Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Der Nepp mit dem "Killer-Spiel-Killer" von "Stern TV"

| 43 Lesermeinungen

Das RTL-Magazin "Stern TV" wirbt euphorisch für ein Programm, mit dem Eltern mühelos auf den Computern ihrer Kinder nicht altersgerechte Spiele finden können sollen. Doch die Versprechungen erfüllen sich nicht, die Software ist plötzlich einfach verschwunden, und die Verantwortlichen geben sich wortkarg.

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Die Geschichte ist ein Traum: Ein junger Mann aus der Provinz erfindet ein Programm, auf das die Welt gewartet hat. Eltern können damit endlich nachgucken, was ihre Kinder wirklich an Computerspielen auf ihren Rechnern installiert haben, und die bösen oder nicht altersgerechten Sachen mit einem Mausklick von der Festpatte löschen lassen.

Der Bild zu: Der Nepp mit dem "Killer-Spiel-Killer" von "Stern TV" Held muss natürlich, wie es in solchen Geschichten ist, erst gewaltige Widerstände überwinden. Keiner will ihm helfen, viele verstehen ihn nicht. Die Sache schleppt sich über Jahre hin und kostet ein kleines Vermögen. Aber seine Familie steht ihm bei, und am Ende hat er geschafft und eine Software auf den Markt gebracht, die die Welt ein bisschen besser macht.

Die Leute von „Stern TV“ erzählen diese Geschichte in ihrer Sendung am 9. Juni ungetrübt von jeder journalistischen Distanz. Es ist ein insgesamt fast 18-minütiger redaktioneller Werbeblock für das Programm namens „Neoguard 2010“. Günther Jauch moderiert es an als eine „bemerkenswerte Entwicklung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen und zum Aufatmen der besorgten Eltern“. Der Filmemacher Peter Schran hat den Programmierer Stefan Stein über längere Zeit begleitet und schwärmt von dessen „Vision“: „die fortschreitende Macht digitaler Monster in den Kinderzimmern bändigen“. Der Off-Sprecher sagt:

Es klingt nach der lang ersehnten Superwaffe für leidgeprüfte Eltern. Nur eine CD einlegen, zwei, drei Eingaben und die verbotenen Spiele werden enttarnt.

Dem “ Bild zu: Der Nepp mit dem "Killer-Spiel-Killer" von "Stern TV"Tüftlersohn“, dessen Mutter als Sozialpädagogin an einer Hauptschule täglich mit der Problematik konfrontiert werde, fehlt es nicht an Selbstbewusstsein: Er führt vor, wie leicht die vermeintliche Jugendschutz-Sperre an der X-Box zu überlisten sei, und erklärt, dass sein eigenes Programm nicht so einfach zu knacken sein werde. Weltweit gebe es kein ähnliches System – wenigstens sei ihm keines bekannt. Als das Bundesfamilienministerium seine Bitte um Hilfe ablehnt, klagt er: „Ich blick nicht, warum die Leute nicht verstehen, was ihnen da an die Hand gegeben werden könnte.“

Im Stud Bild zu: Der Nepp mit dem "Killer-Spiel-Killer" von "Stern TV"io lässt sich Günther Jauch von Stefan Stein vorführen, wie leicht die Software zu bedienen ist – und wie gut sie angeblich funktioniert. Bei einem Test findet sie zwar nur neun von zehn Spielen, die die Redaktion installiert hatte, aber das sei „ein Superergebnis“, findet Jauch. 25 Euro soll das Programm kosten, aber die Redaktion von „Stern TV“ hat für ihre Zuschauer noch ein Zusatzangebot: Kostenlos lässt sich auf der Sendungsseite im Internet eine eigene, abgespeckte Version herunterladen. Sie nennt sich „Stern-TV Spiele-Scanner“, trägt unübersehbar das bekannte Logo und kann zwar die gefundenen Programme nicht löschen oder namentlich auflisten, aber sie zählen.

