Es gehört längst zum Nachrichtenalltag, dass im Fernsehen Videos von Überwachsungskameras gezeigt werden, in denen Jugendliche in der U-Bahn grundlos auf Passanten einprügeln. Genauso wie die Bilder in Boulevardzeitungen, mit denen die Polizei Schläger identifizieren will, die Leute im Bus wegen eines falschen Worts oder Blicks krankenhausreif gedroschen haben.
RTL 2 reichen solche traurigen Fälle jetzt nicht mehr aus. Der Sender gibt selbst Schlägervideos in Auftrag.
Die erzählten Körperverletzungen waren dem Sender vermutlich nicht anschaulich genug. Aus diesem Grund hat er mit den jungen Frauen jeweils ein kurzes Vorstellungsvideo gedreht. Bei der 19-jährigen Carina ist das am lebendigsten geraten: „Komm her du kleine Mistsau!“, brüllt sie in die Kamera (die in diesem Fall die Opferperspektive einnimmt) und tritt sie dann zur Seite. Dazu zeigte RTL 2 ein als „Carinacam“ gekennzeichnetes Video, zu dem der Off-Sprecher erzählte:
„Ihren Tag verbringt die 19-Jährige am Stuttgarter Hauptbahnhof. Mit ihren Freunden teilt sie zwei Leidenschaften: Alkohol und Leute anpöbeln, die ihnen einfach nicht passen. Und davon gibt es eine Menge. (…) Ein schiefer Blick reicht und schon lassen Sie ihren Frust an Passanten ab.“
Zu Hardrockmusik wird daraufhin gezeigt, wie Carinas „Freunde“ eine Rangelei mit einem unkenntlich gemachten Mann anfangen, der geschlagen und zu Boden geworfen wird. Der Sprecher kommentiert:
„In ihrem Rausch merkt Carina nicht, dass die Situation völlig außer Kontrolle ist. Alkohol, Frust und Gruppenzwang fördern Frust gegen vermeintliche Opfer.“
Screenshots: RTL 2 (Unkenntlichmachungen alle im Original)
Nachher kommt die Kamera noch mit, um die Gruppe bei der Sachbeschädigung an einer Bushaltestelle zu filmen. Für die Produzenten einer Dokusoap, die auf einem Sender läuft, dem jede Form von Aufmerksamkeit recht ist, sind solche Bilder natürlich Gold wert. (In diesem Fall heißt die Firma übrigens Good Times und wirbt mit dem Slogan „Einfach gutes Fernsehen“.) Für jeden, der selbst schon mal in einer ähnlichen Situation war und nun sieht, wie RTL 2 die Täter damit angeben lässt, ist es wohl eher ein Schock. Veit Schiemann, Sprecher der Hilfsrgansiation Weißer Ring, sagt:
„Wer tatsächlich schon mal Opfer einer solchen Straftat geworden ist, wird es kaum ertragen, sich das anzuschauen. Und wenn doch, ist die Botschaft, die ihm dadurch vermittelt wird, dass Gewalt sich durchsetzt. Die Erwachsenen sagen zwar: Das ist nicht der richtige Weg. Aber es funktioniert trotzdem.“
Der Weiße Ring setzt sich für Opfer von Straftaten ein, vor allem auch dafür, dass nachher nicht alle nur über den Täter reden, sondern auch darüber, mit welchen Konsequenzen die Betroffenen leben müssen. Kann sein, dass bei RTL 2 davon noch nie jemand gehört hat. Von den Opfern (bzw. den „vermeintlichen“ Opfern) der Jugendlichen aus der „Mädchen-Gang“ ist in der Sendung nämlich nur als Trophäe die Rede.
Als Carina von den anderen Gruppenmitgliedern in der ersten gemeinsamen Nacht des dreiwöchigen Aufenthalts fern ihrer sonstigen Wirkungsstätten provoziert wird, aber partout nicht ausflippen mag, wird ihr das noch dazu als Schwäche angekreidet. Schiemann sagt:
„Dadurch wird transportiert, Gewalt sei der vermeintlich doch richtige Weg, um kurzzeitig cool zu sein und nicht zum Opfer zu werden. Zur Not geht man eben ins Fernsehen, lässt sich läutern und wird dadurch auch noch bekannt.“
RTL-2-Sprecher Carlos Zamorano erklärt, die Aufnahmen am Hauptbahnhof seien von der Casterin der Produktionsfirma aufgenommen worden (aber nicht, warum sie dann als „Carinacam“ gekennzeichnet suggerieren, die Jugendlichen hätten das Video selbst gemacht). Auf die Frage, wie RTL 2 die Notwendigkeit beurteilt, solche Szenen im Fernsehen zu zeigen, vor allem, wenn diese vom Sender bzw. der zuständigen Produktionsfirma in Auftrag gegeben und/oder provoziert wurden, antwortete Zamorano bisher nicht.
Nachtrag, 2. März: Die Kommission für Jugendmedienschutz teilt auf Anfrage des Fernsehblogs mit: „Die Sendung wird durch die KJM beobachtet wie viele Formate, die potentiell problematisch sein könnten. Bislang hat sich noch kein Anfangsverdacht auf einen Verstoß gegen die Jugendschutzbestimmungen ergeben.“ Bei „Erwachsen auf Probe“ (RTL) im vergangenen Jahr, das eine massive Debatte ausgelöst hatte, war die KJM weniger zimperlich. Ein Verstoß gegen die Bestimmungen wurde auch damals nicht festgestellt, der KJM-Vorsitzende Wolf-Dieter Ring äußerte sich aber in einer Stellungnahme kritisch zur Sendung: „Der vermeintlich pädagogische Ansatz dient RTL als Alibi, um die Schwierigkeiten unerfahrener jugendlicher Protagonisten im Umgang mit teils weinenden und unglücklichen Babys und (Klein)Kindern als dramaturgische Effekte zu nutzen und zu Unterhaltungszwecken einzusetzen.“ Nichts anderes macht RTL 2 bei der „Mädchen-Gang“. Nur ohne Kleinkinder.