Um zu verstehen, warum in Deutschland so viele Fernsehformate geklaut werden, muss man sich das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) genauer ansehen. Und weil das für Nicht-Juristen gar nicht so leicht zu überschauen ist, fragen wir besser jemanden, der sich damit auskennt: Christoph Fey nämlich.
Der ist Rechtsanwalt und weiß so ziemlich alles über Formatklau, weil er als unabhängiger Experte schon viele Streitfälle geschlichtet hat, in denen es genau darum ging. In den Jahren 2002 bis 2005 war er außerdem Geschäftsführer der Formatschutz-Organsiation FRAPA (die uns auch schon begegnet ist).
Christoph Fey ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Unverzagt von Have und spezialisiert auf Fragen zu Entwicklung, Herstellung und Verwertung von TV-Formaten.
Das Fernsehblog: Herr Fey, was ist eigentlich das Problem am BGH-Urteil von 2003?
Christoph Fey: Das war das erste Mal, dass der Bundesgerichtshof einen Formatstreitfall entschieden hat. Im Urteil heißt es, dass Formate für Unterhaltungsshow-Reihen „im Allgemeinen nicht urheberrechtlich schutzfähig“ sein können. Der BGH hat also nicht nur festgelegt: Dieses eine Format, „L’école des fans“, um das es damals ging, ist kein geschütztes Werk, weil darin keine echte eigenschöpferische Leistung zu erkennen wäre. Die Schwierigkeit liegt in der nicht notwendigen, leichtfertigen Verallgemeinerung, die alle Unterhaltungsshow-Formate über einen Kamm schert.
Und wenn vor Gericht noch nicht einmal anerkannt wird, dass man überhaupt ein Urheberrecht an einem solchen Format haben kann, dann kann die Nachahmung auch nicht als Urheberrechtsverletzung gelten. Welche Kopierwut seitdem im deutschen Fernsehen ihr Unwesen treibt, kann jeder unschwer erkennen, wenn er den Fernseher anmacht.
Warum haben die Richter dann überhaupt diese Formulierung gewählt?
Mir ist das nach wie vor ein Rätsel, warum sich der BGH zu einer solchen Verallgemeinerung hat hinreißen lassen. Ich glaube, das ist einfach ein schlechtes Urteil. Und in gebildeten Kreisen ist die Beschäftigung mit Unterhaltungsfernsehen ja alles andere als eine vornehme Angelegenheit. Warum sollte man den Entwicklungsleistungen des Unterhaltungsfernsehens allzu große Aufmerksamkeit schenken, wenn man schon kaum zugeben mag, sich jede Woche „Wer wird Millionär?“ anzusehen? Es gehört ja schon fast zum guten Ton, auf das Unterhaltungsfernsehen mit einem gewissen Hochmut hinabzusehen. Juristen sind in der Sprache des geschriebenen Wortes ausgebildet, aber nicht in der Sprache der bewegten Bilder. Da kann man sich schon mal missverstehen.
Aber die Richter werden sich mit diesem einen Fall vorher doch intensiv auseinander gesetzt haben, oder?
Der Beklagte im damaligen Gerichtsverfahren war der Südwestrundfunk (SWR), und der hatte natürlich kein Interesse, als Fürsprecher des Urheberrechtsschutzes aufzutreten. Im Gegenteil: Es wurde versucht, die Formatentwicklung möglichst klein zu reden, damit das Gericht bloß nicht auf die Idee kommt, dass sie irgendeinen Urheberrechtsschutz verdient hätte. Die Richter haben sich das angehört – und womöglich einen falschen Eindruck bekommen. Die Vertreter des SWR waren ja die Fernsehfachleute des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Wer hätte die anzweifeln wollen?
Was macht denn ein Werk überhaupt schützenswert?
Im deutschen Urheberrecht werden nur „persönliche geistige Schöpfungen“ als geschütztes Werk anerkannt, im englischen und amerikanischen Urheberrecht spricht man von „expression of originality“. Es geht im Wesentlichen um den Ausdruck eigener Originalität, die eine sinnlich wahrnehmbare Formgestaltung gefunden haben muss. Einfache, ungestaltete Ideen, auf die jeder hätte kommen können, werden vom Urheberrecht nicht geschützt, auch Stil und Technik sind ausgenommen, genauso wie Tatsachen, die ja nicht das Werk von Menschen sind.
