Das Fernsehblog

Das große Klauen (5): Warum der Kinderquatsch den Formatschutz erledigte

Wir müssen mal kurz einen kleinen Umweg machen: Als Vera Int-Veen im Herbst 2006 von RTL 2 zu RTL wechselte, war das aus ihrer Sicht bestimmt ein netter Karriereschub. Und für Martin Husmann, Geschäftsführer der Produktionsfirma Blue Eyes, ein ziemlicher Schreck.

Für RTL 2 hatte Int-Veen zuvor „Glück-Wunsch – Vera macht Träume wahr“ moderiert: eine Sendung, in der sie Menschen besucht, die Schicksalsschläge zu verkraften hatten und Hilfe bei einem Neuanfang benötigten. „Glück-Wunsch“ sorgte nicht nur dafür, dass sich das Genre mit dem etwas merkwürdigen Koppelnamen „Helptainment“ im deutschen Fernsehen etablierte, sondern auch dafür, dass Int-Veen nach zwei Staffeln als kompetent-einfühlsame Fernsehhelferin bekannt war.

Also machte sie nach ihrem Wechsel zu RTL dort dasselbe – eine Sendung mit dem Titel „Helfer mit Herz“, in der sie Menschen besucht, die Schicksalsschläge zu verkraften hatten und Hilfe bei einem Neuanfang benötigten. Nur wurde „Helfer mit Herz“ nicht mehr wie „Glück-Wunsch“ von Blue Eyes produziert, die die Sendung (nach eigener Auskunft) in Zusammenarbeit mit RTL 2 entwickelt hatten, sondern von Int-Veens eigener Firma time 2 talk, die zum Jahresende 2006 von MME übernommen wurde.

Das hat Blue Eyes nicht so gut gefallen, vor allem, weil man dort erst aus der Presse von „Helfer mit Herz“ erfuhr, obwohl es eine vertragliche Vereinbarung mit Int-Veen gegeben habe, dass sie nicht für andere vergleichbare Formate zur Verfügung stehen sollte und sowohl Blue Eyes als auch RTL 2 an einer dritten Staffel „Glück-Wunsch“ interessiert waren.*

Als „Helfer mit Herz“ dann tatsächlich im Fernsehen lief und in vielerlei Hinsicht an die RTL-2-Variante erinnerte, klagte Blue Eyes gegen Int-Veen, weil die sich das Know-How für ihre neue Sendung quasi durch die Moderation von „Glück-Wunsch“ erschlichen habe (ausführlicher stand das schon bei DWDL). Ungeheuerlich war das deshalb, weil klar war, dass es in einem Prozess auch um das Thema Formatklau gehen würde. Und genau dieses Thema ist in Deutschland seit dem Jahr 2003 so gut wie unmöglich vor Gericht zu verhandeln.

Grund dafür ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26. Juni 2003 (pdf). Anlass war die Auseinandersetzung um das französische Format „L’école des fans“, das der SWR ohne Lizenzgrundlage als „Kinderquatsch mit Michael“ ins Fernsehen gebracht haben soll, obwohl es das Konzept vorher von einem Produzenten angeboten bekam, der sich die Rechte an dem Format gesichert hatte. Der BGH befand nicht nur, dass „L’école des fans“ aus „gemeinfreien Gestaltungselementen“ zusammengesetzt sei und deshalb nicht nach dem Urheberrecht schutzfähig sein könne, sondern auch, dass das generell für Fernsehshow-Konzepte gelte. Das also „das Format für eine Fernsehshowreihe, in dem die Konzeption für eine Unterhaltungssendung mit Studiopublikum ausgearbeitet ist (…) im allgemeinen nicht urheberrechtlich schutzfähig“ sei (Pressemitteilung von 2003).

Natürlich ist das Urteil ein bisschen komplizierter und an dieser Stelle sehr vereinfacht zusammengefasst. Wichtig ist aber vor allem, dass es einen Formatschutz, wie er in anderen Ländern üblich ist, in Deutschland unmöglich macht und deshalb in der Fernsehbranche als umstritten gilt.

Bloß: Was hat das mit Vera Int-Veen zu tun?

Ganz einfach: Seit 2003 können sich Beklagte, die sich wegen Formatklaus vor Gericht rechtfertigen müssen, auf genau dieses Urteil berufen. Damit sind die Aussichten für eine Produktionsfirma, sich gerichtlich gegen einen möglichen Klau durchzusetzen, sehr gering. Und genau deshalb hat es seitdem auch fast keiner versucht.

Vorsichtshalber beschränkte sich Blue Eyes bei der Klage gegen Int-Veen auf wettbewerbsrechtliche Argumente, die durch die vertragliche Vereinbarung beider Seiten belegt werden konnten – und zog die Klage letztlich doch zurück. Wer Husmann heute fragt, wieso eigentlich, der bekommt die Auskunft: Weil die Richter signalisierten, nicht über den Umweg des Wettbewerbsrechts einen Formatschutz für TV-Shows in Deutschland einführen zu wollen. Denn den hat der BGH ja bereits ausgeschlossen.

Von RTL, das von Int-Veens Wechsel profitiert, gibt es zu der Angelegenheit auf Nachfrage keine Stellungnahme.

Und wenn Sie jetzt glauben, dass das alles schon kompliziert genug klingt, warten Sie mal ab, bis wir geklärt haben, wie es zu dem BGH-Urteil gekommen ist. Morgen im Fernsehblog.

 

* Dass Blue Eyes selbst schon mal in Verdacht stand, sich für die Pro-Sieben-Show„Die Alm“ (2004) beim schwedischen Format „The Farm“ bedient zu haben, ist eine andere Geschichte.

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