Wer im deutschen Fernsehen Erfolg mit einem neuen Programm hat, bleibt damit meist nicht lange alleine. Weil die Konkurrenz dann eilig dafür sorgt, mit ähnlichen Sendungen auf Zuschauerfang zu gehen. Platz für mutige Programmierungen ist in diesem aufs gegenseitige Kopieren eingespielten System nur noch selten. Vox hat es trotzdem probiert und versucht, gleich auf zwei Sendeplätzen mit ganz unterschiedlichen Inhalten Fernsehen gegen den aktuellen Trend zu machen. Das Fernsehblog hat Vox-Geschäftsführer Frank Hoffmann gefragt, wie es dazu kam – und ab welchem Zeitpunkt man sich eingestehen muss, dass ein Experiment gescheitert ist.
(Und falls Sie sich als Durchschnitts-Zuschauer ain bisschen an den „Lead-ins“, den „Line-ups“ und der „Access Primetime“ stören: Pardon. Es ist schwer, das ganz rauszunehmen, wenn man nicht unkonkret werden möchte, und wir denken darüber nach, in den nächsten Wochen mal ein kleines Lexikon der TV-Branchenwörter nachzuliefern, ok?)
Frank Hoffmann: Ich würde es natürlich eher als mutig bezeichnen. Aber auch als richtig, weil ich glaube, dass es eine Chance ist, komplementär zu programmieren. Wir haben im Schnitt mit unseren Dokumentationen genauso gute Quoten wie Kabel 1 mit seinen Serien und liegen – ebenfalls im Schnitt – besser als die Spielfilme bei RTL 2. Es gibt offensichtlich Zuschauer, die am Samstagabend nicht nur Unterhaltung sehen wollen. Dieses Bedürfnis ist bisher von vielen Sendern vernachlässigt worden. Das bestätigt auch der vergangene Samstag mit der Doku „Abenteuer Mensch – Wo kommen wir her?“ hatten wir 5,9 Prozent.
Zu den Themen der Dokuabende gehörten zuletzt die Nürnberger Prozesse und Frauengefängnisse in der DDR, jeweils mit um die 4 Prozent Marktanteil im jungen Publikum – haben Sie sich nicht vorher gefragt, ob man den Zuschauern sowas am Samstagabend zumuten kann?
Zunächst einmal sind das ja Sendeplätze der dctp. [Anm. von uns: dctp hält mit Vox die Sendelizenz zur Veranstaltung eines Vollprogramms.] Die Idee, dort Vierstünder zu programmieren, kam allerdings von uns. Wir haben das Alexander Kluge vorgeschlagen, der von der Idee sofort begeistert war. Wir stehen im Austausch über die Themen – aber wir können keinen Einfluss auf die Produktionen nehmen. Das hätte ich beim Thema „Nürnberger Prozesse“ auch gar nicht tun müssen, weil das richtig gutes Fernsehen war. Es ist wichtig, auch solche Programme zu zeigen. Natürlich ist es einfacher, mit leichteren Themen Quote zu machen. Das Ergebnis konnte sich dennoch sehen lassen. Denn trotz der starken Konkurrenz von „Supertalent“ und „Wetten dass..?“ haben bis zu 1,22 Millionen Zuschauer eingeschaltet. Für mich ist das ein Indiz dafür, dass wir auch ein schwieriges Thema fernsehgerecht aufgearbeitet haben. Um so viele Menschen zu erreichen, muss man sonst eine ganze Menge Geschichtsbücher verkaufen.
Aber Sie haben sich darauf eingestellt, weniger Zuschauer zu haben als beispielsweise mit Spielfilmen?
Man muss das in der Mischkalkulation sehen. Wir haben mit unseren Filmen am Samstagabend in diesem Jahr 6,3 Prozent Marktanteil bei den jungen Zuschauern erreicht, bei den Dokus liegen wir zurzeit im Schnitt bei 5,8 Prozent – also gar nicht so weit auseinander. Auch zukünftig werden wir den Sendeplatz sowohl mit langen Dokus als auch mit Spielfilmen belegen.
Erwarten die Zuschauer von Vox überhaupt solche Themen?