Möglich ist allerdings eine besondere „Kombinationsoriginalität“, wenn also schutzlose Bestandteile auf eine besondere Art ausgewählt und angeordnet werden. So wie erst die Kombination von Noten eine Melodie ergibt oder die Kombination von Worten ein Gedicht. Urheberrechtsschutz wird vom BGH durchaus auch für die „fiktive Handlung“ anerkannt. Dabei könnte man die, zum Beispiel die Handlung eines Romans, sicherlich ebenso gut als „Format“ bezeichnen.
Nur für nicht-fiktionales Fernsehen gilt das nicht?
Genau. Der Bundesgerichtshof meint, dass Unterhaltungsshow-Formate „im Allgemeinen keine fiktive Welt“ entwerfen. Aber auch der Inhalt einer Unterhaltungsshow ist ja nicht vorgegeben, sondern frei erfunden. Und es wäre doch recht einfältig zu glauben, dass eine „Reality Show“ allein die Wirklichkeit wiedergebe. Dabei kommt es darauf nicht einmal an, weil das Gesetz eine solche Abgrenzung eigentlich gar nicht verlangt. Eine „persönliche geistige Schöpfung“ setzt nicht zwingend voraus, dass eine „fiktive Welt“ geschaffen wird – weshalb beispielsweise auch geschichtliche Dokumentarfilme oder naturwissenschaftliche Fachaufsätze vom Urheberrecht geschützt sein können.
Warum gibt es bei den Gerichten denn dann keine Bereitschaft, das zu ändern?
Richter können nur entscheiden, wenn jemand klagt. Wenn sie sehen, welche Folgen ihre Rechtssprechung hat, werden sie diese Folgen in ihrem Urteil bedenken – aber dazu müssen diese Folgen erst einmal erkannt werden.
Helfen Sie ein bisschen?
Wegen des BGH-Urteils ist in Deutschland ein Markt entstanden, in dem es allenfalls noch eine großzügige Gnade ist, für Formatentwicklungen zu zahlen. Viele denken sich: Warum soll ich überhaupt Rechte an einem Format erwerben, wenn man es doch auch einfach nachmachen kann? Warum soll ich etwas kaufen, das man von Rechts wegen auch klauen darf? Das trifft nicht in erster Linie den Produktionsmarkt, sondern den Entwicklungsmarkt, der deswegen austrocknet. Nachahmer können sich durch kostenlose Selbstbedienung einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, weil sie sich Investition in eigene Formatentwicklung sparen – und deshalb die Preise auf dem Markt unterbieten. Das Plagiat ist dann billiger als das Original.
Das Problem ist also, dass sich noch kein Gericht wirklich mit dem Formatschutz auseinander gesetzt hat?
In Deutschland sind bisher sehr wenige Formatstreitfälle vor Gericht verhandelt worden, deshalb kann man den Gerichten die mangelnde Erfahrung eigentlich kaum vorwerfen. Ein bis in alle erdenklichen Einzelheiten entwickeltes Format mit umfassender Produktionsbibel haben deutsche Gerichte jedenfalls noch nicht zu Gesicht bekommen. Und der BGH hat sich in seinem Urteil an allerlei Beschreibungen des Begriffes aus akademischen Juristenbüchern entlang gehangelt, obwohl die nur noch wenig gemeinsam haben mit dem, was Programmmacher im Formatlizenzhandel als „Format“ verstehen und als wirtschaftliches Eigentum untereinander anerkennen.
Also bräuchte es einen Präzedenzfall, um die Lage zu ändern?
Ja, einen, der einer eingehenden Untersuchung vor Gericht standhalten kann. Die Frage ist: Wer wird der Kläger sein, der sich wagt, einen solchen Präzedenzfall zu schaffen? Es muss schon einer sein, dem ein richtiges Geschäft verloren geht, zum Beispiel große Produktionsunternehmen wie Fremantle, All3Media oder Endemol. Und es braucht einen mutigen Richter, der sich trauen würde, zu sagen: Vielleicht hat sich der Bundesgerichtshof damals geirrt, das schaue ich mir doch noch mal genauer an. Wenn das Urheberrecht kreative Leistungen schützen will, darf es sich Neuem jedenfalls nicht verschließen.
Aber: Wer profitiert denn jetzt alles von der derzeitigen Rechtsprechung? Gibt es Möglichkeiten, was daran zu ändern? Und ist das überhaupt gewollt? Weil immer noch so viele Fragen offen sind, halten wir Christoph Fey noch ein Weilchen fest. Bis morgen. Dann gibt’s an dieser Stelle den zweiten Teil des Gesprächs zu lesen.