Heute versuchen wir mal, den Unterschied zwischen Programm und Werbung zu erklären. (Ist gar nicht so leicht.) Dazu brauchen wir: 1. Einen Sender, der auf jeden Cent angewiesen ist, 2. Programmmacher, die die Werberichtlinien der Landesmedienanstalten für eine unverbindliche Empfehlung halten, und 3. ein Beispiel aus der „Germany’s Next Topmodel“-Staffel des vergangenen Jahres.
Wenn der Hersteller einer Schokolade sein Produkt in einer Sendung zeigt und das mit der Einblendung „Werbung“ gekennzeichnet wird, handelt es sich – Sie haben’s erraten – um Werbung.
Wenn die Kandidatinnen dieser Sendung als angehende Models aber zu einem Casting gehen, bei dem sie sich darum bewerben, Werbung für dieselbe Schokolade zu machen, für die der Hersteller nachher wirbt, dann ist das – Programm. Glaubt jedenfalls Pro Sieben.
Aber keine Sorge, der Sender arbeitet bereits an einer Vereinfachung dieser verzwickten Unterscheidung, und zwar mit einer schlüssigen Zusammenführung von Werbung und Programm, bei der das Publikum kaum noch merkt, dass es gar nicht mehr unterhalten werden soll, sondern bloß auf die nächste Kaufentscheidung vorbereitet. Ergebnis dieses Prozesses ist „Die Model-WG“, eine Dokusoap, bei der ehemalige Kandidatinnen aus „GNTM“ gemeinsam in ein Loft einziehen, auf hochhackigen Schuhen laufen und ständig sagen, wie doof sie sich gegenseitig finden. Dieses Konzept muss die Marketingabteilung des Versandhändlers Otto so sehr beeindruckt haben, dass man dort sofort entschieden hat: Das kaufen wir!
Genauso sieht die Sendung jetzt auch aus. Otto sponsert die „Model-WG“, schaltet darin Split-Screen-Werbung, zeigt im Anschluss eine Dauerwerbesendung, in der die WG-Protagonistinnen sich lauter tolle Klamotten wie die „Boyfriend-Jeans“ empfehlen lassen („Und wo gibt’s das alles?“ – „Das gibt’s natürlich alles bei Otto“) und hat eine eigene Seite in seinen Webauftritt integriert, auf der die Models Tagebuch schreiben, den Kunden ihre Kleiderschränke öffnen und der „Look der Woche“ sofort bestellt werden kann.
Aus Sicht des Unternehmens ist das eine tolle Möglichkeit, „um seine Fashionkompetenz zu unterstreichen“ (wie es in der dazugehörigen Pressemitteilung heißt). Und noch dazu einwandfrei erlaubt. Sponsorhinweis und Split-Screen-Werbung entsprechen den medienrechtlichen Vorgaben, sogar die „Dauerwerbesendung“ kennzeichnet der Sender inzwischen ohne zu Murren korrekt, und die Idee, die Kandidatinnen für alle möglichen Werbemaßnahmen des Sponsors einzuspannen, ist genial. Es hat Pro Sieben nur nicht gereicht. Deshalb flogen gestern in der dritten Folge (Video ansehen) vier Kandidatinnen nach Hamburg, um „ein sehr bedeutendes Casting“ wahrzunehmen, wie der Off-Sprecher erklärte:
„Es geht um ein Cover-Shooting für einen Versandhauskatalog. Bei dem Casting haben die Mädchen aus der Model-WG mit extrem starker Konkurrenz zu rechnen.“
Aber dass gleich drei der jungen Frauen aus der „Model-WG“ ausgesucht wurden, den Titel eines Katalogs für Sommermode zieren zu dürfen, den der Sponsor der Sendung herausgibt, an der sie teilnehmen, war nun wirklich keine Überraschung mehr. Vor allem, weil bereits alle sechs Kandidatinnen im aktuellen Hauptkatalog posieren durften (was leider auch den interviewten Otto-Mitarbeitern kurzfristig entfallen war).
