Das Fernsehblog

See-Schwäche auf allen Kanälen: Wie das Fernsehen der Kreuzfahrtindustrie verfiel

Vor anderthalb Wochen ist bei Hinnerk Baumgarten Urlaubsstimmung ausgebrochen. Der NDR-Moderator stand an einem Pult mit Aussicht auf den Hamburger Hafen, hinter ihm zog die „Parade der Traumschiffe“ vorbei und Baumgarten war ganz begeistert von der Urlaubsdampfer-Polonaise: „Da denkt man gleich an die nächste Kreuzfahrt, oder?“, fragte der NDR-Mann die Schauspielerin Saskia Valencia, die ihm als qualifizierte Kommentatorin zur Seite stand, weil sie schon mal auf dem „Traumschiff“ gedreht hatte.

„Lust hätt‘ ich schon“, sagte Valencia und berichtete von eigenen Erlebnissen auf See: „Man weiß, dass der Service dort außergewöhnlich ist. Die Qualität ist hervorragend. Es ist immer alles picobello sauber. Das Personal ist bemüht, den Gästen an Bord jeden Wunsch von den Augen ablesen zu lassen. Man kann so richtig die Seele baumeln lassen.“


Hafenkapitän Pollmann, K. von Stürmer, Moderator Baumgarten, S. Valencia (v.l.) / Screenshot: NDR

Die NDR-Kreuzfahrtexpertin Kerstin von Stürmer konnte dem nur zustimmen: „Die Reedereien haben sich vieles einfallen lassen. Sie bieten inzwischen eine Bandbreite für alle Ansprüche. Das hat sich in den letzten zehn Jahren dramatisch verändert und da ist auch für jeden was dabei.“ Zumindest für jeden NDR-Reporter. „Ich würde glatt einsteigen und mitfahren“, berichtete Stürmer. „Jederzeit würde ich wieder aufs Schiff gehen.“ Zum Beispiel auf die der AIDA-Flotte, „die Revolution auf dem Kreuzfahrtmarkt“: „Die haben echt gute Arbeit geleistet!“, erklärte die NDR-Frau. Hafenkapitän Jörg Pollmann kam zurück auf die „Parade“: „So ein Start in die Kreuzfahrt. Schöner geht’s nicht.“ Und „Traumschiff“-Profi Valencia riskierte sogar einen Blick in die Zukunft: „Ich wette, all die Menschen, die hier sind, sind potenzielle Kreuzfahrer. Die werden infiziert heute Abend.“

Zwei Stunden berichtete der NDR am Samstag vor zwei Wochen von den Hamburger „Cruise Days“, und alle waren so begeistert, dass man zuhause schon den Rechner aufgeklappt hatte, um den nächsten Urlaub zu buchen.

„Das ist ja wirklich die allerbeste Werbung für eine Reise mit dem Kreuzfahrtschiff“, bemerkte NDR-Reporter Christian Buhk zwischendurch über das Spektakel. Es war aber nicht auf die eigene Rolle darin bezogen. Genauso wenig wie Baumgartens Erkenntnis: „Da wird schon eine gewisse Sehnsucht geweckt, das machen die schon sehr geschickt. Die Marketingexperten denken sich immer neue Ideen aus, um Gäste an Bord zu locken!“

Ganz so schwer kann dieser Job nicht sein. Jedenfalls nicht so lange es Sender gibt, die zwei Stunden ihres Abendprogramms freiräumen, um freiwillig eine Werbesendung für die Tourismusbranche zu produzieren.

Der NDR ist mit seiner Begeisterung nicht allein. Wo man auch hinsieht im deutschen Fernsehen: Überall werden gerade Filme über Kreuzfahrtschiffe gezeigt und die fantastischen Urlaube, die man darauf verbringen kann – vom ZDF-„Traumschiff“, das bereits seit 1981 über die Weltmeere schippert (und mit „Kreuzfahrt ins Glück“ 2006 einen Ableger bekommen hat), ganz zu schweigen. Es gibt Reportagen über Schiffe, die neu vom Stapel laufen, ganze Serien, in denen Passagiergeschichten erzählt werden, und neuerdings Shows, die komplett an Bord produziert sind, so wie „Der Kreuzfahrtkönig“, der vergangene Woche bei RTL 2 startete (aber wegen mieser Quoten jetzt nur noch am Vormittag läuft).

