Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Erfolg mit Aussicht: Die ARD revolutioniert den eigenen Serienabend

| 21 Lesermeinungen

In der ARD-Serie "Mord mit Aussicht" kommen weder Nonnen noch Tierärzte vor, deshalb ist sie 2008 gefloppt. Trotzdem wagte die ARD die Wiederholung, diesmal am Dienstagabend – und mit Erfolg: Die erste Folge sahen fast 6 Millionen Menschen. Eine tolle Gelegenheit, dienstags künftig noch mehr Serienanarchie auszuprobieren.

„Haben Sie sich schon in unserem schönen Hengasch eingelebt?“,

wird die Kommissarin gefragt , nachdem sie sich cabriofahrend von ihrer bisherigen Wirkungsstätte Köln in die Eifel begeben hat, um dort widerwillig die Leitung der Polizeiinspektion zu übernehmen. In Hengasch, Kreis Liebernich. Schon in diesem Moment gab es für ARD-Zuschauer gestern Abend allen Grund, sich die Augen zu reiben, weil oben in der Ecke tatsächlich das Logo des Ersten zu sehen war, wo man um derlei Ironie sonst einen ähnlich großen Bogen macht wie Guido Westerwelle um gute Werte in den Meinungsumfragen.

Es war trotzdem keine Halluzination:

Bild zu: Erfolg mit Aussicht: Die ARD revolutioniert den eigenen Serienabend
Screenshot: Das Erste [M: Das Fernsehblog]

Bitte lassen Sie sich nicht davon irritieren, aber es scheint eine Woche des ARD-Lobs im Fernsehblog zu werden. Gestern schon – und heute nochmal, weil die Serie „Mord mit Aussicht“ nach der nicht besonders erfolgreichen Erstausstrahlung vor zwei Jahren nicht nur auf einem neuen Sendeplatz eine zweite Chance bekommen hat, sondern außerdem gleich sieben neue Folgen in Auftrag gegeben wurden, die direkt im Anschluss laufen.

Caroline Peters spielt die von der Versetzung genervte Kommissarin Sophie Haas, die im kleinen Eifelörtchen mit ihrer ruppigen Art für Unruhe sorgt, dafür aber schon in der ersten Woche sämtliche ungeklärten Fälle löst: den Muttererde-Klau auf der Gemeindehausbaustelle, die nächtlichen Kuhumschubsversuche und das mysteriöse Verschwinden des Ortsbürgermeisters, das schon Jahre zurück liegt. Die Leute vom Land kommen gar nicht gut weg in „Mord mit Aussicht“, vor allem die Polizeikollegen (Meike Droste, Bjarne Mädel): Die Serie zeigt sie als träge, dauerfrühtstückende, bleistiftanspitzende, sachbeschädigungsverwaltende Vogelscheiße-vom-Dienstwagen-Schrubber, die freilich gar nicht so doof sind, wenn sie mal gefordert werden und aus dem Quark kommen müssen. Auf der anderen Seite hat Kommissarin Haas alle Mühe, sich den Gepflogenheiten des Landlebens anzupassen, wo die gemeinsame Einnahme von Selbstgebackenem Bedingung für jegliche Art von Informationsaustausch ist.

Bild zu: Erfolg mit Aussicht: Die ARD revolutioniert den eigenen SerienabendFür ARD-Verhältnisse ist die Serie geradezu revolutionär, weil sie – wie die meisten anderen Produktionen – nicht klar fürs ältere Publikum geschrieben ist. Und weil darin weder Tierärzte noch Nonnen vorkommen.

Das eigentlich Erstaunliche ist, dass am gestrigen Dienstag trotzdem 5,83 Millionen Zuschauer die Wiederholung der ersten Folge sahen (über anderthalb Millionen mehr als 2008 am Montagabend). Und zwar auf einem Sendeplatz, auf dem die Zuschauer üblicherweise ganz andere Kost gewohnt sind, nämlich „Um Himmels Willen“, „Tierärztin Dr. Mertens“ und „Familie Dr. Kleist“. Im Vergleich dazu wirkt „Mord mit Aussicht“ wie Serienanarchie. Doch der ARD ist es offensichtlich gelungen, ihre Zuschauer im Laufe der Jahre so zu erziehen, dass sie dienstagabends automatisch das Erste einschalten. Egal was kommt.