Die zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) prüft nun, ob es zulässig ist, dass Otto als Sponsor der „Model-WG“ auch im Programm auftaucht, was so zwar nicht explizit im Rundfunkstaatsvertrag (pdf) verboten wurde. Allerdings heißt es dort:
„Inhalt und Programmplatz einer gesponserten Sendung dürfen vom Sponsor nicht in der Weise beeinflusst werden, dass die Verantwortung und die redaktionelle Unabhängigkeit des Rundfunkveranstalters beeinträchtigt werden.“
Das ist eine furchtbar altmodische Regelung. Wer auch immer sie in den Staatsvertrag hineingeschrieben hat, ist davon ausgegangen, dass der jeweilige Veranstalter ein Interesse daran hat, redaktionell unabhängig zu sein. Das ist Pro Sieben aber schon vor längerer Zeit abhanden gekommen, weil sich damit so schwer Geld verdienen lässt. Da nutzt es auch nix, dass in den „Leitlinien zur Sicherung der journalistischen Unabhängigkeit der ProSiebenSat.1 Group“ steht:
„Redaktionelle Beiträge dürfen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche bzw. wirtschaftliche Interessen der Mitarbeiter beeinflusst werden. (…)
Die ProSiebenSat.1 Group verpflichtet sich zur klaren Trennung zwischen redaktioneller Berichterstattung und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Es wird sichergestellt, dass Werbung und Programm klar voneinander getrennt werden. Die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages sowie die Gemeinsamen Richtlinien der Landesmedienanstalten für die Werbung, zur Durchführung der Trennung von Werbung und Programm und für das Sponsoring im Fernsehen sind strikt einzuhalten. (…)“
Und selbst wenn die MABB nach ihrer Prüfung zu dem Schluss kommen sollte, Otto habe nicht in der Sendung auftauchen dürfen, ist das eigentlich egal. Weil die anderen Werbeformen, die der Sender seinem Kunden entwickelt hat, ja bereits dafür sorgen, dass die Zuschauer Werbung und Programm als Einheit wahrnehmen. Das ist kein Weltuntergang, zumal den privaten Sendern in wenigen Wochen mit Inkrafttreten des neuen Rundfunkstaatsvertrags erstmals Product Placement erlaubt sein wird (worauf Pro Sieben offensichtlich nicht warten wollte).
Aber es ist ein Hinweis darauf, sich langsam von dem Programmbegriff zu verabschieden, wie er bisher verstanden wurde: als Leistung einer Redaktion, die ihrem Publikum etwas bieten will. Und zwar nicht nur die Internetadresse, unter der sich die Push-Up-Jeans oder das gerade gesehene Paar Schuhe bestellen lassen.
Alle Screenshots: Pro Sieben
Ich halte solcherlei...
Ich halte solcherlei Auswüchse für das letzte Aufbäumen, das schnelle Abschöpfen vor dem finalen Kollaps! Über kurz oder lang werden sich die Sender nämlich (ähnlich der Musik-, Film-, Verlagsbranche) neue Konzepte überlegen MÜSSEN, um die Zuschauer bei der Stange (vorm Fernseher) zu halten.
Das Seh-Verhalten der Zuschauer wird sich nämlich ändern, die wenigsten Leute werden in Zukunft noch den Fernseher einschalten. Ich zum Beispiel habe kein TV-Gerät mehr, sondern einen Computer – praktischer iMac mit Flachbildschirm und TV-Karte. Wenn ich mir also etwas angucken möchte, einen Film, eine Serie, was auch immer, dann kaufe ich mir die DVD dazu oder lade es mir bei iTunes runter, und schaue es mir an, wann ich will und mit so wenig Werbung wie nur möglich (nämlich keiner!) – ganz gemütlich vom Sofa aus! Und davon ganz abgesehen: Viele Serien gibt’s online bei den Sendern, bis zu 7 Tage nach Ausstrahlung – ohne Werbung!
Die Model-WG ist auf jeden...
