Es muss eine tolle Zeit gewesen sein für die Mitarbeiter in der RTL-Programmplanung. Eine Zeit voller Kaffeepausen und Heute-mach-ich-früher-Schluss. Während bei der Konkurrenz eine Baustelle nach der nächsten aufgemacht wurde, mussten die RTL-Planer nur all die erfolgreichen Sendungen, die da waren, in die richtige Reihenfolge bringen. Die Zuschauer haben dann schon von selbst eingeschaltet. Einmal im Jahr konnte es sich RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt deshalb sogar erlauben, schonungslos ehrlich mit Werbekunden und Journalisten zu sein. Bei der Vorstellung des neuen Programms (das im Wesentlichen das alte war) erklärte die Senderchefin deshalb: Am Nachmittag gebe es sicher „Optimierungspotenzial“, aber sonst sei alles in Ordnung.
Hat ja auch gestimmt.
Gerade stimmt es nicht mehr. Inzwischen hat RTL mit seinen geskripteten Dokusoaps zwar eine Lösung für den Nachmittag gefunden. Dafür ist die Glückssträhne in der Hauptsendezeit vorbei. „DSDS“ mag gerade höchst erfolgreich sein. Werktags zeigen sich im Programm jedoch massive Abnutzungserscheinungen. Neue Formate sind gefloppt, alte nicht weiterentwickelt worden – es gab einfach keinen Anlass, aktiv zu werden. Umso größer wird in Köln der Schock sein, dass es jetzt gleich auf mehreren Plätzen höchste Zeit wird.
Mag sein, dass sich manche sattgesehen haben oder dass die günstigen DVD-Boxen, die palettenweise in den Elektronikmärkten liegen, Schuld sind. Wahrscheinlich hat sich RTL diese Schlappe aber (wie die Kollegen von DWDL schon anmerkten) selbst zuzuschreiben: Mit wilden Unterbrechungen der aufeinander aufbauenden Episoden wollte der Sender den Serienerfolg möglichst lange strecken. Kann sein, dass er ihn damit sogar verkürzt hat.
Anstatt neue Staffeln konsequent am Stück zu zeigen, hat RTL immer wieder ärgerliche Pausen gemacht. Selbst die Auswahl und Reihenfolge der gezeigten Wiederholungen waren zum Teil ein Rätsel.
Nun ist es für viele Zuschauer bereits ein Zugeständnis, jede Woche zur selben Sendezeit denselben Kanal einzuschalten, um dort eine neue Episode der Lieblingsserie anzuschauen. Nach dem Einschalten aber festzustellen, dass statt der neuen Episode schon wieder eine alte kommt, nervt irgendwann auch den treuesten Fan. (Und das ist nicht der einzige Grund, wie Michael vor längerer Zeit im Fernsehlexikon aufgeschrieben hat.) Dass man sich in Köln inzwischen besonnen hat und nach dem Ende der 5. Staffel am Dienstag in der Woche darauf gleich die 1. Folge der 6. Staffel zeigt, kommt vielleicht zu spät, zumal Pro Sieben mit seinem Comedy-Dienstag und „Two and a half men“ eine vom Publikum akzeptierte Alternative aufgebaut hat.
Verlässlichkeit war Schäferkordts Credo und ihr Erfolgsgeheimnis: Wenn das Publikum weiß, was es von einem Sender zu erwarten hat, wird es mit der Zeit zum Stammpublikum. Richtig so. Nur ist darüber in Vergessenheit geraten, dass erfolgreiches Fernsehen eine weitere Voraussetzung braucht. Die lautet, so paradox das auch klingen mag: Überraschung. Davon hatte RTL in den vergangenen Monaten nicht besonders viel zu bieten (sieht man mal davon ab, dass es sehr überraschend war, in welcher Reihenfolge „Dr. House“ lief). Genauso wenig wie die Ausdauer, an neuen Programmen zu arbeiten, deren Quote nicht von vornherein durch die Decke schoss. Irgendwann langweilen sich die Zuschauer eben vor lauter Verlässlichkeit.
Jetzt ist sie da, die Großbaustelle bei RTL. Und spannender als das Programm, mit dem sie gefüllt werden muss, wird es vermutlich sein, Fernsehmachern beim Ausprobieren zuzusehen, die mit sowas vollkommen aus der Übung sind.
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