Um das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu begreifen, muss man vielleicht erst einmal seine Macher verstehen lernen. Das ist nicht immer so einfach. Beim Medienforum NRW in Köln aber gab es Anfang der Woche zumindest in Ansätzen Gelegenheit dazu. „Was immer alle überall sehen wollen“ lautete das Thema einer Runde, in der WDR-Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff und ZDF-Programmchef Thomas Bellut saßen, um mit Vox-Geschäftsführer Frank Hoffmann und Matthias Alberti, Co-Chef der German Free TV-Sparte von Pro Sieben Sat.1, zu besprechen, wie das Fernsehen „auch in Zukunft attraktiv“ bleiben kann.
Matthias Alberti, Frank Hoffmann, Moderatorin Leo Busch, Thomas Bellut, Verena Kulenkampff (v.l.n.r.)
Natürlich ging’s vor allem um die Konkurrenz durchs Internet, die für die Leute vom Fernsehen derzeit noch keine ist. „Die Angst vor dem Flop auf dem Schirm ist immer noch ausgeprägter als die Angst vor den Internetnutzern“, sagte Bellut – und wagte, unabhängig davon, einmal mehr die spannende These: „Die Zeit der Konvergenz zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern wird eher nachlassen.“
Das ist nicht uninteressant in einer Zeit, in der das ZDF seinem Publikum alte Sat.1-Formate als programmliche Neuerungen verkauft und Ex-„Explosiv“-Mann Markus Lanz da anknüpft, wo Johannes B. Kerner bald aufhören wird, weil er sich mit seiner ganzen Kernerhaftigkeit zu Sat.1 transferiert.
Noch spannender war allerdings, was Bellut auf die Kritik antwortete, die deutschen Sender würden sich permanent selbst bestehlen: „Wir sind doch alles große Abkupferer. Ich bin schamlos da. Abkupfern gehört dazu.“ Das kann man ehrlich nennen. Oder die Frage stellen, ob nicht das exakte Gegenteil Belluts höchstes Ziel sein müsste: Sendungen zu produzieren, mit denen sich das ZDF so sehr positiv von den Privaten unterscheidet, dass die Zuschauer ihre Gebühren künftig am liebsten ein Jahr im Voraus überweisen würden. (In Ausnahmen funktioniert das ja schon, wie bei „KDD“.)
„Das Fernsehen ist immer noch das Leitmedium“, sagte sie in Köln, das Internet hingegen böte ja bloß „kleine Bilder“ und „Ausschnitte“. Ich habe das Gefühl, der WDR müsste sich mal ein paar von diesen Internetnutzern in den Sender einladen, damit die mit den Chefs mal durchs Web surfen – und Kulenkampff eventuell Seiten wie hulu.com zeigen.
Keine Frage: Professionell produzierte Inhalte funktionieren im Netz am besten, und derzeit kommen die eben immer noch mehrheitlich aus dem Fernsehen. Aber wer sagt, dass das so bleiben wird? Schon jetzt etabliert sich online eine neue, günstige Produktionsweise, mit der sich Inhalte herstellen lassen, für die sich das Fernsehen zu fein ist. Beim WDR scheint man sich gar nicht vorstellen zu können, dass man nicht immer riesige Studios mit fünf, sechs Kameras braucht, um die Menschen zu unterhalten.
Es geht gar nicht darum, dass das Internet das Fernsehen ablösen könnte – das ist womöglich wirklich Quatsch, wenn sich das Medium auf das besinnt, was es wirklich kann: große Liveshows, tolle Filme, spannende Serien. Aber schon jetzt ist doch zu sehen, wie die Ränder wegbrechen: Am Nachmittag ist das Fernsehen zum Teil unerträglich, nicht nur bei den Privaten. Programme werden immer günstiger produziert, die Inhalte sind zum Teil austauschbar. Das ist das Fatale an der Sichtweise, die bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, vor allem der ARD, so verbreitet ist: Dass sich das Fernsehen, mit dem sie sich so gut auskennen, niemals verändern wird. Dabei stecken wir schon mittendrin in dieser Veränderung.
Keiner erwartet, dass in Mainz oder München das Fernsehen neu erfunden wird. Aber viele Zuschauer haben sich längst abgewöhnt, vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk überhaupt noch etwas Besonderes zu erwarten. Für ein „Leitmedium“ ist das ganz schön arm.
Fotos: Medienforum NRW