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Jauch erklärt den Zuschauern:

„Das heißt, Sie können dann zu Ihrem Kind gehen und sagen: Pass mal auf, du hast die hier installiert, was sind das für Spiele, was machst du damit, mach die bitte weg etc. Und wenn Sie dann dem Kind am Ende nicht glauben oder wenn das sozusagen sich dauernd wiederholt, dann, würde ich sagen, nehmen wir [Stefan Steins] Luxus-Software und dann können Sie selber gucken, können’s löschen und kriegen’s dann vor allen Dingen sauber aufgeführt, wie diese ganzen Spiele heißen.“

Offenkundig erwartet die Redaktion einen größeren Ansturm auf das von ihr als Wunderwaffe dargestellte kostenlose Produkt. Jauch sagt:

„Machen Sie sich keine Sorgen, wenn das jetzt in der Nacht zusammenbricht. Das ist lang genug auf unserer Seite drauf, die nächsten Tage und Wochen auch.“

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Der junge Mann werde in der Redaktion der „Killer-Spiel-Killer“ genannt, verrät Jauch. „Das ist ’ne tolle Idee“, sagt er noch zu ihm. „Herzlichen Glückwunsch!“

Die Reaktionen unter vielen Computerspielern waren deutlich weniger euphorisch, dafür aber häufig amüsiert. Einer nach dem anderen prahlte in einschlägigen Foren, wie viele der bei ihm installierten Spiele das vermeintliche Wunderprogramm nicht fand. Innerhalb kürzester Zeit hatten die Profis dokumentiert, wie lücken- und fehlerhaft die Datenbank mit den Spielen und ihren Altersfreigaben sei, und wie kinderleicht sogar der grundsätzliche Mechanismus des Programms überlistet werden könne. Kaum eine Behauptung der Hersteller hielt einer Überprüfung stand. Auch die Redaktion der Zeitschrift „PC Games“ berichtete auf ihrer Internetseite am Tag nach der „Stern TV“-Sendung von „ernüchternden Ergebnissen“.

Die Nachrichtenagentur epd und andere Medien hingegen sprang ungefähr gleichzeitig auf den Werbezug auf. „Der Killerspiele-Killer fürs Kinderzimmer – Ein neues Programm kann jugendgefährdende Spiele auf dem PC finden und löschen“, lautet die Überschrift eines längeren epd-Berichts. Er erzählte ebenfalls die Entwicklung des Programms als langjährige Heldengeschichte – hier kostete die Entwicklung sogar „knapp 100.000 Euro“. Bei „Stern TV“ war nur von 60.000 bis 70.000 Euro die Rede gewesen. Im epd-Bericht erhielt das Produkt zudem prominente Unterstützung: die Sprecherin des Aktionsbündnisses Amoklauf Winnenden sagte, das Programm sei die einzige (!) Möglichkeit, gegen altersindizierte Spiele aus dem Internet vorzugehen.

Auch Bild.de war begeistert:

Dass darauf nicht schon längst jemand gekommen ist: Eine neue Software kann jugendgefährdende Spiele auf dem PC finden und löschen. „Neoguard 2010“ verbannt so „Killerspiele“ aus dem Kinderzimmer. Der 28-jährige Hagener Stefan Stein hat das Programm entwickelt. Die Anwendung: kinderleicht!

Doch wer die überall angegebene Internet-Adresse aufruft, unter der das Zauberwerkzeug zu beziehen sein soll, findet heute nur eine leere Seite; auch die Homepage der Firma ist verschwunden. Der Server sei massiven Attacken ausgesetzt gewesen, sagt Stefan Stein auf Nachfrage. Und jetzt arbeite er mit einem Team erst einmal an einer neuen, erweiterten Version der Software, bei der auch ein „technisches Problem“ ausgeräumt werden soll, das aufgetreten sei, und wolle sich dabei keinen zu engen Zeitrahmen setzen. Nach den Sommerferien sei „Neoguard“ vermutlich verfügbar. Zu den akribisch dokumentierten Vorwürfen, was alles an seinem Programm nicht funktioniere, will er sich „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht äußern. Auch auf die Frage, wie es eigentlich zu der erstaunlichen Kooperation mit „Stern TV“ kam, möchte er nicht antworten – das müsse man schon bei dem RTL-Magazin erfragen.

Dort ist man allerdings auch wortkarg, was das Thema angeht. Andreas Zaik, der Leiter der Sendung, erklärt „auf dem Weg ins Wochenende“ auf detaillierte Fragen nur kurz: „stern TV hat den „Spielescanner“ wegen technischer Probleme vorübergehend vom Netz genommen. Dies wird bis zu deren Klärung und Behebung auch so bleiben.“

Tatsächlich führen die Links auf die Seite mit dem Download ins Leere. Und auf der Archivseite der Sendung ist jeder Hinweis auf den sensationellen „Spiele-Scanner“ nachträglich beseitigt worden. Nach all der wortreichen Werbung für das Produkt schenkt „Stern TV“ seinen Zuschauern und all den Eltern, die hofften, einen Schlüssel zum Säubern des Computers ihrer Kinder gefunden zu haben (wenn sie sie überhaupt ins Zimmer lassen), nicht ein einziges Wort der Erklärung, warum das Programm mit einem Mal verschwunden ist.

