Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Der Quizshowallergiker: Helmut Lehnert hört beim RBB auf

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Helmut Lehnert hört als Unterhaltungschef beim RBB auf – nach nicht mal vier Jahren, in denen er mit "Thadeusz", "Kurt Krömer – Die internationale Show" und "Berliner Nacht-Taxe" gezeigt hat, wie öffentliches-rechtliches Fernsehen unterhalten kann ohne dafür sich selbst oder die Privaten kopieren zu müssen.

Heute machen wir uns mal nützlich und greifen dem RBB unter die Arme. Dort ist seit anderthalb Wochen ein Pöstchen frei, das es schleunigst zu besetzen gilt. Auf die Frage, was er seinem Nachfolger empfehlen würde, antwortet Helmut Lehnert, der den Job bisher erledigt hat: „Gelassenheit. Ruhe. Kommunikationsfähigkeit. Kein aufgeblasenes Ego. Moral.“ Wenn man den ehemaligen RBB-Unterhaltungschef anschließend fragt, ob er das wirklich ernst meine, nickt er und ergänzt:

„Die ganzen zynischen Leute, die in dieser Branche so rumlaufen, kann das Fernsehen nicht gebrauchen. Und der RBB schon gar nicht. Diesen Job muss ein anständiger Mensch machen, jemand, der Respekt vor seinen Mitarbeitern und seinen Zuschauern hat.“

Ja, ja, Sie haben das schon richtig verstanden, es geht um Unterhaltungsfernsehen. Oder besser: Um eine etwas ungewohnte Art und Weise, welches zu machen. Vielleicht kennen Sie Helmut Lehnert nicht. Aber diese drei Herren kennen Sie doch bestimmt:

Bild zu: Der Quizshowallergiker: Helmut Lehnert hört beim RBB auf

Michael Kessler (oben) fährt für den RBB in der „Berliner Nacht-Taxe“ durch die Hauptstadt, um mit Fahrgästen Spontangespräche zu führen. Kurt Krömer (links) kalauert sich so unverschämt durch seine „Internationale Show“, dass man sich beim Zuschauen manchmal fragt, ob seine Sendung wirklich im Ersten läuft. Und Jörg Thadeusz moderiert eine der wenigen Talksendungen, bei der man das Gefühl hat, dass es dort wirklich noch aufs Gespräch mit dem Gast ankommt. Alle drei Sendungen sind ein schönes Beispiel dafür, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen sein könnte, wenn es nicht ständig versuchen würde, sich selbst oder die Privaten zu kopieren, um sein Publikum zu unterhalten. Daran, dass es sie überhaupt gibt, ist Helmut Lehnert nicht ganz unschuldig. Er sagt:

„Die ARD hat den großen Vorteil, dass sie in den Dritten Programmen neue Talente aufbauen kann. Das war auch mein Ziel: Jörg Thadeusz und Kurt Krömer fit für die ARD zu machen. Allerdings gehören beide zu den Personen, die polarisieren – und Leute, die polarisieren, werden in der ARD nach wie vor nicht gern genommen. Heute sind viele Moderatoren so glattgebügelt. Kerner, Pilawa, die sind ja alle nicht schlecht. Aber sie bieten Erwartbares. Und das ist auf Dauer langweilig.“

    Manche haben gesagt: Warum machst du keine Quizshows, anderswo funktioniert das doch auch

Wenn Lehnert übers Fernsehmachen redet, darüber, dass man statt großer Budgets manchmal nur eine gute Idee braucht, darüber, dass man nicht ständig darauf schielen dürfe, was die anderen machen, und dass neue Sendungen Zeit brauchen, um sich zu entwickeln, hört sich das alles ziemlich untypisch an für jemanden, der in Deutschland Unterhaltungsfernsehen macht. Und deshalb gehen die Meinungen über seine Arbeit auch auseinander: „Es gibt überall Leute, auch im RBB, die eine vollkommen andere Vorstellung von Fernsehen haben als ich“, erzählt Lehnert. Manche haben gesagt: Schau mal, bei den anderen Dritten funktionieren Quizformate so gut, warum machst du das nicht auch? Und er hat gesagt: Weil mich das nicht interessiert. Irgendwie lässig. Und ganz schön naiv. Aber das ist nicht der Grund, warum Lehnert jetzt aufhört.

Dass er den Job als Unterhaltungschef überhaupt angenommen hat, war vor vier Jahren für die meisten eine Überraschung. Eigentlich ist Lehnert nämlich ein Radio-Mann. Fast ein Vierteljahrhundert hat er in Berlin und Brandenburg Radio gemacht, im wahrsten Sinne des Wortes. Er hat Radio Fritz erfunden, um die jungen Leute nicht kampflos den Privatsendern zu überlassen, und gezeigt, dass man dafür keinen Dudelfunk betreiben muss. Mit Radio Eins hat er einen Sender aufgebaut, von dem sich andere ARD-Anstalten was abschauen könnten: ein Programm, das zeitgemäße Musik spielt ohne vollständig dem Mainstream zu verfallen und das dabei auch noch informativ sein kann. „Bei vielen Entscheidungen haben die Leute erstmal gesagt: Das funktioniert nicht, das will der Markt nicht“, sagt er. Glücklicherweise ist es meistens anders gekommen.