Natürlich! Sonst würden ja nicht so viele einschalten. Im nächsten Jahr soll es eine Dokumentation über die 100 reichsten Menschen geben und wir möchten zum Beispiel der Frage nachgehen, ob es ein Leben nach dem Tod gibt und dabei die unterschiedlichen Religionen zum Thema machen.
Die Reportagemagazine „Süddeutsche TV“, „stern tv-Reportage“ und „Spiegel TV Magazin“ unterscheiden sich davon aber schon sehr: „Letzter Ausweg Pfandleihe“, „Wenn reife Frauen junge Männer lieben“, „Australiens schönste Nackte“, „Ein bisschen Klatsch muss sein“, „Der Kampf am Wühltisch“, „Dauerrave am Schwarzen Meer“…
Ich muss mir noch einmal den Hinweis erlauben: Außer „stern tv-Reportage“ sind das dctp-Themen. Das bedeutet nicht, dass wir nicht gutheißen, was gesendet wurde, aber auch, dass wir selbst in kritischen Fragen gar keine Möglichkeit der Einflussnahme haben. Und Sie werden bei „Spiegel TV Extra“ sehr wohl auch andere Themen finden, die den Dokus am Samstag näherkommen.
Es gibt die allgemeine Vorstellung, Zeitgeschichte im Fernsehen funktioniere beim jungen Publikum nur noch, wenn man sie als Quiz verkleidet – selbst bei ARD und ZDF. Da ist es doch fast schon altmodisch, auf klassische Dokus zu setzen.
Vox ist ja kein Sender, der immer nur Mainstream programmiert. Wir gehen eigene Wege – oft mutig, manchmal auch ein kleines bisschen übermütig. Aber das wird insgesamt belohnt, wie beim „Perfekten Dinner“. Das hatte in der ersten Woche im Schnitt 4,4 Prozent Marktanteil – und die Kritiker haben geschrieben: Das werden die nicht weitermachen. Wir haben daran festgehalten und sind mit guten Quoten belohnt worden. Bei „Frauenzimmer“ hat es nun eben nicht geklappt. Ich finde es aber nicht schlimm, wenn eine Idee mal nicht funktioniert. Schlimmer ist doch, wenn man gar keine Ideen mehr hat.
Weil es in der Quotenentwicklung kein Indiz dafür gab, dass die Zuschauer das Programm annehmen werden. Normalerweise gibt es spätestens in der zweiten Woche eine positive Tendenz – so wie jetzt bei „Mein wunderbares Wohnlokal“, das wir vor zwei Wochen gestartet haben und das gerade am Freitag mit 7,9 Prozent in der Zielgruppe die beste Quote hatte. Die Zuschauer, die reinzappen, bleiben dabei. Wenn sich das nicht einstellt, hat man die falsche Sendung – oder den falschen Platz dafür.
Bei den großen Sendern laufen am Nachmittag Dokusoaps, bei den kleineren Sendern amerikanische Serien – wie entstand da überhaupt die Idee, das „Promi-Kochduell“, „Prominent!“ und „Frauenzimmer“ gegen den Trend zu setzen? Vox ist doch klar als Seriensender positioniert.
Wir hatten das Pech, viele Serien zu verlieren. Was bei uns gut lief, hat in den USA leider nicht mehr funktioniert. Wenn eine tägliche Serie abgesetzt wird, ist es besonders schwer, Nachschub zu bekommen. Denn eine tägliche Programmierung ist erst sinnvoll, wenn wir auf 60 bis 80 Episoden zurückgreifen können. Wir haben gerade wieder neue Serien gekauft und warten ab, bis genug Folgen vorliegen, um sie am Nachmittag zu starten. Darüber hinaus ist es wichtig, einen erfolgreichen Übergang zu unseren Sendungen am Vorabend zu schaffen. Deshalb haben die Sendungen um 16 Uhr gewissermaßen eine Scharnierfunktion – von Fiction zur Non-Fiction.
Ist der jetzige Nachmittag als Dauerlösung geplant oder suchen Sie weiter nach Alternativen? Pro Sieben zeigt seit heute am Mittag „Charmed“ und „Desperate Housewives“, das könnte hart werden.
Wir haben die jetzigen Änderungen schon in der Annahme vorgenommen, nicht sofort wieder alles umzuschmeißen. Am Ende werden die Zuschauer entscheiden, wobei wir noch ein paar Alternativen im Köcher haben.