Viele Fragen sind noch unbeantwortet. Aber es scheint, als wäre das Programm bestenfalls gut gemeint, aber in vielfacher Hinsicht ungeeignet, Kinder und Jugendliche von nicht altersgerechten Computerspielen fernzuhalten. Die Geschichte war wirklich ein Traum – für und von Journalisten.      

Screenshots: RTL


43 Lesermeinungen

  1. Jens sagt:

    Vielen Dank für den Artikel....
    Vielen Dank für den Artikel. Für 100,000 Euro würde ich so ein Programm auch programmieren – aber in 2 Stunden …

  2. schreibmalso sagt:

    Mehr als überfällig ist ein...
    Mehr als überfällig ist ein Dumm-TV Guard. Kaum zu fassen, wie viel konstruierte und unreflektierte Gülle sich da über einem ergießt.

  3. avj sagt:

    Offengestanden finde ich diese...
    Offengestanden finde ich diese Idee – hirnlose Computerspiele von Kindern fern zu halten – durchaus gut. Klar ist dies auch ein Werbebeitrag, aber immerhin einer, der die Welt einwenig besser machen könnte. Es würde mich eigentlich viel mehr interessieren, warum Herr Niggemeier sich so auf Stern TV eingeschossen hat. Es gibt schlimmere Programme. Auch sein kürzliches Interview mit Günther Jauch empfand ich als sehr unangenehm. Als guter Medienjournalist sollte man kritischen Abstand zum dem jeweiligen Thema haben.

  4. @avj: Erklären Sie mir, wie...
    @avj: Erklären Sie mir, wie ein Werbebeitrag für ein Programm, das die Computerspiele auf den Rechnern der Kinder n i c h t findet, die Welt besser machen könnte?
    (Und lustig, dass Sie offenbar von Fernsehmagazinjournalisten k e i n e n kritischen Abstand zu den Themen erwarten.)

  5. Chris sagt:

    Zitat BloodyFox:

    "Meines...
    Zitat BloodyFox:
    „Meines Erachtens müsste man vielmehr eine Software entwickeln, mit der man kaputte Menschen scannen kann, um herauszufinden ob das potentielle Amokläufer sind“
    Schreibst selber so einen Mist aber könntest dann über die Dummheit der Allgemeinbevölkerung heulen?
    Ich könnte über deine Dummheit heulen.
    Jeder ist ein potentieller Amokläufer (AUCH DU) wenn die entsprechenden Vorraussetzungen in deinem Umfeld erfüllt werden!

  6. lanzelotz sagt:

    @avj

    Nun jeder dem die Idee...
    @avj
    Nun jeder dem die Idee gefällt so ein Programm zu verwenden, der soll das gerne tun. Am besten benutzt man den schon in Windows implentierten Jugendschutz, der ist zwar auch bei weitem nicht perfekt aber um längen besser als dieses Programm „NeoGuard“, das wirklich kaum eines seiner Versprechen halten kann. Vor allem kostet der Windows Schutz nicht zusätzlicheses Geld.
    Ein perfektes Programm für diese Problematik wird es nicht geben und so bleibt den besorgten Eltern nichts anderes übrig als sich mit der Thematik und den Hobbies ihrer Kinder auseinanderzusetzen. Und dabei schaden solche Beiträge, wie der hier besprochene, weil einfach zu viel Unsinn erzählt wird.
    Sie meinen es war ein „Werbebeitrag, aber immerhin einer, der die Welt einwenig besser machen könnte“ . Dann hätte man nicht erzählen sollen, dass es keine Alternative gibt bzw vorhanden Alternaiven zu leicht zu umgehen sind, wenn die eigene Software noch leichter auszuhebeln ist.
    Und dazu noch die ganze Geschichte von wegen 4 Jahre Arbeit und 60.000 bzw. 100.000 Euro (je nach Quelle).
    Nochmal wenn sie meinen solche Software sei nötig um den Medienkonsum ihrer Kinder zu kontrollieren, habe ich damit überhaupt kein Problem. Aber was in der Sendung abgezogen wurde war schon in meinen Augen Betrug.

