Das Fernsehblog

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"Unser Star für Oslo": Der merkwürdig unbefriedigende Sieg der Lena Meyer-Landrut

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Was für ein merkwürdiges Finale: Das Publikum wählt für die Siegerin einen Song, der ihr sichtlich selbst nicht besonders gefällt. Die wunderbare Lena vertritt Deutschland bei Eurovision Song Contest mit einem Lied, das das Wunderbare an ihr kaum zur Geltung bringt.

Bild zu: "Unser Star für Oslo": Der merkwürdig unbefriedigende Sieg der Lena Meyer-Landrut

Foto: NDR

Was für ein merkwürdiger Abend. Und am Ende hätte ich nicht mehr für die Frau abgestimmt, die mich – und offenbar so viele andere – von der ersten Sekunde an mit ihrem eigenwilligen Charme begeistert hatte.

Lena Meyer-Landrut vertritt Deutschland beim „Eurovision Song Contest“ Ende Mai in Oslo. Aber sie singt dort einen Titel, der ganz offenkundig nicht ihr Lieblingstitel war. Und der von allen, die sie im Laufe dieser Wochen des Vorentscheids gesungen hat – die ganzen Cover-Versionen eingeschlossen, die sie zu ihren Liedern gemacht hat -, am wenigsten lenaesk war.

Der Verlauf der Show wurde von einem merkwürdigen Auswahlmodus geprägt: Die beiden Finalistinnen sangen jeweils drei Titel, zwei gleiche und einen individuellen, und zunächst bestimmte das Publikum per Telefonabstimmung den jeweiligen Song zur Kandidatin.

Und der Abend begann mit einer großen Enttäuschung. Die ersten Lieder, die die beiden präsentierten, waren so unscheinbar und beliebig, dass der ganze Aufwand der wochenlangen Vorauswahl rückblickend wie Zeitverschwendung schien. „Satellite“ in der Version von Jennifer Braun schaffte sogar das Kunststück, gleichzeitig belanglos und nervig zu sein.

Aber dann kamen die jeweils dritten Titel, die eigens für jeweils eine der beiden Sängerinnen komponiert worden waren, und plötzlich schien es, als wären die anderen Stücke nur Zählkandidaten gewesen: Jennifer Braun zeigte mit  „I Care For You“, einer Mischung aus den New Radicals und „September“ von Earth Wind & Fire, wie viel Kraft ihre Stimme hat. Und Lena Meyer-Landrut lachte und tanzte sich begeistert durch eine verspielte und unglaublich gut gelaunte Popnummer, die ihr Stefan Raab als Komponist selbst maßgeschneidert hatte. (Der Text ist von Lena Meyer-Landrut selbst.)

Und dann geschah das Erstaunliche: Das Publikum wählte für Lena knapp einen anderen Song, nämlich ihre (schnellere) Version des merkwürdigen „Satellite“. Man schien ihr ihre Enttäuschung ansehen zu können, als dieses Votum feststand, bevor sie sich fasste und auf professionell umschaltete – während Jennifer sich hemmungslos freute, dass in ihrem Fall ihr Lieblingstitel gewonnen hatte.

Nun schien alles offen. Jennifer, gerne als uncharismatische Straßenfestsängerin verspottet, legte in ihren letzten Auftritt noch einmal ihre unbändige Energie und ihr beeindruckendes sängerisches Können – damit hatte sie schon im Halbfinale überraschend die eigentlich favorisierten Kerstin Freking und Christian Durstewitz verdient abgehängt. Und Lena sah plötzlich vergleichsweise schlecht aus, müde und angestrengt, und es war schwer, sich noch an die unfassbare Unbeschwertheit ihrer früheren Präsentationen zu erinnern, mit der sie so viele Menschen für sich erobert hatte.

Vor der Sendung schien die Rollenverteilung klar: Jennifer ist gut. Aber Lena ist etwas Besonderes. Doch diese Nummer, die das Publikum gewählt hatte, nahm Lena das Besondere. Im Internet kamen gleich Verschwörungstheorien auf: Ob Jennifer-Fans wohl extra den schwächeren Lena-Titel gewählt hätten, um Jennifers Chancen in der letzten Abstimmung zu erhöhen. Dagegen spricht, dass sich auch das Saalpublikum hörbar für „Satellite“ begeisterte. Ehrlich gesagt: Ich kann mir das nicht erklären.

Das Experiment „Unser Star für Oslo“ war ein Erfolg. Für die ARD, für ProSieben, für Raab, für die jungen Kandidaten, die mit ihren Talenten glänzen durften, für das Publikum, das darüber staunen durfte, wo diese ganzen jungen Leute plötzlich herkommen, die sich einfach auf so eine Bühne stellen und – teilweise mit ihren eigenen Liedern – wie selbstverständlich den Saal rockten, und für das Fernsehen an sich. Weil nebenbei der Beweis erbracht wurde, dass eine Casting-Show, die nicht auf die niedersten Instinkte der Zuschauer setzt, zwar auf Quotenrekorde verzichten muss, aber nicht auf ein treues Publikum.

