Die Älteren werden sich erinnern: Früher waren Politiker Respektpersonen. Leute, die die Geschicke eines ganzen Landes zu verantworten hatten, für Wohlstand und Gerechtigkeit sorgen sollten und denen man schon deshalb mit einer gewissen Achtung begegnet ist. Heute sind Politiker Leute, über die man sich lustig macht, dass sie vor der Wahl Sachen versprechen, die sie danach sowieso nicht einhalten werden, was aber allgemein bekannt ist, weshalb sich auch keiner mehr bemüht, diese Leute ernst zu nehmen.
Vielleicht würde es sich lohnen, die Autoren der neuen ARD-Reihe „Abgeordnet – Der Politiker-Praxistest“ dazu zu befragen. In der werden gestandene Persönlichkeiten aus der Bundespolitik für einen Tag mit dem echten Leben konfrontiert, indem sie kräftig mit anpacken müssen: Renate Künast auf dem Bauernhof, Karl Lauterbach im Krankenhaus, Gregor Gysi auf dem Bau. Das hört sich nach einer schönen Idee an (und lief ja neulich so ähnlich schon im ZDF), entpuppt sich aus Sicht der Politik allerdings als eine einzige Image-Katastrophe. Denn die SWR-Autoren haben aus „Abgeordnet“ eine Witzparade gemacht, in der Politiker zur allgemeinen Erheiterung als Schießbudenfiguren vorgeführt werden – und das nicht nur im Vorspann, für den die Köpfe der Teilnehmer auf Comicfiguren montiert wurden.
Als die Grünen-Politikerin Künast auf einen Bauernhof im tiefsten Bayern Kühe melken muss und nicht gleich Erfolg hat, meckert die Sprecherin aus dem Off: „So richtig flutschen will es noch nicht!“ In einer Bielefelder Klinik soll SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach derweil helfen, einen Patienten umzubetten – „aber anpacken ist nicht so sein Ding“, heißt es dazu spöttisch.
Es mag ja sein, dass beide sich etwas ungeschickt anstellen. Aber so ist das nunmal mit Berufen, die man nicht erlernt hat, oder schon lange nicht mehr praktiziert, und plötzlich voll funktionieren soll. Das kann nicht gutgehen.
„Abgeordnet – Politiker im Praxistest“ ist nicht nur handwerklich eine Katastrophe, mit üblen Schnitten und einem unnötig giftigen Kommentar, der vermutlich ironisch gemeint sein soll. Die Sendung zeigt auch schön, wie wenig das Fernsehen manchmal Ahnung von der eigenen Praxis hat, wenn es daran scheitert, kritischen Journalismus zu simulieren.
„Herr Lauterbach, angenommen, Sie hätten einen schweren Herzinfarkt. Wäre es Ihnen denn wichtig, schnell ein Bett auf der Intensivstation zu bekommen?“
Äh? Sicher. Aber nur wenn der SWR für diesen Bereich Drehverbot bekommt.
„Traktor statt Staatskasse, Nachttopf statt Verordnungen, Schicksale statt Aktenberge“ – so erklärt Weber zu Beginn das Konzept der Sendung (hier im „Highlights“-Video), und genau so sieht „Abgeordnet“ auch aus: Wie ein Stück Fernsehen, das sich um Differenziertheit einen feuchten Dreck schert und dem es reicht, sich über Politiker lustig zu machen, anstatt sie mit denen, die sie wählen sollen, tatsächlich ins Gespräch zu bringen.
„Abgeordnet – Der Politiker-Praxistest“ läuft bis zur Wal am späten Sonntagabend im Ersten, Folge 1 heute um 23.30 Uhr.
Fotos: SWR