  7. BloodyFox sagt:

    @ Chris

    1. Ich werde das...
    @ Chris
    1. Ich werde das nächste mal deutlich machen, wenn ich sarkastisch u./o. ironisch schreibe.
    2. Selbst wenn das ernst gemeint wäre – ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ein normal denkender Mensch darauf kommen könnte, dass das ernst gemeint ist – geht es hier nicht unbedingt darum, dass so ziemlich jeder Mensch das Potential hat, zum Amokläufer zu werden. In der Regel sind es schlichtweg die Leute, die in der Schule gemobbt werden, bei denen es häusliche Gewalt gibt, etc. Zumindest den ersten Fall sollte man seitens der Lehrerschaft doch bemerken können, evtl. auch häusliche Gewalt. Natürlich sind Arten von seelischer Misshandlung schwer von Laien erkennbar, aber letztendlich ging es mir in dem Beitrag, wenn du ihn denn aufmerksam gelesen hättest, gar nicht darum.
    Das Problem ist schlicht, dass das Problem zu selten in der Öffentlichkeit benannt wird: Solche Spiele werden als Sündenbock an den Pranger gestellt, damit man sich mit sozialen, pädagogischen und anders gearteten Missständen einfach nicht auseinandersetzen muss, denn deren Behebung, wenn überhaupt möglich, ist ein viel langwieriger Prozess als einmal in die Kamera zu sagen:
    „Böses Killerspiel, böse! Tu das nie wieder!“

  8. Alexander sagt:

    Ich finde es bemerkenswert,...
    Ich finde es bemerkenswert, dass dort nun an technischen Problemen gearbeitet wird. Das ganze Konzept ist zum scheitern verurteilt, da einfache Registry-Scans niemals ein akzeptables und sicheres Ergebnis liefern können.
    Der eine löscht Programm statt sie zu deinstallieren und erhält so zig Falschmeldungen, der nächste kann bis drei zählen und editiert die Registry, was die Programme im Regelfall kaum stört und den Scanner faktisch blind macht. D.h. der Scanner findet nichts mehr und behauptet dann, alles wäre in Ordnung, wiegt die Eltern in falscher Sicherheit und verschärft alle Probleme noch weiter.
    Ein funktionierender Spielescanner braucht zu jedem Spiel viel mehr Informationen, so muss nach spezifischen ordnerstrukturen und Dateien gesucht werden, Dinge, die man nicht so einfach manipulieren kann. Dafür braucht man aber nicht nur mehr Daten zu jedem Spiel, man braucht auch mehr Zeit. D.h. der Scanner muss die ganze Festplatte prüfen, was unter Umständen, je nach Datenvolumen auf der Festplatte lange dauern kann.
    Patches, Mods, Erweiterungen modifizieren aber wieder die Spieldateien und unter Umständen auch die Ordnerstruktur, sowie die Registry, d.h. ein Spielescanner müsste zu jedem Spiel und jedem Softwareupdate eines Spiels eine umfangreife Datenbank vorhalten, die Informationen enthält, anhand der man das Spiel einwandfrei identifizieren kann.
    Das ist kein 1-Mann-Projekt. Das wäre, wenn man es richtig machen wollen würde ein sehr umfangreiches Unterfangen.
    Insgesamt ist mir aber ein Rätsel, wie man an dem Spielescanner soviel zeit und Geld verschwenden konnte, das Programm, so wie es vorlag, rechtfertig maximal 1 Monat arbeit eines gelangweilten Studenten. Aber niemals 4 Jahre oder gar über 60000€!
    Insofern ist das aus der Sicht eines Informatikers extrem nahe am Betrug. Man müsste mir erst einmal glaubhaft klar machen, wofür die 4 Jahre und die 60000-100000€ versickert sind.

  9. Sebastian sagt:

    Na da haben die Kinder aber...
    Na da haben die Kinder aber sicher Angst vor dieser herausragenden Software… *Kopfschüttel*

  10. Student sagt:

    Also wenn ich mir das so...
    Also wenn ich mir das so anschaue, wäre eine grundsätzliche Konsolenanwendung in etwa 4-5 Stunden programmiert, die die Registry durchsucht und das ganze mit einer Datenbank abgleicht. Dann noch eine Datenbank voll mit den Daten und schwups, fertig ist der Scanner.
    Das kann man nach 2 Semestern Programmieren locker.

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