Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Der Tag, an dem das Fernsehen dabei war, als Michael Jackson starb

| 76 Lesermeinungen

Uri Geller in den "Tagesthemen"? Thomas Gottschalk als "heute journal"-Korrespondent? Und "DSDS"-Kandidat Menderes Bagci als "Explosiv"-Experte am Telefon? Es ist erstaunlich, in welchem Ausmaß der Tod Michael Jacksons seit der Nacht von Donnerstag auf Freitag die Medien durcheinander wirbelt. Eine Beispielsammlung.

Als am Freitag auch die „Tagesschau“ um 20 Uhr mit der Nachricht vom Tod Michael Jacksons begann, war klar, dass der Tag nicht viel seltsamer werden könnte. Im „Tagesschau“-Blog berichtet „ARD aktuell“-Chef Kai Gniffke, wie er vorher entschieden hatte, mit Jackson aufzumachen:

„Die gesamte Redaktion hat gegen meine Idee argumentiert. Es gab zwar kaum jemanden, dem der ‚King of Pop‘ als Person irgendwie sympathisch gewesen wäre. Aber das ist nun mal kein Nachrichtenkriterium. (…) Jacksons Tod ist Gesprächsthema bei hunderten Millionen Menschen, vielleicht Milliarden. Was braucht ein Tagesschau-Aufmacher-Thema noch mehr?“

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Screenshot: ARD

Es ist erstaunlich, in welchem Ausmaß Jacksons Tod seit der Nacht von Donnerstag auf Freitag weltweit die Medien durcheinander wirbelt. Nicht nur, weil der frühere „King of Pop“ in den vergangenen Jahren den meisten Journalisten (zumindest in Deutschland) allenfalls eine Randbemerkung in den Klatschspalten wert gewesen war, sondern weil diese Art der Dauerberichterstattung sonst nur vorkommt, wenn auf der Welt große Unglücke und Katastrophen passiert sind. Das hat auch im deutschen Fernsehen zu einigen Situationen geführt, an die man sich noch eine Zeitlang erinnern wird.

Jedenfalls ist anzunehmen, dass es Uri Geller nach diesem Freitagabend nicht mehr so schnell in die „Tagesthemen“ schaffen wird.

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Screenshot: ARD

Und dass Thomas Gottschalk einmal zu Beginn eines „heute journals“ als Korrespondent live aus Los Angeles zugeschaltet werden würde, hätte vorher vielleicht auch niemand gedacht. Mit wirren Haaren und ganz in schwarz gekleidet stand Gottschalk vor Jacksons Haus in L.A., wo den ganzen Tag über schon die vielen anderen Korrespondenten gestanden hatten, und lieferte erstaunlicherweise eine der besten Analysen des Tages.

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Screenshot: ZDF

Anstatt atemlos aus Agenturmeldungen zu zitieren und Halbwissen vorzutragen, erklärte Gottschalk schlicht, wie er Jackson einmal bei „Wetten dass..?“ begegnet sei, wie sehr er auf ihn den Eindruck einer „gespaltenen Persönlichkeit“ gemacht hatte, der jedes Gespräch als „persönliche Bedrängung“ empfand, ein Mann, der in den einfachen Dingen des Lebens „nicht funktionierte“, aber auf der Bühne sofort umschalten konnte, um das Publikum mitzureißen. Das war hochgradig subjektiv – aber im Vergleich zu dem, was die zahlreichen „Experten“ davor schon losgelassen hatten, zumindest glaubwürdig und interessant.

Besonders gefragt war an diesem Tag Jacksons Biograf Christian Marks, der am Nachmittag bei N24 auf die Frage antwortete, ob Jackson die ab Juli geplanten Comeback-Konzerte überhaupt hätte durchstehen können:

„Ich denke schon, denn eigentlich war er ja ganz schön fit. Und er hat auch angefangen, weiter zu trainieren, mit Fitnesstrainern seine Physis zu verbessern. Er wusste, was ihm bevorsteht, er ist ja Profi.“

In „Exclusiv“ bei RTL erzählte Marks am Abend exakt das Gegenteil:

„Er war ja schon sehr mager, fast magersüchtig. Ich glaube, dass die Kombination aus psychischer und physischer Belastung für sein Herz zuviel war.“

