Die Älteren werden sich erinnern: Früher waren Politiker Respektpersonen. Leute, die die Geschicke eines ganzen Landes zu verantworten hatten, für Wohlstand und Gerechtigkeit sorgen sollten und denen man schon deshalb mit einer gewissen Achtung begegnet ist. Heute sind Politiker Leute, über die man sich lustig macht, dass sie vor der Wahl Sachen versprechen, die sie danach sowieso nicht einhalten werden, was aber allgemein bekannt ist, weshalb sich auch keiner mehr bemüht, diese Leute ernst zu nehmen.
Innerhalb weniger Dekaden hat sich das Bild vom Beruf des Politikers grundlegend gewandelt: Wer früher Autoritätsperson war, ist heute ein Scherz. Und das Fernsehen kann daran nicht ganz unschuldig sein.
Vielleicht würde es sich lohnen, die Autoren der neuen ARD-Reihe „Abgeordnet – Der Politiker-Praxistest“ dazu zu befragen. In der werden gestandene Persönlichkeiten aus der Bundespolitik für einen Tag mit dem echten Leben konfrontiert, indem sie kräftig mit anpacken müssen: Renate Künast auf dem Bauernhof, Karl Lauterbach im Krankenhaus, Gregor Gysi auf dem Bau. Das hört sich nach einer schönen Idee an (und lief ja neulich so ähnlich schon im ZDF), entpuppt sich aus Sicht der Politik allerdings als eine einzige Image-Katastrophe. Denn die SWR-Autoren haben aus „Abgeordnet“ eine Witzparade gemacht, in der Politiker zur allgemeinen Erheiterung als Schießbudenfiguren vorgeführt werden – und das nicht nur im Vorspann, für den die Köpfe der Teilnehmer auf Comicfiguren montiert wurden.
Als die Grünen-Politikerin Künast auf einen Bauernhof im tiefsten Bayern Kühe melken muss und nicht gleich Erfolg hat, meckert die Sprecherin aus dem Off: „So richtig flutschen will es noch nicht!“ In einer Bielefelder Klinik soll SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach derweil helfen, einen Patienten umzubetten – „aber anpacken ist nicht so sein Ding“, heißt es dazu spöttisch.
Es mag ja sein, dass beide sich etwas ungeschickt anstellen. Aber so ist das nunmal mit Berufen, die man nicht erlernt hat, oder schon lange nicht mehr praktiziert, und plötzlich voll funktionieren soll. Das kann nicht gutgehen.
Eigentlich müsste es das ja auch gar nicht, hat ein Oberarzt begriffen, für den es schon selbstverständlich ist, dass das Geld, das ins Gesundheitssystem gesteckt wird, oft nicht in den Krankenhäusern ankommt. „Wenn er raus geht und das verstanden hätte, wäre das ein kleiner Erfolg“, sagt er über Lauterbach. Und fügt hinzu: „Aber letztlich glaube ich, dass sich so ein Profipolitiker in seinen Vorstellungen wenig verändert.“ Das hat er immerhin mit den Leuten vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen gemeinsam, die am liebsten die ganze Zeit zeigen würden, wie Künast sich von einem wilden Kalb über den Hof zerren lässt, haha, das hat sie jetzt davon, dass sie Politikerin geworden ist, hört man die Redakteure lachen.
„Abgeordnet – Politiker im Praxistest“ ist nicht nur handwerklich eine Katastrophe, mit üblen Schnitten und einem unnötig giftigen Kommentar, der vermutlich ironisch gemeint sein soll. Die Sendung zeigt auch schön, wie wenig das Fernsehen manchmal Ahnung von der eigenen Praxis hat, wenn es daran scheitert, kritischen Journalismus zu simulieren.
Sonst stünde zwischendurch nicht immer urplötzlich Moderatorin Birgitta Weber im signalroten Jäckchen im Bild, aus dem Nichts erscheinend wie die Grinsekatze in „Alice im Wunderland“, um vor dem Krankenbett oder am Futtertrog „Anne Will“ zu spielen und noch ein paar gaaanz kritische Fragen zu stellen, mit denen sie Künast im Arbeitsanzug und Lauterbach im Pflegerkittel nerven kann. (Vielleicht kennen Sie Weber noch aus diesem Fernsehblog-Eintrag.) Einmal will sie von dem SPD-Mann, der sich zuvor tatsächlich „überrascht“ zeigte, wie schlecht die Ausstattung der Klinik ist, wissen:
„Herr Lauterbach, angenommen, Sie hätten einen schweren Herzinfarkt. Wäre es Ihnen denn wichtig, schnell ein Bett auf der Intensivstation zu bekommen?“
Äh? Sicher. Aber nur wenn der SWR für diesen Bereich Drehverbot bekommt.
„Traktor statt Staatskasse, Nachttopf statt Verordnungen, Schicksale statt Aktenberge“ – so erklärt Weber zu Beginn das Konzept der Sendung (hier im „Highlights“-Video), und genau so sieht „Abgeordnet“ auch aus: Wie ein Stück Fernsehen, das sich um Differenziertheit einen feuchten Dreck schert und dem es reicht, sich über Politiker lustig zu machen, anstatt sie mit denen, die sie wählen sollen, tatsächlich ins Gespräch zu bringen.
