Die Geschichte ist ein Traum: Ein junger Mann aus der Provinz erfindet ein Programm, auf das die Welt gewartet hat. Eltern können damit endlich nachgucken, was ihre Kinder wirklich an Computerspielen auf ihren Rechnern installiert haben, und die bösen oder nicht altersgerechten Sachen mit einem Mausklick von der Festpatte löschen lassen.
Der Held muss natürlich, wie es in solchen Geschichten ist, erst gewaltige Widerstände überwinden. Keiner will ihm helfen, viele verstehen ihn nicht. Die Sache schleppt sich über Jahre hin und kostet ein kleines Vermögen. Aber seine Familie steht ihm bei, und am Ende hat er geschafft und eine Software auf den Markt gebracht, die die Welt ein bisschen besser macht.
Die Leute von „Stern TV“ erzählen diese Geschichte in ihrer Sendung am 9. Juni ungetrübt von jeder journalistischen Distanz. Es ist ein insgesamt fast 18-minütiger redaktioneller Werbeblock für das Programm namens „Neoguard 2010“. Günther Jauch moderiert es an als eine „bemerkenswerte Entwicklung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen und zum Aufatmen der besorgten Eltern“. Der Filmemacher Peter Schran hat den Programmierer Stefan Stein über längere Zeit begleitet und schwärmt von dessen „Vision“: „die fortschreitende Macht digitaler Monster in den Kinderzimmern bändigen“. Der Off-Sprecher sagt:
Es klingt nach der lang ersehnten Superwaffe für leidgeprüfte Eltern. Nur eine CD einlegen, zwei, drei Eingaben und die verbotenen Spiele werden enttarnt.
Dem “ Tüftlersohn“, dessen Mutter als Sozialpädagogin an einer Hauptschule täglich mit der Problematik konfrontiert werde, fehlt es nicht an Selbstbewusstsein: Er führt vor, wie leicht die vermeintliche Jugendschutz-Sperre an der X-Box zu überlisten sei, und erklärt, dass sein eigenes Programm nicht so einfach zu knacken sein werde. Weltweit gebe es kein ähnliches System – wenigstens sei ihm keines bekannt. Als das Bundesfamilienministerium seine Bitte um Hilfe ablehnt, klagt er: „Ich blick nicht, warum die Leute nicht verstehen, was ihnen da an die Hand gegeben werden könnte.“
Im Stud io lässt sich Günther Jauch von Stefan Stein vorführen, wie leicht die Software zu bedienen ist – und wie gut sie angeblich funktioniert. Bei einem Test findet sie zwar nur neun von zehn Spielen, die die Redaktion installiert hatte, aber das sei „ein Superergebnis“, findet Jauch. 25 Euro soll das Programm kosten, aber die Redaktion von „Stern TV“ hat für ihre Zuschauer noch ein Zusatzangebot: Kostenlos lässt sich auf der Sendungsseite im Internet eine eigene, abgespeckte Version herunterladen. Sie nennt sich „Stern-TV Spiele-Scanner“, trägt unübersehbar das bekannte Logo und kann zwar die gefundenen Programme nicht löschen oder namentlich auflisten, aber sie zählen.
Jauch erklärt den Zuschauern:
„Das heißt, Sie können dann zu Ihrem Kind gehen und sagen: Pass mal auf, du hast die hier installiert, was sind das für Spiele, was machst du damit, mach die bitte weg etc. Und wenn Sie dann dem Kind am Ende nicht glauben oder wenn das sozusagen sich dauernd wiederholt, dann, würde ich sagen, nehmen wir [Stefan Steins] Luxus-Software und dann können Sie selber gucken, können’s löschen und kriegen’s dann vor allen Dingen sauber aufgeführt, wie diese ganzen Spiele heißen.“
Offenkundig erwartet die Redaktion einen größeren Ansturm auf das von ihr als Wunderwaffe dargestellte kostenlose Produkt. Jauch sagt:
„Machen Sie sich keine Sorgen, wenn das jetzt in der Nacht zusammenbricht. Das ist lang genug auf unserer Seite drauf, die nächsten Tage und Wochen auch.“
Der junge Mann werde in der Redaktion der „Killer-Spiel-Killer“ genannt, verrät Jauch. „Das ist ’ne tolle Idee“, sagt er noch zu ihm. „Herzlichen Glückwunsch!“
Die Reaktionen unter vielen Computerspielern waren deutlich weniger euphorisch, dafür aber häufig amüsiert. Einer nach dem anderen prahlte in einschlägigen Foren, wie viele der bei ihm installierten Spiele das vermeintliche Wunderprogramm nicht fand. Innerhalb kürzester Zeit hatten die Profis dokumentiert, wie lücken- und fehlerhaft die Datenbank mit den Spielen und ihren Altersfreigaben sei, und wie kinderleicht sogar der grundsätzliche Mechanismus des Programms überlistet werden könne. Kaum eine Behauptung der Hersteller hielt einer Überprüfung stand. Auch die Redaktion der Zeitschrift „PC Games“ berichtete auf ihrer Internetseite am Tag nach der „Stern TV“-Sendung von „ernüchternden Ergebnissen“.