Den Veranstaltern, die einem Millionenpublikum zeigen können, wie toll es sich auf See entspannen lässt, kann dieser Eifer nur recht sein. Seitdem die Unternehmen mit neuen Konzepten und modernen Schiffen auf ein jüngeres Publikum zielen, ist der Kreuzfahrtmarkt zum Milliardengeschäft geworden. Der Deutsche Reiseverband schwärmt für 2009 von einem Wachstum der Hochseekreuzfahrten um 14 Prozent. 2008 waren es schon einmal fast 18 Prozent Zuwachs. Kreuzfahrten gehörten zu den „am stärksten wachsenden touristischen Segmenten“: mehr Gäste, mehr Umsatz – und mehr Aufmerksamkeit. Bisher beträgt der Anteil der Seefahrten nur 1 Prozent am gesamten Reisemarkt. In Großbritannien sind es zwei bis drei. Da wollen die deutschen Veranstalter auch hin.

In der Branche ist von „Boomjahren“ die Rede. 2009 hat der Reisekonzern TUI sein erstes Schiff allein für den deutschen Markt vom Stapel gelassen, im Mai 2011 folgt das zweite. Konkurrent AIDA Cruises will die Flotte gleich mit zwei neuen Schiffen ergänzen. Die Expansion wird von entsprechenden Werbemaßnahmen begleitet. Und manchmal auch von Kamerateams, die zum Teil kostenlos mitfahren dürfen und nachher in ihren Berichten jegliche Objektivität über Bord werfen.


Screenshots: NDR, RTL, ZDF, RTL 2

Als TUI im vergangenen Jahr „Mein Schiff“ taufte, war der NDR live dabei. „Spiegel TV Extra“ durfte die anschließende „Kreuzfahrt ins Glück“ mitmachen und lobte die Bordbehandlung vom „Wellness-Spezialisten“ („Von 8 bis 21 Uhr können sich die Passagiere im Spa-Bereich verwöhnen lassen“). „30 Minuten Deutschland“ auf RTL widmete eine Ausgabe dem Thema „Fußball-Traumschiff: Mit dem Luxusliner zur WM“ und lieferte gleich Buchungstipps dazu (pdf). Das ZDF reiste mit der AIDA-Konkurrenz die Strecke „Hamburg – New York“ und zeigte „Menschen, die es wagen, ihre Träume zu leben“ (Video). Kürzlich berichtete „Wiso“ über die Ausbildung, die Lehrlinge auf der AIDA genießen, und die „Vielseitigkeit der technischen Herausforderungen“ (Video der Sendung). N24 zeigte in der „Operation Kreuzfahrtschiff“ den Bau eines neuen Dampfers. RTL spielte vor drei Wochen den RTL-2-„Kreuzfahrtkönig“ schon mal in „Mitten im Leben“ durch. Ausgerechnet der ZDF-„Landarzt“ wurde im Juni für Dreharbeiten zur See auf „Mein Schiff“ geschickt (pdf-Pressemitteilung). Letztes Jahr war dort schon Horst Lichter für „Die Küchenschlacht“ zu Gast. Der seefahrtkompetente BR drehte fürs Erste die 20-teilge Dokusoap „Verrückt nach Meer“, die seitdem fast täglich in den Dritten wiederholt wird (mit Episodennamen wie „Tierisch was los auf Teneriffa“, „Frühlingsträume auf Madeira“ und „Canaria á la Carte“). Mit „Die Kreuzfahrt“ legte der NDR eine eigene Reihe nach. Ende vergangenen Jahres drehte die ARD „Um Himmels Willen“ auf der MSC Fantasia. Nur die vom HR beauftragten Dreharbeiten zur Show „Das Hochzeitsschiff“, in der Paare um ihre Hochzeitsreise spielen sollen, mussten im Frühjahr wegen der Aschewolke verschoben werden. Die Bewerbungsfrist für den nächsten Versuch ist gerade abgelaufen.

Die Veranstalter von Safarireisen und Arktisexpeditionen müssen grün sein vor Neid. In jedem Fall steht die Fülle der Sendungen, die sich mit dem Thema beschäftigen, in keinem Verhältnis zu dessen tatsächlicher Bedeutung. Aber die Bilder sind halt so schön.