„Abgeordnet – Der Politiker-Praxistest“ läuft bis zur Wal am späten Sonntagabend im Ersten, Folge 1 heute um 23.30 Uhr.
Fotos: SWR
Moin,
nichts gegen Lebertran,...
Moin,
nichts gegen Lebertran, doch Wal mit „h“ scheint mir hier doch die richtige Wahl zu sein.
Nuja
wenns schlecht gemacht...
Nuja
wenns schlecht gemacht ist ists natürlich unschön … aber mangelnden respekt vor politikern mag ich persönlich niemandem mehr vorwerfen. Respekt muss man sich verdienen und da bestehen meiner meinung nach unzweifelhaft defizite,
Die Politiker machen aber auch...
Die Politiker machen aber auch mit. Heute hab ich eine Runde von 1980 zur Bundestagswahl gesehen. Da hätte bei so einem Schwachsinn keiner mitgemacht. Kohl fällt da regelrecht – wegen fehlender Intelligenz.
"kritischen Journalismus zu...
„kritischen Journalismus zu simulieren“ ist das eine. ich fand die sendung mit der mischung aus pseudokritik, möchtegernironie und journalistischer selbstgefälligkeit einfach ekelhaft.
Hach ja. Es gäber ja durchaus...
Hach ja. Es gäber ja durchaus Anlass, sich über viele Politiker lustig zu machen, aber ich zumindest traue mich meistens schon gar nicht mehr, weil es ja auch allmählich langweilig wird.
Glücklicherweise gibt es noch genug andere, weniger abgenutzte, Berufsgruppen, die es auch verdient haben.
Hallo Thom,
die ersten Sätze...
Hallo Thom,
die ersten Sätze dieses Kommentares verstehe ich, und billige sie auch, aber wohin Herr Kohl „fällt“, und von wessen Intelligenz da die Rede ist, ist mir absolut nicht klar.
Thom
23. August 2009, 22:32...
Thom
23. August 2009, 22:32
Heute hab ich eine Runde von 1980 zur Bundestagswahl gesehen. Da hätte bei so einem Schwachsinn keiner mitgemacht. Kohl fällt da regelrecht – wegen fehlender Intelligenz.
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Die habe ich auch gesehen, auf Phoenix. Das waren noch Zeiten! Da durfte man als Politker noch mehr als zwei Sätze am Stück sagen ohne das man unterbrochen wurde. Und da wurden sogar ganze Konzepte erklärt und nicht nur Schlagworte für’s Stimmvieh.
Kohl fiel mir auch negativ auch, aber immerhin hat er es danach geschafft, das TV noch weit unter sein Niveau zu bringen.
Scheinbar orientieren sich die...
Scheinbar orientieren sich die Damen und Herren Politiker an den Einschaltquoten fünftklassiger Dokumentationseifenopfern wie „Mitten im Leben“ und gehen davon aus: „Wenn ich überhaupt noch Wähler erreichen will, muss ich mich zum Hampel machen, notfalls mit brachialer Medialgewalt auf unter(st)em Niveau!“
Mir bringt die Tatsache des alleinigen Agierens innerhalb solcher Formate weit mehr Entscheidungsfreudigkeit bezüglich (m)einer Wahlentscheidung als die Darstellung der Persönlichkeiten innerhalb dieser Formate. Vielleicht ist es aber auch nur der verzweifelte Schrei nach Aufmerksamkeit in feuriger Nachahmung eines Herren Obama – der in den Medien ganz neue, frische Wege gegangen ist. Und so ganz nebenbei etwas hat, dass ich in diesem unseren Lande nur selten bei politisch (hyper)aktiven erlebe: Ausstrahlung.
Auch wenn die Schadenfreude...
Auch wenn die Schadenfreude journalistisch eher sehr unsauber war (und ich das auch nicht schönreden will), aber ist sowas nicht Ausdruck der Rachegelüste an „denen da oben“ die viele verspüren? Es ist doch mittlerweile so, dass die Politik ein unglaublich schlechtes Image hat, „die da oben“ angeblich tun und lassen was sie wollen, Hauptsache es geht in die eigene Tasche und nicht ums Volk. Glaubwürdigkeit ist völlig verloren und jedes Wort per Definition eine Lüge.
Ist das Gesehene nicht die einzige Form der Rache, die „uns“ (Armen hier unten) noch bleibt? (Unabhängig davon, ob Sender, Format und Ansatz richtig waren)
Deswegen hält sich vermutlich auch die Entrüstung in Grenzen…
Ich habe mich bei der Sendung...
Ich habe mich bei der Sendung köstlich amüsiert. Mit dem selben Ansatz, mit dem Politiker das dumme Wahlvolk behandeln, wurden sie in der Sendung gezeigt.
Zur Teilnahme hat sie letztlich keiner genötigt, sie müssen sich wohl berufen gefühlt haben. Das Gefühl entsprang ganz sicher der selben Selbstüberschätzung mit der sich Politiker bei jedem Thema für kompentent halten.
Während man Kritiker dann einfach ignorieren kann, wenn man Unsinn geredet hat, wird man von Kühen eben über den Hof gezogen.
Anders