Nun, da die Erlöse einbrechen und die Landesmedienanstalten auf die verwegene Idee gekommen sind, die neuen Vorschriften auch anzuwenden, hat sich die Strategie offenkundig geändert – was die alten Beteuerungen besonders märchenhaft erscheinen lässt.
Das Protokoll einer Kehrtwende.
Pressemitteilung 9Live, 3. Mai 2007:
Der TV-Anbieter 9Live, ein Sender der ProSiebenSat.1 Media AG, begrüßt die in der heutigen Sitzung der Landesmedienanstalten getroffenen Ergebnisse zur Regulierung der Gewinnspielregeln für Call TV. Die Vertreter der Aufsichtsbehörden haben sich gemeinsam mit den Veranstaltern von Call TV auf den neuen
Entwurf der Anwendungs- und Auslegungsregeln der Landesmedienanstalten für TV-Gewinnspiele geeinigt. (…) Weiterhin hat die ProSiebenSat.1 Media AG den Vorschlag eingebracht, Call TV auch medienrechtlich abzusichern. Die Sendergruppe hat sich dafür ausgesprochen, eine rundfunkstaatsvertragliche Norm zu verankern, um so Rechtssicherheit zu gewährleisten. Die Landesmedienanstalten haben diesen Vorschlag begrüßt. (…)
9Live-Geschäftsführer Marcus Wolter: (…) 9Live ist Vorreiter für transparentes, chancengleiches und faires Call TV. Als Marktführer für interaktives Fernsehen unterstützen wir alle Maßnahmen für nachhaltig anwendbare Richtlinien.
Pressemitteilung VPRT, 26. Juni 2007:
Die TV-Veranstalter im Verband Privater Rundfunk und Telemedien e. V. (VPRT) begrüßen die heute von der DLM verabschiedete Überarbeitung der TV-Gewinnspielregeln. „Unter Mitwirkung der betroffenen Fernsehunternehmen ist nun ein Regelungsinstrument zustande gekommen, das weitergehende Konkretisierungen vor allem in puncto Transparenz für den Zuschauer und zum Schutz von Minderjährigen enthält und gleichzeitig Rechtssicherheit für die Unternehmen schafft“, so VPRT-Präsident Jürgen Doetz. (…) „Auf diese Weise zeigen die TV-Veranstalter, dass es ihnen ernst ist mit den neuen Regelungen. Es ist auch in ihrem Interesse, dass die TV-Call-In-Formate als Bestandteil des redaktionellen Programms eine ausdrückliche Regelung im Medienrecht erhalten.“ Daher haben sich die privaten TV-Sender insoweit für eine staatsvertragliche Ermächtigungsgrundlage und damit auch für eine Formalisierung der Zuständigkeit der Landesmedienanstalten für Call-In-Sendungen im Rundfunkstaatsvertrag ausgesprochen.
„Der Satzungsentwurf resultiert aus der neuen staatsvertraglichen Verankerung der Gewinnspiele im 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, die wir selbst gefordert haben. Insoweit ist dies nichts Überraschendes. Ohnehin stehen wir bereits in Gesprächen mit den Medienanstalten zu weiteren Fragestellungen bei Gewinnspielen“, so der Sender in einem Statement am Freitag. Und betont gleich: „Gleichwohl praktiziert 9Live die von Ihnen geschilderten Maßnahmen zum Großteil ohnehin schon in seinem Programm, so dass wir keine wesentlichen Auswirkungen erwarten.“
Ralf Bartoleit, Geschäftsführer 9Live, 17. November 2008:
„Was unser Programm angeht, sehen wir für uns [durch die neue Satzung] keine grundlegenden Änderungen. Seit Jahren verpflichten wir uns freiwillig einem strengen Regelwerk und gehen bereits heute mit gezielten Verbraucherhinweisen über die Forderungen der Landesmedienanstalten hinaus. (…) Durch klare Regeln schafft man Transparenz und damit Vertrauen. Deshalb war und ist 9Live auch ein Treiber und Befürworter in dieser Sache. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob die deutlich gestiegene Zahl der Hinweispflichten einem Live-Programm zuträglich ist. Aber ein klares Règlement stellt auch einen fairen Wettbewerb sicher, von dem auch der Zuschauer profitiert. Wir setzen uns seit jeher dafür ein, das Geschäftsmodell langfristig und nachhaltig abzusichern.“
Ralf Bartoleit, Geschäftsführer 9Live, 21. Januar 2009:
„Im Frühjahr treten neue Gewinnspielregeln in Kraft, die für alle Anbieter von Call-TV gleichermaßen gelten. Diese gewähren Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, noch mehr Transparenz und Qualitätssicherung. Viele von den neuen Regeln finden Sie bereits in den 9Live-Qualitäten hier auf unserer Homepage.“
Sylker Zeidler, Pressesprecherin 9Live, 10. Februar 2009:
„9Live hat sich maßgeblich in die Erarbeitung der GWSPR [Gewinspielregeln] eingebracht. Wir sind sehr daran interessiert, ein einheitliches Regelwerk für TV-Gewinnspiele zu etablieren.“
„Welt am Sonntag“, 15. März 2009:
Die hauseigene Abteilung für Spieleentwicklung habe inzwischen mehr als 50 000 Quizspiele entwickelt, die den Satzungsanforderungen entsprechen, so Bartoleit. „Die neuen Inhalte kommen beim Publikum positiv an.“ Der Sender meldet aktuell gestiegene Reichweiten.
Kurz darauf brach der stete Strom von Meldungen über den Erfolg und das Glück der Regulierung abrupt ab.
epd-Medien, 24. Juni 2009:
Wegen mutmaßlicher Verstöße bei Gewinnspielen hat die Medienaufsicht Verfahren gegen die TV-Sender 9Live, DSF, Kabel Eins, Das Vierte, Sat.1 und ProSieben eingeleitet.
„Funk-Korrespondenz“, 26. Juni 2009:
Der Glücksspielsender 9Live geht juristisch gegen die seit Ende Februar gültige Gewinnspielsatzung der Landesmedienanstalten vor. 9Live hat dazu beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) eine Normenkontrollklage gegen die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) eingereicht.(…)
Nach Angaben des VGH geht der Sender nicht gegen bestimmte Regelungen in der Satzung juristisch vor, sondern gegen die gesamte Satzung. Offensichtlich fühlt sich der Sender, der im Vorfeld an der Ausarbeitung der Satzung durch die Landesmedienanstalten beteiligt war, durch die Vorschriften zu sehr in seinen Geschäften eingeschränkt.
Jürgen Doetz, Präsident VPRT, gegenüber „epd-Medien“, 29. Juli 2009:
„Und auch die Verbote, wie sie jetzt durch die Gewinnspielsatzung oktroyiert werden. Es ist gut, dass gegen die Satzung jetzt geklagt wird. (…) Bei allen Interessen, die Verbraucherschützer vertreten, muss die Politik auch an die Existenz der Rundfunkanbieter denken.“
Die Anzahl der Anrufe bei 9Live sei stark zurückgegangen, klassisches Call-TV im Sinne der typischen Gewinnspiel-Sendungen sei nicht mehr so attraktiv, so [ProSiebenSat.1-Chef] Ebeling. Einen ganzen Sender tragen kann das reine Call-TV offensichtlich inzwischen nicht mehr.
Der ProSiebenSat.1-Chef führt das auf die „juristischen Begrenzungen“ zurück, denen 9Live mittlerweile unterliege und meint damit offenbar die Gewinnspielsatzung, die seit diesem Jahr gilt und durch die den Sendern bei Verstößen erstmals empfindliche Konsequenzen drohen.