Wäre es eine Option, „Frauenzimmer“ als wöchentliches Format zu behalten?
Das haben wir intensiv überlegt, da uns die Sendung grundsätzlich gut gefällt. Doch wir sind in der komfortablen Situation, sagen zu können: Die Sendeplätze am Abend laufen so gut, da gibt es überhaupt keinen Grund für Programmänderungen.
Trotz aller Experimente gibt es auch bei VOX eine gewisse Innovationsvorsicht – neue Sendungen wie „Mein wunderbares Wohnlokal“ orientieren sich deutlich am Prinzip des „Perfekten Dinner“. Warum?
Programmierungen im deutschen Fernsehen sind oft im Block erfolgreich, wir müssen in Line-ups denken. Insofern ist es naheliegend, dem „Perfekten Dinner“ ein kochaffines Lead-in zu geben. Natürlich setzen wir uns damit schnell dem Vorwurf aus, das Thema Kochen überzustrapazieren. Aber das ist bei genauem Hinsehen überhaupt nicht der Fall. Gekocht wird bei uns in den relevanten Zeitzonen ungefähr elf Stunden brutto in der Woche – dem stehen etwa 70 Serien-Stunden und 20 Reportage-Stunden gegenüber.
Ich wollte auch eher darauf hinaus, dass der Schock mit dem Gameshowflop „Power of 10“ offensichtlich noch tief sitzt.
Nein, „Power of 10“ wie „Frauenzimmer“ sind Beispiele dafür, dass wir auch außerhalb unserer Kernkompetenz ausprobiert haben. Beide Male erschien uns das richtig, weil wir im Falle des Erfolgs sehr viel gewonnen hätten, deshalb sind wir die Risiken eingegangen.
Das gilt dann wohl auch für „Mein Restaurant“ im vergangenen Jahr – da sind Sie mit der ungewöhnlichen Programmierung am Dienstag und am Freitag aber offensichtlich einen Schritt zu weit gegangen.
Noch steht ja gar nicht fest, ob wir „Mein Restaurant“ nicht irgendwann doch noch fortsetzen werden. Wir haben uns in diesem Jahr gegen eine zweite Staffel entschieden, weil uns ein „Leitwolf“ in der Jury fehlte. Natürlich wäre einer wie Christian Rach dafür fantastisch, aber der ist nunmal für RTL aktiv.
Als Vox in den vergangenen Jahren massiv Marktanteile im jungen Publikum gewonnen hat, muss der Druck automatisch mit gewachsen sein. Überlegt man sich dann jede Änderung zweimal, weil jeder Fehler diese Position wieder gefährden könnte?
Als ich bei Vox angefangen habe, ging es zunächst darum, den Marktanteil zu halten. „Das perfekte Dinner“ war dann ein Katalysator – auch für andere Programmentwicklungen, weil viele Zuschauer in der Access Primetime auf die danach laufenden Programme aufmerksam gemacht werden konnten. Dazu hatten wir großes Glück mit unseren Primetime-Serien. So kam der Marktanteil zustande, und wir sind stolz, das Niveau halten zu können. Aber man darf sich deshalb nicht verkrampfen. Was den Druck angeht: Wir müssen unterscheiden zwischen öffentlichem Druck, weil alle auf Marktanteile fixiert sind und ebenso wichtigen, anderen Zielen. Zuschauermarktanteile geraten oft zum Schönheitswettbewerb. Mindestens genauso wichtig sind die wirtschaftlichen Ziele und die haben wir trotz Werbekrise mit Vox erreicht – ohne Abstriche in der Programmqualität machen zu müssen.
Die Themen der nächsten Samstagdokus: „Der Tsunami – Als das Paradies verschwand“ (28. November), „Ein Krisenjahr zum Lachen? – Deutsche Comedians ziehen Bilanz“ (5. Dezember). Danach laufen samstags zunächst wieder Spielfilme. Weitere Doku-Abende sind für 2010 geplant.
Ach so, und falls sich jemand Sorgen macht, dass an dieser Stelle nur noch Medienmenschen interviewt werden, deren Nachname Hoffmann lautet, der sei beruhigt: Das ist echt Zufall.
Fotos: Vox