Aber falls die Zusammenarbeit im nächsten Jahr eine Fortsetzung findet, werden sich die Verantwortlichen etwas ausdenken müssen, wie sie der öffentlichen Suche nach den besten Kandidaten eine angemessene Suche nach dem besten Titel entgegensetzt. Wenn es möglich ist, eine junge Frau zu finden, die innerhalb von Sekunden die Zuschauer bezaubert, muss es doch auch möglich sein, einen Song zu finden, dem das gelingt!

Bei mir jedenfalls blieb ein womöglich kindisches und ungerechtes Gefühl der Enttäuschung zurück, dass die außergewöhnliche Lena sich nun mit einem so durchschnittlichen Song nach Oslo schleppen muss. Kurz vor Schluss hatte ich dann doch auf Jennifer gehofft, deren Song vielleicht konventionell, aber unmittelbar eingängig war und ihr wie angegossen passte.

(Aber allen, die jetzt schon zu wissen glauben, dass „wir“ mit dieser Nummer eh nichts gewinnen werden in Oslo, sei gesagt, dass, erstens, die Konkurrenz in diesem Jahr ganz außerordentlich gruselig ist und, zweitens, der Reiz dieses Spektakels gerade darin besteht, dass solche Prognosen erwiesenermaßen fast unmöglich sind.)

Und am Ende, als Lena fast verzweifelt war, weil sie den Titel noch einmal singen musste und es sie zwischendurch kaum noch auf den Beinen hielt und sie schrie und ihren ganzen verwirrten Gefühlen schreiend und fluchend freien Lauf ließ, auf diese bezaubernde Lena-Art, da war ich dann doch wieder fast versöhnt mit diesem merkwürdigen Abend.


311 Lesermeinungen

  1. Ich kann dem Autor nur...
    Ich kann dem Autor nur zustimmen. Er hat hier sehr gut ausgedrückt, was vermutlich einigen Leuten durch den Kopf geht…
    Mir gefällt der Song auch (noch?) nicht…

  2. TAA sagt:

    Ich war ja für Lena, ich bin...
    Ich war ja für Lena, ich bin es immernoch. Von dem ersten Auftritt an war ich für sie. Aber dieser Song — das geht garnicht. Der letzte wäre gut gewesen, Bee fand ich auch noch gut (von Jenny noch viel besser!), aber dieser Satellite??? Ja super … Naja — dank Lenas Persönlichkeit denke ich das wir trotzdem gute Chancen in OSL haben werden!

  3. bes sagt:

    also ich find das lied besser...
    also ich find das lied besser als „love me“
    hab auch dafür gevotet, denn „love me“ hat mich irgendwie gelangweilt ….

  4. Klominator sagt:

    Lena soll sich erst mal wieder...
    Lena soll sich erst mal wieder fangen…und ich denke wir weden einen guten platz mit ihr Rausholen ( obwohl ich das bei „No No never“ vor paar Jahren auch gedacht hatte)

  5. sensuri sagt:

    ...schreibt der mann, der die...
    …schreibt der mann, der die lausigen reden beim echo zu verantworten hat. nun denn… ansonsten teile ich ihre meinung in bin sogar ein wenig erstaunt …

  6. robert sagt:

    ...was manch einer bezaubernd...
    …was manch einer bezaubernd nennt, nenne ich aufgesetzt. Dies fällt allerdings erst auf, wenn man Lena öfters zusieht und keine Scheuklappen und doofe Ohren hat.
    Nun ja, sie tritt in Oslo nur einmal auf – zum Glück, vielleicht blendet sie dort auch genug Menschen.

  7. chaya sagt:

    Stimmt, Jennifer war meiner...
    Stimmt, Jennifer war meiner Meinung nach viel besser …

  8. Schneemann sagt:

    Sehr schöner Kommentar Herr...
    Sehr schöner Kommentar Herr Niggemeier. Sie bringen es genau auf den Punkt! Mal sehen was Lena und Raab bis zum Eurovision Song Contest noch aus dem Song machen werden.

  9. Franzi sagt:

    super artikel und er drückt...
    super artikel und er drückt besonders meine Gefühle aus, ich habe auch angerufen für LOVE ME! der song war einfach für sie, das war sie, das war cockney akzent vom feinsten, dreckig und SHIT! Je öfters man Satellite allerdings hört um so besser klingt er, aber dieser song ist halt nicht LOVE ME! Man sah ihr die verständliche Enttäsuchung über die Songauswal natürlich an, aber besonders ihre Finalauftritt war einfach spitze! ich denke mal bis zum COntest wird sie sich den song so richtig zu ihrem eigneen machen und irgendwie dieses geliebte-„dreckige“-cockney-englisch einbringen und damit auf jeden fall die stimmen aus England bekommeN!Stefan hat wieder etwas geschafft was Bohlen siet vielen Jahren versucht, eine Musikerin ohne das Normale-Package-das-wir-von-dsds-gewöhnt-sind! niemand weiß etwas über Lenas vergangenheit oder tragödien in ihrem leben, sie ist einfach Lena die durch ihr auftreten überzeugt!

  10. Katja sagt:

    Danke, das spricht mir aus der...
    Danke, das spricht mir aus der Seele!

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