Die Nachrichtenagentur epd und andere Medien hingegen sprang ungefähr gleichzeitig auf den Werbezug auf. „Der Killerspiele-Killer fürs Kinderzimmer – Ein neues Programm kann jugendgefährdende Spiele auf dem PC finden und löschen“, lautet die Überschrift eines längeren epd-Berichts. Er erzählte ebenfalls die Entwicklung des Programms als langjährige Heldengeschichte – hier kostete die Entwicklung sogar „knapp 100.000 Euro“. Bei „Stern TV“ war nur von 60.000 bis 70.000 Euro die Rede gewesen. Im epd-Bericht erhielt das Produkt zudem prominente Unterstützung: die Sprecherin des Aktionsbündnisses Amoklauf Winnenden sagte, das Programm sei die einzige (!) Möglichkeit, gegen altersindizierte Spiele aus dem Internet vorzugehen.
Auch Bild.de war begeistert:
Dass darauf nicht schon längst jemand gekommen ist: Eine neue Software kann jugendgefährdende Spiele auf dem PC finden und löschen. „Neoguard 2010“ verbannt so „Killerspiele“ aus dem Kinderzimmer. Der 28-jährige Hagener Stefan Stein hat das Programm entwickelt. Die Anwendung: kinderleicht!
Doch wer die überall angegebene Internet-Adresse aufruft, unter der das Zauberwerkzeug zu beziehen sein soll, findet heute nur eine leere Seite; auch die Homepage der Firma ist verschwunden. Der Server sei massiven Attacken ausgesetzt gewesen, sagt Stefan Stein auf Nachfrage. Und jetzt arbeite er mit einem Team erst einmal an einer neuen, erweiterten Version der Software, bei der auch ein „technisches Problem“ ausgeräumt werden soll, das aufgetreten sei, und wolle sich dabei keinen zu engen Zeitrahmen setzen. Nach den Sommerferien sei „Neoguard“ vermutlich verfügbar. Zu den akribisch dokumentierten Vorwürfen, was alles an seinem Programm nicht funktioniere, will er sich „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht äußern. Auch auf die Frage, wie es eigentlich zu der erstaunlichen Kooperation mit „Stern TV“ kam, möchte er nicht antworten – das müsse man schon bei dem RTL-Magazin erfragen.
Dort ist man allerdings auch wortkarg, was das Thema angeht. Andreas Zaik, der Leiter der Sendung, erklärt „auf dem Weg ins Wochenende“ auf detaillierte Fragen nur kurz: „stern TV hat den „Spielescanner“ wegen technischer Probleme vorübergehend vom Netz genommen. Dies wird bis zu deren Klärung und Behebung auch so bleiben.“
Tatsächlich führen die Links auf die Seite mit dem Download ins Leere. Und auf der Archivseite der Sendung ist jeder Hinweis auf den sensationellen „Spiele-Scanner“ nachträglich beseitigt worden. Nach all der wortreichen Werbung für das Produkt schenkt „Stern TV“ seinen Zuschauern und all den Eltern, die hofften, einen Schlüssel zum Säubern des Computers ihrer Kinder gefunden zu haben (wenn sie sie überhaupt ins Zimmer lassen), nicht ein einziges Wort der Erklärung, warum das Programm mit einem Mal verschwunden ist.
Viele Fragen sind noch unbeantwortet. Aber es scheint, als wäre das Programm bestenfalls gut gemeint, aber in vielfacher Hinsicht ungeeignet, Kinder und Jugendliche von nicht altersgerechten Computerspielen fernzuhalten. Die Geschichte war wirklich ein Traum – für und von Journalisten.
Screenshots: RTL
Habe auch die Sendung gesehen...
Habe auch die Sendung gesehen und fand, dass der sich ganz schön dilletantisch aus dem Fenster gelehnt hat. Mir war von Anfang an klar, dass das Programm nicht ansatzweise das hält, was es versprechen soll. Naja, mal sehen, wie es weitergeht.
Hach, danke Stefan für diesen...
Hach, danke Stefan für diesen wunderbaren Artikel, das ist mal wieder richtig schön zum Lachen, obwohl ich hier stellenweise über die Dummheit der Allgemeinbevölkerung heulen könnte. Aber nunja, die Versprechen der Software sind am Ende genau so haltlos wie die Vorwürfe, die gegenüber Killerspielen gemacht werden. Meines Erachtens müsste man vielmehr eine Software entwickeln, mit der man kaputte Menschen scannen kann, um herauszufinden ob das potentielle Amokläufer sind und die dann irgendwo hinstecken, wo denen sicher besser geholfen wird als wenn man denen ihr Spielzeug wegnimmt.