Bild zu: Der Quizshowallergiker: Helmut Lehnert hört beim RBB aufBeim Fernsehen hat das nicht ganz so reibungslos geklappt: „Dickes B.“, der Freitagstalk, den der RBB seit einem halben Jahr im Wechsel mit den etablierten Gesprächsrunden der anderen Landessender zeigt, ist nicht nur der einzige mit eigenem Orchester – sondern auch der mit den verheerendsten Quoten. Und mit „Krömer“, „Thadeusz“ und „Berliner Nachttaxe“ holt der RBB auch nicht gerade Zuschauerzahlen, die die Verantwortlichen in Jubel ausbrechen ließen. Aber fragen Sie doch mal Leute zwischen 20 und 35, welche Sendungen die sonst aus den Dritten Programmen kennen. (Außer denen, die immer im Hintergrund laufen, wenn sie bei den Großeltern zu Besuch sind.)

„Die Idee war immer, das zu spiegeln, was aktuell in der Welt passiert“, sagt Lehnert. Und lästert ein bisschen:

„Ich glaube, viele Leute, die in den Chefetagen der Medien arbeiten, wissen gar nicht mehr, in welchem Land und in welcher Gesellschaft sie leben, was da abends eigentlich abgeht in Kreuzberg oder in Mitte. Die kennen sich einfach nicht mehr aus.“

Lehnert hat früher regelmäßig als DJ auf der „Schönen Party“ aufgelegt, die Radio Eins alle zwei Wochen in Berlin veranstaltet, und nachher, wie er selbst sagt, das Glück gehabt, von zwei „pfiffigen Kindern“ gesagt zu bekommen: „Geh mal auf Youtube, Alter.“ Womöglich war es aber blauäugig, zu glauben, beim Fernsehen einfach so weiter machen zu können wie vorher beim Radio, wo man morgens in den Sender gehen konnte und sagen: Ich hab ’ne Idee, lass uns das mal ausprobieren. 

    Lehnert passt nicht zum Fernsehen, aber das Fernsehen kann einen wie ihn dringend gebrauchen

„Wenn jemand so ungeduldig ist wie ich, ist Fernsehen eher anstrengend“, sagt Lehnert. Und trotzdem scheint ihm der Job Spaß gemacht zu haben, obwohl so ein Unterhaltungschef ja auch für Volksmusik und allerlei andere Programme zuständig ist, die man einem Zappa-Fan wie Lehnert eher nicht so zutraut. Das muss ein interessantes Bild gewesen sein: Lehnert auf dem „Musikantendampfer“ unterwegs über Flüsse und Seen in Berlin und Brandenburg, zusammen mit Stefanie Hertel, dem Nockalm Quintett und den Wildecker Herzbuben. Das gehört eben dazu, sagt Lehnert, und verteidigt die Show:

„Der ‚Musikantendampfer‘ ist glaube ich die preiswerteste 90-Minuten-Sendung, die es in der ARD-Primetime gibt – und man sieht ihr das nicht an. Sie ist toll produziert, die Künstler gehören zu den besten, die man in diesem Genre bekommen kann. Und ich finde Maxi Arland moderiert genauso gut wie Florian Silbereisen. Da stimmt eigentlich alles. Ein bisschen gedrückt hab ich mich immer um ‚Karneval in Cottbus‘. Da war ich glaub ich nur einmal dabei. Naja, und um die Elblandfestspiele.“

Es ist halt so, dass Lehnert trotz allem nicht wirklich zum Fernsehen passt, das Fernsehen einen wie ihn aber dringend gebrauchen kann. Weil sich sonst mit der Zeit die Frage stellt, wofür wir überhaupt so viele Dritte Programme brauchen, wenn dort nicht mal mehr ausprobiert wird. RBB-Intendantin Dagmar Reim hätte Lehnert gerne gehalten. Dennoch hat er seinen Job als Unterhaltungschef Ende April aufgegeben, ganz einfach aus gesundheitlichen Gründen:

„Ich hab mich immer über die Leute geärgert, die ihr ganzes Leben der Arbeit gewidmet haben, in meinem Alter dann die rote Karte gezeigt bekommen haben und danach trotzdem so weitergemacht haben wie vorher. Das wollte ich nicht.“

    Für die ARD ist Lehnerts Abschied ein Problem. Es hat nur noch keiner gemerkt

Aber das heißt nicht, dass er jetzt einfach so aufhören kann zu arbeiten. Mit 59 ist es noch ein bisschen früh, sich künftig ausschließlich mit Kreuzfahrten und Rätselheften zu beschäftigen. Vor anderthalb Wochen hat er die Leitung der Berliner Theater Bar jeder Vernunft und TIPI am Kanzleramt übernommen. Und das passt ja, immerhin hat der Mann  Theaterwissenschaften studiert und schon vor Jahren davon geschwärmt, irgendwann noch mal die Seiten wechseln zu wollen. Lehnert will zumindest „Thadeusz“ und „Dickes B.“ redaktionell weiter  betreuen. Hört sich so an, als sei das zusammen fast mehr Arbeit als vorher. „Kann sein“, grinst Lehnert dann und verabschiedet sich freundlich.

Mag sein, dass für ihn der Abschied vom Fernsehen die richtige Entscheidung war. Für die ARD ist er das nicht. Es hat dort nur fast noch keiner gemerkt.

Alle Fotos: RBB


12 Lesermeinungen

  1. Spooky sagt:

    Hat zwar nichts mit seinem...
    Hat zwar nichts mit seinem Abgang vom Fernsehen zu tun, aber dennoch:
    Komme aus dem schönen Chemnitz. Die sächsische Radiolandschaft, auch und vor allem die öffentlich-rechtliche ist nicht zu ertragen. Deshalb bin ich ihm um so dankbarer, im Kabel „seine“ RBB Radios Fritz und Radioeins hören zu können, je nach Stimmung. Danke für diese Perlen, wenn sich die MDR-Radio-Macher auch nur einen Happen davon abschauen würden …

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