Das Fernsehblog

Die Woche im Fernsehen: Der fröhliche Käse von Berlin-Tempelhof

Die Sendungen
  • Deutschland gegen Holland – Das Duell Sat.1
  • A6 – Die Achse des Bösen 3sat
  • Hilfe, mein Urlaub geht baden! Vox
  • Helden 2010 SWR
  • Die große Welt der Wunder Wissensshow RTL 2

Haben Sie das am Sonntag auch gesehen? Wie NDR-Intendant Lutz Marmor nach dem deutschen Sieg beim Eurovision Song Contest die ganze Zeit fähnchenschwenkend durch diverse Sondersendungen lief, froh wie ein Schuljunge? Niedlich, oder?

Und versprochen: Dieser Blogeintrag ist ansonsten völlig Grand-Prix-frei.

Viel wichtiger ist ja sowieso die Frage: Was ist bloß in Sat.1 gefahren? Da spart sich der Sender über Monate hinweg schlank, um den Eigentümern wie gewünscht eine maßlos überzogene Rendite zu bescheren, und dann das: „Deutschland gegen Holland – Das Duell“ mit Johannes B. Kerner, im Hangar des stillgelegten Berliner Flughafens Tempelhof, live, mitten in der Woche!

Hat Neu-Senderchef Andreas Bartl in der Schreibtischschublade seines Vorgängers ein Sparbuch mit einem Notbudget für ganz schlechte Zeiten gefunden? Seit wann produziert die Firma Hurricane („Genial daneben“) eigentlich solche Megashows, in denen gegnerische Teams in albernen Spielchen – Hundewelpenraten, Holzversenken und Nägelbalancieren – gegeneinander antreten? Und wo verdammt war Hugo Egon Balder, der darauf doch bestimmt ein Patent angemeldet hat?

So richtig erklären kann ich das alles nicht, aber es scheint bei deutschen Zuschauern ein Bedürfnis zu geben, Til Schweiger, Jeannette Biedermann, Kaya Yanar, Ulla Kock am Brink und Jürgen Vogel dabei zuzusehen, wie sie gegen Hans Klok, Loona, Harry Wijnvoord und Heintje mit unterschiedlich farbigen Autos ihre Heimatflagge zurechtparken.

„Bei der letzten EM haben die Holländer auch gut gespielt – und wer war am Ende im Finale? Die Deutschen“, beruhigte Johannes B. Kerner bei seiner Sat.1-Showpremiere das völlig ausgeflippte Hangarpublikum nachdem das gegnerische Team gleich zu Beginn des Abends in Führung gegangen war. Am Ende gewannen die Holländer haushoch und Kerner sagte unter lauten Buhrufen der Zuschauer: „Die Deutschen sind ganz fair und gehen gratulieren!“

Es ist zu befürchten, dass es das bald wieder gibt. Die „Schlag den Raab“-Teamvariante lief mit 14,7 % Marktanteil in der jungen Zielgruppe nämlich gar nicht schlecht. Ich vermute ja: auch wegen der fantastischen Team-Maskottchen, einem Würstchen mit Hosenträgern für die Deutschen und einem fähnchenschwenkenden Gouda für die Holländer, die auf dem früheren Rollfeld in Tempelhof positioniert wurden.

Weiß eigentlich jemand, wo Lutz Marmor am Mittwochabend war?

Zur Autobahnpolizeibetrachterei im deutschen Fernsehen stand ja in der vergangenen Woche an dieser Stelle schon mal was, weil die früheren Meister der schnellen Eingreifreportage, die „ZDF.reporter“, inzwischen dem Ertappen von Asphaltsündern abgeschworen haben. Gut, das halbe Privatfernsehen ist noch voll damit – umso spannender aber war es, jetzt bei 3sat zu sehen, wie sich eigentlich gestandene Dokumentaristen dem Thema nähern. Nämlich: mit Schrittgeschwindigkeit.

Dabei hatten Hajo Baumgärtner und Karin Haug mit dem Titel ja schon alles richtig gemacht: Wer kann schon einer Reportage widerstehen, die „A6 – Die Achse des Bösen“ heißt? Und erklärt, warum besagte Autobahn im Süden Deutschlands eine beliebte Route für rumänische Diebesbanden und holländische Drogenkuriere ist, dass sie wegen der Unfallhäufigkeit bei Polizisten als „Todesstrecke“ gilt und Zivilfahnder permanent Marihuana transportierende, führerscheinlose, haftbefehlgesuchte, nutztiereinquetschende und Gefahrstellen produzierende Fahrer aus dem Verkehr ziehen muss.