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Screenshots: N24/RTL

Auskenner waren gefragt an diesem Freitag, und die meisten davon trieb RTL auf, nachdem n-tv bereits mit den Jackson-Experten Karl-Theodor zu Guttenberg (der mal auf einem Konzert war) und Ralph Siegel („Ich hab mal eine Jacke von ihm ersteigert zu einem guten Zweck“) vorgelegt hatte. Der „Explosiv“-Redaktion gelang es, für ihre 18 Uhr-Sendung Menderes Bagci aus Kreta am Telefon zuzuschalten, der seit mehreren „DSDS“-Staffeln als Running Gag benutzt wird, weil er sich auf schief klingende Jackson-Imitationen spezialisiert hat, und nun erzählen durfte: „Er ist für mich alles.“ (Bei RTLnow ist die Sendung „aus rechtlichen Gründen“ nicht abrufbar.) Familie Wolf aus Meissen, die Jackson nach der Oder-Flut vor sechs Jahren, auf sein Anwesen eingeladen hatte, erzählte „Explosiv“, wie geschockt sie sei. Und der 28-jährige Mageburger Maschinenbaumechaniker Alexander, seit seiner Kindheit großer Jackson-Fan, war so am Boden zerstört, dass er am Freitag nicht zur Arbeit gehen konnte. (Wer hätte sonst auch das Kamerateam von RTL reingelassen?)

Glücklicherweise konnte „Explosiv“ auch auf den RTL-Korrespondenten Frank Fastner zurückgreifen, der schon einmal an einer verdunkelten Autoscheibe geklopft hatte, hinter der Jackson saß, bevor er von einem Leibwächter zurückgeschubst wurde. Fastner meldete sich von der Straße vor dem Krankenhaus in L.A., in das Jackson gebracht worden war, und berichtete:

„Das UCLA Medical Center in L.A. hat schon viel gesehen. Hier wurde Britney eingeliefert, hier lag Roy nach seiner Verletzung – aber mit diesem Andrang heute hat hier keiner gerechnet.“

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Screenshot: RTL

Im Anschluss übernahm „Exclusiv“, bis sich Frauke Ludowig nach einem Viertelstündchen mit einem Hinweis auf eine Sondersendung verabschiedete, für die RTL „Die 10… witzigsten Fitnessvideos“ ausfallen ließ:

„Wir von ‚Exclusiv‘ melden uns um 20.15 Uhr wieder, dann mit einem einstündigen ‚Exclusiv Special‘ zum Tod Michael Jacksons. Wäre schön, wenn Sie dabei wären.“

Vorher allerdings empfahl Petra Gerster in „heute“ ihren Zuschauern noch, für das „Leute heute Spezial“ dranzubleiben, vor dem das ZDF einen Werbespot für ein Medikament zur Verbesserung der Herzleistung zeigte („Wünschen auch Sie sich ein starkes Herz? Ein Herz, mit dem Sie aktiv Ihr Leben meistern?“). Pierre Geissensetter, der „Thriller“ von seiner Mutter geschenkt bekam, befragte nachher den stellvertretenden „Bravo“-Chefredakteur Alexander Gernandt, der vorher schon bei allen anderen Sendern Auskunft gegeben hatte. Kurz darauf meldete sich ZDF-Korrespondent Klaus-Peter Siegloch aus New York, direkt vor dem Apollo Theatre, wo Jacksons Karriere begann, und informierte:

„Es sind viele Fernsehanstalten hier, die live berichten.“

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Screenshot: ZDF

So wird dieser Tag im Juni 2009 also in die Geschichte eingehen. Als Tag, an dem das Fernsehen dabei war, als Michael Jackson starb.


76 Lesermeinungen

  1. A. Röder sagt:

    Gratulation, sehr gut...
    Gratulation, sehr gut geschriebener Beitrag!

  2. Muriel sagt:

    War es nicht Joseph Beuys, der...
    War es nicht Joseph Beuys, der gesagt hat, dass wir alle Experten sind?

  3. Alex sagt:

    Ich fand schon in der Nacht...
    Ich fand schon in der Nacht die US-Journalisten sehr niedlich, die vor dem UCLA-Krankenhaus standen, von einer riesigen Menschenmenge erzählten (die aus dem Hubschrauber heraus sehr überschaubar aussah) und sofort hinterherschoben, dass es sich dabei nicht ausschließlich um Journalisten handelt.