Insofern eröffnet der „Mord mit Aussicht“-Erfolg der ARD ungeahnte Möglichkeiten: Künftig kann Programmdirektor Volker Herres am Dienstag zur besten Sendezeit die tollsten Experimente wagen – frecher, ironischer und jünger als alles, was man bisher gewöhnt war. Hauptsache, er streut in regelmäßigen Abständen Nonnen und Tierärzte dazwischen, damit die Stammzuschauer nicht misstrauisch werden.

Die ARD ist also gerettet. Und warten Sie erstmal ab, was in der Branche los ist, wenn Thomas Bellut beim ZDF bald auf die Idee kommt, „KDD“ in der Wiederholung auf dem Sendeplatz von „Unser Charly“ zu zeigen.

Foto: Das Erste


21 Lesermeinungen

  1. Mark5025 sagt:

    Man ist immer wieder...
    Man ist immer wieder fassungslos, mit welchem Spott und welcher Häme über die ARD geschrieben wird. Aber die FAZ-REdakteure wird’s freuen.

  2. torte sagt:

    Mich freut es, dass die ARD...
    Mich freut es, dass die ARD derzeit viel richtig zu machen scheint. Doch wenn ich allzu positiv gestimmt bin, muss ich wieder an den Ballack-Verletzungs-Brennpunkt denken. Und mir wird wieder schlecht!

  3. Muriel sagt:

    Ich mochte die Serie damals...
    Ich mochte die Serie damals auch. Und wenn „Unser Charlie“ abgesetzt wird, melde ich mich vielleicht sogar bei der GEZ an. Manche Leistungen müssen einfach honoriert werden.
    @Mark 5025: Fassungslos? Ehrlich? Ich bin immer ein bisschen enttäuscht, dass man mit Häme und Spott so sparsam umgeht.

  4. JMK sagt:

    Tolle Serie, Herr Niggemeier...
    Tolle Serie, Herr Niggemeier lobte sie ja schon in der F.A.S., erst da bin ich darauf gestossen. Die Erstaustrahlung habe ich 2008 versäumt, was ein wenig beweist wie wenig man der ARD überhaupt zutraut, dass man kaum nach neuen und guten Serien dort Ausschau hält.

  5. viewer sagt:

    YES! Großartige Serie, tolle...
    YES! Großartige Serie, tolle Quote!

  6. Wolfgang sagt:

    Das einzig Negative, was mir...
    Das einzig Negative, was mir in diesem TV-Schmuckstück aufgefallen ist, habt Ihr auch noch ausgerechnet auf dem Foto oben dokumentiert: Das fiktive Ortsschild ist etwas amateurhaft auf alt und schmutzig getrimmt worden – das sah mir doch sehr künstlich aus. Aber sonst alles erste Sahne, sehr unterhaltsam und lässig, cool, präzise, trocken-witzig.

  7. SvenR sagt:

    Du wirst doch nicht bei mir...
    Du wirst doch nicht bei mir https://twitter.com/_SvenR/status/14243968652 abgeschrieben haben? Das war mir bei der Erstausstrahlung noch gar nicht aufgefallen, hat aber zu einem extrem breiten Grinsen in meinem Gesicht geführt, dass beim Lesen Deines Artikels sofort wieder zurückgekehrt ist…und dann auch noch so gute Quote. Toll!

  8. Marvin sagt:

    Von heute an also Freches und...
    Von heute an also Freches und Ironisches nur noch am Dienstagabend veröffentlichen. Danke für den Tipp! 5,8 Mio. Leser können kommen 😉

  9. pschader sagt:

    @SvenR: Das ist, ob Du's...
    @SvenR: Das ist, ob Du’s glaubst oder nicht, tatsächlich Zufall.

  10. Andi sagt:

    Wirklich sehr schick (und ein...
    Wirklich sehr schick (und ein Hoch auf die ARD-Mediathek)! Ich hatte zwar ein leichtes Déjà vu, weil ich mir vor wenigen Wochen erst die Sat.1-Serie „Allein unter Bauern“ auf DVD angeschaut habe, die in eine sehr ähnliche Richtung geht (nicht nur, weil in beiden Fällen Michael Hanemann den grummeligen Altvorderen spielt), aber dies hier hat mir noch besser gefallen. Der ARD-Humor ist erfrischend subtiler.
    Und der Brandstifter, der sah aus wie der Niggemeier!

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