Beim Zusehen hätte ich mir dann aber doch nicht nur eine Zusammenstellung der schlimmsten A6-Katastrophen aus dem SWR-Archiv gewünscht (die es wirklich gab, samt Einblendung: „SWR-Archiv“), sondern etwas mehr journalistischen Spürsinn: Wie hoffnungslos überlastet die A6 ist und dass das Bundesverkehrsministerium einen Ausbau trotzdem als „nicht vordringlich“ beurteilt, erzählen die Autoren ja – nur auf die Idee, mal nach den Gründen zu fragen, sind sie nicht gekommen.

Dafür überraschte Vox ausnahmsweise mit Investigativfernsehen. Die neue Reihe „Hilfe! Mein Urlaub geht baden“ (Produzent: Tokee bros.) erklärt sich zwar schon wegen des Titels von selbst und die Versteckte-Kamera-Bestandsaufnahme verschimmelter Hotelzimmer in ausländischen Ferienbunkern haben „Focus TV“ und „Extra“ eigentlich schon vor Jahren weltumspannend abgeschlossen.

Die Empörungsintensität, mit der Vox-Reiseexperte und Ex-„Wolkenlos“-Redakteur Mikka Bender die „Horrorhotels“ der eingeweihten Testurlauber besucht, ist dann aber doch sehr sehenswert.

„Das ist ’ne Gruft!“, urteilt er über das schlecht belüftbare Schlafzimmer, ärgert sich über die „Bettenburg an der Baustelle“, findet vollständige Wohnanlagen „ganz grottoid“ und begibt sich nur mit leuchtend rotem Mikrofon und Kamerateam bewaffnet auf die Mission, den Veranstaltern dubioser Verkaufsveranstaltungen auf Gran Canaria, die dort eigentlich längst verboten  sind, das Handwerk zu legen („Mikka Bender from Deutsches Fernsehen Vox – you speak English?“). Als er der örtlichen Tourismusbehörde am Ende das Versprechen abringt, sie werde sich um das Problem kümmern, war das vermutlich kein ganz so schwerer Schlag gegen den Touristennepp, wie Bender sich das erhoffen mag – aber immerhin beweist Vox damit, dass es dem Sender ernst ist mit seinem Urlaubsservice.

Gut, dass der am Samstagmittag um halb eins versteckt wird (fast wie diese Kolumne!), ist natürlich eine andere Sache.

Allenfalls gut gemeint ist hingegen die SWR-Doku „Helden 2010“, für die sich SWR-3-Radiomoderatorin Nicole Köster mit einem Kollegen auf eine dreimonatige Reise durch Deutschland begeben hat, um „Helden“ aufzuspüren. Eingefallen sind ihr: Nora Tschirner (weil die was für Afrika macht), Philipp Lahm (weil der auch was für Afrika macht), DJ Paul van Dyk (weil der was für Kinder macht) und Ingolf Lück (der was gegen Darmkrebs macht, aber vielleicht gar keine Ahnung von dem Thema hat und nur sein Gesicht für den guten Zweck vermietet).

Die Sendung ist ungefähr so nachvollziehbar wie der Antrag auf Gebührenbefreiung bei der GEZ und wird auch nicht besser als eine ehernamtliche Bewährungshelferin, eine Rockkonzert organisierende Schülerin und die Betreiberin eines Gnadenhofs für Tiere zu Helden gekürt werden. Dass alle drei Minuten die Emailadresse und die Internetseite der Sendung eingeblendet sind, ist wohl als Aufforderung zu verstehen, augenblicklich das Medium zu wechseln.

Das größte Problem ist aber, dass das „Helden“-Experiment kein Ziel zu haben scheint – außer dem Ratschlag an die Zuschauer, selbst aktiv zu werden. Reporterin Köster zum Beispiel hat früher mal in der Bibliothek ausgeholfen und der Kollege hat schon mal was gespendet. Ihr Tipp ans Publikum: Tut Gutes, geht mit Hunden aus dem Tierheim Gassi! Leider meinen sie das ernst.

Dabei gibt es viel sinnvollere Möglichkeiten, etwas zu bewegen. Für Sonja Zietlow zum Beispiel. Die wird von RTL 2 bereits seit Wochen in einem düsteren Fernsehstudio festgehalten. Sie musste dort sechs viel zu lange Shows moderieren, die auf „-Test“ endeten und zum Einschlafen öde waren, erst am vergangenen Sonntag hat sie Gesellschaft durch den Kollegen Hendrik Hey bekommen, mit dem sie durch eine weitere dreistündige Sendung führte, bevor er – wie die Grinsekatze in „Alice im Wunderland“ – mit schwarzem Sakko und schwarzem Shirt in der schwarzen Kulisse der „Großen Welt der Wunder Wissenshow“ verschwand.

Kann Frau Zietlow da bitte mal jemand raushelfen? Ich eröffne in der Zeit ein Spendenkonto für RTL 2, auf das Sie, liebe Leser, einzahlen sollen, damit der arme Sender sich mal eine ordentliches Studio leisten kann. Und dann bewerben wir uns gemeinsam beim SWR.

Soviel für diese Woche.

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