Die Model-WG ist auf jeden Fall das Paradebeispiel dafür, was Quelle alles falsch gemacht hat. Bleibt ProSieben aber zu wünschen, dass es denen irgendwann genauso wie Quelle geht – das Interesse am Kunden (Zuschauer) haben sie ja jedenfalls schonmal verloren
"Die zuständige Medienanstalt...
„Die zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) prüft nun, ob es zulässig ist, dass Otto als Sponsor der „Model-WG“ auch im Programm auftaucht, was so zwar nicht explizit im Rundfunkstaatsvertrag (pdf) verboten wurde. “
Ich habe den Eindruck, dass das Fernsehen der rechtsfreie Raum ist und nicht das Internet.
Wieso kommen immer wieder Fernsehsender an und meinen Dinge zu dürfen, die in der normalen Welt sofort als unzulässige Werbung oder illegales Glücksspiel (wenn ich da an längst vergangene Praktiken von Call-in-TV-Sendern denke, die auch erst im Rundfunkvertrag verboten werden mussten) gelten.
Ich finde das irgendwie...
Ich finde das irgendwie lustig. Es wird zu viel Werbung bei Pro7 kritisiert und gleichzeitig überblendet eine Werbeanzeige auf faz.net den Anfang des Textes. Und ich weiß nicht, wie ich die da weg kriege… Schade auch!
"Das letzte Aufbäumen" ......
„Das letzte Aufbäumen“ … Das gefällt mir. Ich sehe die Entwicklung ähnlich. In zehn Jahren wird es ein klassisches TV-Programm nicht mehr geben. Die Sender als Zwischenhändler zwischen Produzenten und Zuschauer sind dann überflüssig. Aber das nur nebenbei …
Ansonsten: Schöner Beitrag, Herr Schrader!
Lebt der Niggemeier eigentlich noch?
@Werbeheini: Ich werde auch...
@Werbeheini: Ich werde auch weiterhin ein Fernsehgerät haben, weil ich DVDs und BluRays auf einem großen Gerät sehen will; Filme auf einem Computerbildschirm gucken ist das letzte was ich will. Zwar sind bei mir auch fast nur noch ÖR in der Senderliste gespeichert, aber das Fernsehgerät werde ich nicht abschaffen. – Wenn sich die TV-Sender aber durch ihren TV-Müll selber abschaffen wäre das auf jeden Fall eine gute Entwicklung.
@Bongomandrias: Auf einem...
@Bongomandrias: Auf einem großen iMac-Flatscreen merkt man nahezu keinen Unterschied zum Fernsehgerät … Das schöne daran: Wenn ich tatsächlich mal TV gucke, nehm ich’s entweder auf oder guck es mit Verzögerung – so oder so überspringe ich dabei die Werbung. Wunderbar!
"längst vergangene Praktiken...
„längst vergangene Praktiken von Call-in-TV-Sendern denke, die auch erst im Rundfunkvertrag verboten werden mussten“
Hast DU ne Ahnung…das ist alles wieder wie früher, und in Österreich/Schweiz noch schlimmer. Aber ich schweife ab.
Beim Wort...
Beim Wort „Rundfunkstaatsvertrag“ fühle ich mich an die gestrige Goldene Kamera erinnert. Da habe ich nämlich auch des öfteren gedacht: „Ach, den gibt’s noch?“ Ich meine: Gegen diese Spielregeln wird jeden Tag so oft und so offensichtlich verstoßen, dass man eigentlich nicht mehr ernsthaft damit um die Ecke kommen kann. Verleiht dem Vetrag den Preis für sein Lebenswerk und dann reden wir nicht mehr drüber.
Ich habe mir letztens die...
Ich habe mir letztens die Model-WG angeschaut und fand es zwar lustig auch wenn das Niveau im Keller war. Wenn ich den Blog-Post lese, muss ich sagen, dass ich dem Sender auf den Laim gegangen bin. Ich habe mich zwar über die viele Werbung brüskiert, aber nicht gecheckt, in welchem Ausmaß es stattfindet.
Danke für den interessanten Beitrag, jetzt sehe ich mir die Sendung sicherlich kein zweites Mal an.