Stellen Sie sich bitte kurz mal vor, Sie werden heute Nacht aus dem Schlaf gerissen. Auf welche dieser Fragen wüssten Sie spontan keine Antwort?
1. Wie viele Joker gibt es bei „Wer wird Millionär?“
2. Wie heißt die kleine Schwester von Bart Simpson?
3. Auf welchem Sendeplatz läuft bei RTL „Dr. House“?
4. Wie empfangen Sie eigentlich Ihr Fernsehen?
Nun ist anzunehmen, dass TNS Infratest im vergangenen Frühjahr nicht mitten in der Nacht bei den Leuten angerufen hat, um sie zu fragen, wo ihr Fernsehsignal herkommt. Meine These wäre nur: Die meisten haben davon trotzdem keine Ahnung – weil das zu den Dingen gehört, die vernachlässigbar sind, um ein erfülltes Leben zu führen. (Jedenfalls war das bisher so.) Aber glauben wir den TNS Infratest-Forschern doch einfach mal, was sie da mit ihrer telefonischen Befragung in 6000 Haushalten herausgefunden haben, indem sie jeweils die „person who knows best“ ans Telefon bestellten.
Im Kabel allerdings, das in Deutschland immer noch der wichtigste Empfangsweg ist, sieht es anders aus. 19,8 Millionen Haushalte bekommen ihr Fernsehen aus der Kabeldose (Satellitenempfang haben 15,7 Millionen, DVB-T: 4,2 Millionen). Die Mehrheit empfängt das Signal analog, die Umstellung aufs Digitalkabel erfolgt derart langsam, dass es noch eine kleine Ewigkeit dauern wird, bis sich daran denken ließe, das analoge Signal im Kabel abzuschalten. So sieht die Gesamtübersicht aus:
(Zusammengezählt ergeben sich über 100 Prozent, weil bei der Befragung mehrere
Empfangswege genannt werden konnten, z.B. für das Zweitgerät.)
Bei der Präsentation des Digitalisierungsberichts in Berlin überlegte Thomas Langheinrich, Vorsitzender der Medienanstalten-Kommission ZAK, in der vorvergangenen Woche laut, woran das liegen könnte:
„Im Gegensatz zu den Satellitenkunden mussten sich die Kabelkunden nie um ihre eigene Infratstruktur kümmern.“
Da hat er schon mal gar nicht so unrecht. Für viele Zuschauer gibt es schlicht keinen Grund, aufs Digitalkabel umzusteigen, weil das Analogsignal auf dem alten Röhrenfernseher zuhause völlig in Ordnung ist. Und der Rest verzweifelt mit der Zeit einfach daran, dass sein Kabelanbieter versucht, ihn übers Ohr zu hauen, zumindest wenn er im Versorgungsgebiet von Kabel Deutschland (KDG) wohnt.
Wer sein Kabel ganz klassisch analog empfängt und über die Nebenkosten in der Mietwohnung bezahlt, muss sich für den Digitalempfang nicht nur selbst um seine „Infrastruktur“ kümmern, er muss sich vor allem daran gewöhnen, seine Programme nicht mehr wie bisher direkt über den Fernseher empfangen zu können, sondern über einen Receiver, in den eine Smartcard eingeschoben werden muss, was die meisten nur vom Pay TV kennen. Nur die öffentlich-rechtlichen Sender sind digital ohne Verschlüsselung empfangbar – für die Free-TV-Privatsender zahlen Kabel-Deutschland-Kunden 2,90 Euro im Monat zusätzlich und schließen einen 12-Monatsvertrag ab.
Dass davon offensichtlich 7 Euro für den Receiver gezahlt werden müssen, den Kabel Deutschland dazu empfiehlt, wird nicht aufgeschlüsselt. Im Gegenteil: Im Bestellvorgang heißt es zu den Receiverkosten, sie betrügen „0,00 €“. Auf Anfrage kann Kabel Deutschland nicht erklären, warum es den digitalen Empfang ohne Receiverkosten online nicht direkt anbietet. Die Bestellung sei aber telefonisch möglich. Dann muss man nur noch darauf achten, das Pay-TV-Paket „Kabel Digital Home“, das man zwangsweise für zwei Monate mitbestellt, nach spätestens vier Wochen zu kündigen, weil man sonst einen einjährigen Pay-TV-Vertrag eingegangen ist, der monatlich noch mal 10 Euro zusätzlich kostet. (Von vornherein auf die Pay-TV-Probe zu verzichten, geht nicht.)
„Wunschfernsehen“ heißt das bei Kabel Deutschland. Oder man sagt einfach: Unverschämtheit.
Das hat zwar nix mit dem HDMI-Anschluss zu tun, stimmt aber wenigstens: Weil es bisher kaum HD-Programme gibt – aber auch, weil KDG vermutlich womöglich happige Gebühren für die Einspeisung verlangt. Der Kleinsender Anixe HD ist deshalb wieder aus dem Netz geflogen. Und statt der sieben Sky-HD-Kanäle gibt es für Kabel-Deutschland-Kunden (im Gegensatz zur Konkurrenz) nur zwei zu sehen, bestätigt man bei Kabel Deutschland:
„Da HD Kanäle jedoch weit mehr Bandbreite in Anspruch nehmen als SD-Kanäle, und Bandbreite ein Wirtschaftsgut ist, muss man sich noch über die ökonomischen Konditionen einig werden.“
Ach, und der Receiver: Ich bin vor zwei Jahren Digitalkunde bei Kabel Deutschland geworden, das Gerät, das ich geschickt bekam, hatte natürlich keinen HDMI-Anschluss und produzierte über Scart ein beschissenes Bild im Vergleich zu meinen Digitalkabel-Tuner im Flatscreen, der zumindest ARD und ZDF empfangen konnte. Laut Kundenhotline haben auch die derzeit von Kabel Deutschland angebotenen Geräte keinen HDMI-Anschluss, ob und wann man HD-Receiver anbietet, steht völlig in den Sternen.
So sieht also die Zukunft des Fernsehens aus, wie sie sich Kabel Deutschland vorstellt? Wie ein Alptraum für Zuschauer, die es gewöhnt waren, den Programmsuchlauf am Fernseher einzuschalten und anschließend nach Lust und Laune zappen zu können, und in dem überall Fallen rumstehen, in die man tappen soll, um die vielen tollen Möglichkeiten zu bezahlen, die man vorher aufgeschwatzt bekommen hat? Ich habe den leisen Verdacht, TNS Infratest wird noch ein paar Jahre brauchen, bis stolz vermeldet werden kann: Digitalisierung geschafft! Vorher muss einer ja noch Kabel Deutschland überreden, endlich von der Bremse runterzugehen.
Nachtrag, 6. Oktober: Igor weist in den Kommentaren darauf hin, dass Kabel Deutschland auf seiner Website inzwischen auch den reinen digitalen Empfang für 2,90 Euro wieder anbietet. Geht doch. Das Zwangsabo des Pay-Pakets, das separat gekündigt werden muss, ist aber auch da mit drin.