Wer weiß, wann man die Sendung in Auftrag gegeben hat, wahrscheinlich nach Winnenden. Ich bezweifle auch, dass Stein das Gros der Kosten selbst tragen musste, da wird man bei SternTV bestimmt ein bisschen unterstützt haben. Insgesamt kommt mir diese Person ein bisschen suspekt vor, wie als wenn der aus einer Familie von fundamentalistischen Christen käme. Normalerweise wissen Leute in seinem Alter, dass diese ganze Killerspiel-Hetze ja eh nur Politpropaganda ist, weil man die wahren Probleme (Versagen bei Eltern, Lehrern, Jugendämtern…) nicht mit ein paar Verboten lösen kann…
Naja, ich fand Günther Jauch eh noch nie wirklich sympathisch, der SternTV-Beitrag bestätigt meine Auffassung erneut :>
Dies ist meiner Erfahrung nach...
Dies ist meiner Erfahrung nach leider typisch für diese Sendung. Witzig ist nur, dass es immer noch Leute gibt, die Jauch für einen profilierten Journalisten halten.
25 Jahre nach Windows 1.0 und...
25 Jahre nach Windows 1.0 und immer noch soviel dummes Gelaber.
Ich versteh eh nicht, wozu man...
Ich versteh eh nicht, wozu man irgendwelche Software braucht um zu schauen, welche Spiele auf einen Rechner installiert sind…
Regividerm lässt grüßen....
Regividerm lässt grüßen.
Schön, dass sich das...
Schön, dass sich das gebührenfinanzierte Fernsehen einen so großartigen Journalisten wie Jauch ins Boot holt.
Bei der betreffenden Sendung fehlte übrigens der Hinweis: Dauerwerbesendung
Der Artikel ist ganz gut. Zu...
Der Artikel ist ganz gut. Zu dem Programm kann ich nur sagen, dass ich mich frage, wie verzweifelt die deutschen Eltern sind, dass sie die Computer ihrer Kinder untersuchen wollen. Das ist wie das Durchsuchen des Kinderzimmers mit dem neuen „Powerzimmerdurchwuehler2000“ – überflüssiger Schwachsinn. Eine ordentliche Erziehung hilft da viel mehr. Auf meinem Rechner befanden sich nur Spiele, von denen mein Vater wusste. Selbst als ich 18 wurde habe ich ihm noch gezeigt, was ich so spiele. Ganz nebenbei brauch ein jeder nur die Systemsteuerung um Software vom Computer zu deinstallieren. Informationen zu der Software findet man ja ueberall im Internet. Wer jetzt noch in der Lage ist, im Internet nach den einzelnen Spielen zu suchen, um die Altersbeschränkung rauszusuchen, wird ein solches Programm niemals brauchen.
Ein sehr schöner Text. Vielen...
Ein sehr schöner Text. Vielen Dank!
Ein wirklich sehr schöner...
Ein wirklich sehr schöner Text, vielen vielen Dank!
Es ist erstaunlich, wie oft immer behauptet wird „der Server/die Website war massiven Attacken ausgesetzt“.
Die Idee die der Herr Stein mit dem Programm hatte ist eigentlich nicht schlecht, aber sicherlich auch nicht neu.
Herr Stein gibt den Eltern nicht nur ein Werkzeug in die Hand, womit Eltern ihre extreme Neugierde weiter ausbreiten können, sondern auch ein Werkzeug, dass den Familienfrieden empfindlich stört bzw. zerstören kann.
Niemand finde es belustigend, wenn jemand anderes Daten vom eigenen Rechner löscht, egal ob es sich um Videospiele,Filme,Musik oder Dokumente handelt.
Es ist schon schlimm genug, dass sich Eltern einfach das Recht nehmen und die Zimmer der Kinder bis in die kleinste Ecke durchsuchen, aber mit dem Programm sich das Recht nehmen dem Kind einfach die Spiele zu löschen ist, wie ich finde, der Tropfen der das Fass zum überlaufen bringt.
Ich bin daher der Meinung, dass der Scanner nur suchen und finden darf, aber nicht löschen!
Nur so kann ein Gleichgewicht zwischen Eltern und Kind eingehalten werden und die Eltern werden zu einem Gespräch mit dem Kind „gezwungen“.
Sollte das Kind sich aber stur stellen, können die Eltern immer noch das Gerät wegnehmen, was ein viel besseres Druckmittel ist, als dann einfach zu löschen.
Die Bild scheint auch sehr lustig zu sein!
Einerseits feierte sie das Programm, andererseits verkauft die Bild in ihrem Shop selbst die „bösen“ Spiele.
Focus und Stern sind Fälle für sich.
Das AAW ist für eine radikalen Methoden nicht unbekannt, daher es ist auch nicht verwunderlich, dass die Verantwortlichen das Programm als Allheilmittel feiern.
Wobei ich immer noch die Hoffnung hege, dass die AAW-Personen wieder in unsere Realität zurück finden und endlich wieder festen Boden spüren.