  4. J. S. sagt:

    Wo ist jetzt eigentlich der...
    Wo ist jetzt eigentlich der Kritikpunkt? Oder soll das keine Kritik sein?
    Hätten die Sender dann nicht über den Tod Jacksons berichten sollen, der die 80er und teilweise die 90er geprägt hat?
    Oder geht es speziell um die seltsame Berichterstattung diverser Sender?
    Also ich kenne echt keine Person, die so zum Mittelpunkt in den Nachrichten werden würde, wenn er stirbt, außer Jackson, der Papst oder der aktuelle Präsident der USA (beispielsweise durch ein Attentat).

  5. Andi sagt:

    Hervorragend geschrieben. Hat...
    Hervorragend geschrieben. Hat Spaß gemacht, das zu lesen. Vielen Dank dafür!
    Hab gestern Abend Fußball im ZDF gesehen – und natürlich in der Halbzeitpause die Nachrichten… Als Frau Slomka Thomas Gottschalk ankündigte, war ich schon sehr skeptisch. Aber der Gottschalk hat das ganz gut gemacht, denk ich.
    Dass Uri Geller mit Michael Jackson „befreundet“ war, war mir gar nicht so klar. (Wenn es denn überhaupt stimmt.) Ich hatte immer im Kopf, dass Jacko mit Liz Taylor und Bette Midler befreundet war!?
    Na, wenigstens hab ich die RTL-Sondersendung gestern nicht gesehen. 🙂

  6. pschader sagt:

    @J. S.: Tatsächlich sollte...
    @J. S.: Tatsächlich sollte das hier jetzt eher zu Dokumentationszwecken sein.

  7. Dennis sagt:

    Als nächstes wird eine...
    Als nächstes wird eine Simpsons und Futurama Serie über jackos Tod gedreht. Jacko als Kopf im Glas bei Futurama , kann ich mir schon gut vorstellen. 🙂

  8. Mickey2 sagt:

    Ich mag das auch nur als...
    Ich mag das auch nur als Feststellung und Beschreibung des gestrigen Tages ansehen. Dass über eine berühmte Persönlichkeit wie Michael Jacksons aufgrund seines plötzlichen Todes auf gebührend berichtet wird, finde ich vollkommen legitim und selbstverständlich gehört das auch als Topmeldung der „Tagesschau“ gesendet – zumal übrigens im beginnenden „Sommerloch“. Mir fallen auch nur wenige Personen der Zeitgeschichte ein, die einen ähnlichen Berühmtheit-Status haben wie Michael Jackson und sicher gehört er in eine Reihe mit Elvis Presley, John Lennon, Lady Di, Mutter Theresa (die leider damals etwas neben „Lady Di“ unterging) sowie dem Papst oder einem möglicherweise durch einen Attentat verstorbenen Regierungschef (letzteres möchte ich aber mal nicht hoffen).
    Das natürlich auch an diesem Tag sehr viel Schrott gesendet wird, da das eigentliche „Ereignis“ ja zum Glück nicht filmbar war und die Hauptpersonen zu sehr betroffen, das liegt für mich in der Natur der Sache. Aber ganz offensichtlich berührte der Tod Jackson so viele Menschen, daß eine umfangreiche „Beschäftigung“ mit dem Thema durchaus berechtigt ist. Viele Leute bewegt das Thema, deshalb sollte es auch im TV thematisiert werden.
    Ich denke auch, daß in den meisten Ländern dies eine Selbstverständlichkeit wäre und man dort nicht darüber diskutieren müsste…

  9. Paule sagt:

    Das eigentlich Bemerkenswerte...
    Das eigentlich Bemerkenswerte war für mich etwas anderes:
    Das Erste zeigte ein Konzert. 105 min lang. Und nicht für alte Leute. Und nicht nach Mitternacht. Und es ging nicht unter: ca 10% haben zugesehen. Obwohl es bekannt ist, dass „junge“ Musik ein Killer ist. Keine stundenlangen Betroffenheitsberichte. Sondern das Werk des Verstorbenen.
    Die haben sich spontan etwas getraut, und es wurde belohnt.
    Sehr schön negativ auch DWDL: Die haben die ARD wohl mehrfach mit Fragen genervt, wie man das Programm wohl verändern werde. Man erwartet einen Brennpunkt, obwohl man durchblicken ließ, dass es unnötig sei.

  10. Marlene sagt:

    Ich war nie ein großer Fan...
    Ich war nie ein großer Fan von ihm aber habe auch nicht`s gegen die Songs gehabt. Nun tun mir aber die 3 Kinder leid. Ich finde die Kinder sollten nicht getrennt werden, gerade jetzt. Die leibliche Mutter der beiden älteren sollte auch den kleinen mit zu sich nehmen.

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