, dass Fernsehen hier ohne den arte-Dünkel aufs Korn genommen wird (nicht wegen arte, sondern wegen des Dünkels).
Großes Lob für solche...
Großes Lob für solche Reportagen/Interviews, genauso wie für die Ideenklau-Reihe! Da lernt man ja noch richtig was über Fernsehen und seine Hintergründe und kann sich die 30 Jahre alten Klassiker unter den Fachbüchern fast sparen.