„Wenn die Sender auf uns zukommen, um Reportagen zu drehen, sagen wir natürlich nicht nein“, erklärt Friederike Grönemeyer, Sprecherin von TUI Cruises. Hansjörg Kunze, Sprecher von AIDA Cruises, sagt: „Wir können uns nicht über einen Mangel an Aufmerksamkeit beschweren.“ Regelmäßig bieten die Unternehmen Themen für Berichte an. Die meisten Anfragen kommen aber von den Journalisten selbst. „Es ist ja niemand verpflichtet, ausschließlich positiv zu berichten“, sagt Kunze. „Aber natürlich wächst auch bei Journalisten der Enthusiasmus, wenn ein nagelneues Schiff ablegt. Da ist schon überwiegend große Begeisterung für die Seefahrerromantik zu spüren.“

Beim NDR müssen die Berichterstatter – wie bei den „Cruise Days“ – dafür noch nicht mal an Bord sein. NDR-Fernseh-Chefredakteur Andreas Cichowicz sagt: „Wir sind uns des Problems bewusst. Auf der einen Seite geht es um maritime Wirtschaft, die für den NDR besonders interessant ist. Mir ist aber auch klar, dass da werbliche Effekte entstehen.“ Deshalb seien Regeln festgelegt worden, um solche Effekte möglichst gering zu halten oder ganz zu vermeiden: „Ob berichtet wird, liegt letztlich auch daran, ob sich die Veranstalter auf unsere Bedingungen einlassen“, sagt Cichowicz. (Mehr dazu im vollständigen Interview.)

Es ist ja auch nicht so, dass der NDR die Konsequenzen der Kreuzfahrtindustrie vollständig ausblenden würde. Umweltschützer kommen mit kritischen Kommentaren in Nachrichtensendungen sehr wohl zu Wort. In den großen Reportagen fehlen die heiklen Themen oft aber ganz. Dass viele Schiffe nicht unter deutscher, sondern unter „billiger Flagge“ fahren, wäre dabei durchaus spannend zu betrachten. Dieter Benze von Verdi, der sich mit den Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen beschäftigt, sagt:

„Da findet kein deutsches Arbeitsrecht Anwendung. Es gibt sehr oft befristete Verträge, der Urlaub wird während der Fahrzeit abgegolten, nach sieben Monaten ist alles vorbei – und wer dann krank wird, hat Pech. Natürlich wird versucht, auf Personalseite die Kosten zu drücken. Viele Passagiere können das gar nicht bewerten.“

Die meisten sehen nur die Sonnenuntergänge auf See oder die tollen Schiffe bei den „Events“, wie Cichowicz die Marketingveranstaltungen der Großunternehmen nennt: „Schiffstaufen ziehen zehntausende Leute an – das sind Events, bei denen auch der NDR gefordert ist“ (siehe auch NDR-Sendungen zu AIDA & Co.). Nach der Taufe der „Mein Schiff“ gab es im vergangenen Jahr Ärger, weil das TUI-Logo in der NDR-Übertragung im Bild zu sehen war. Cichowicz erklärt, es sei zuvor mit dem Veranstalter „vertraglich vereinbart“ gewesen, dass das nicht der Fall sein werde. Da TUI sich nicht daran gehalten habe, sei vom NDR entscheiden worden, „die Zusammenarbeit erst einmal ruhen [zu] lassen“.

Dabei sind klar erkennbare Logos gar nicht das größte Problem der Kreuzfahrtberichterstattung. Viel auffälliger ist, wenn Journalisten in Reportagen oder während Live-Übertragungen plötzlich zu Fans werden und in Schwärmereien verfallen anstatt wenigstens neutral zu berichten. Eine besonders drastische Variante dieses Jubeljournalismus lief im Mai ebenfalls im NDR: In „Vom Dock aufs Meer“ begleitete NDR-Redakteur Peter Kellner das neue Schiff AIDA blu aus der Werft auf seine erste Testfahrt.


Screenshot: NDR

Im AIDA-Blog lobte der Kapitän des Schiffs nachher ausführlich die „enge Zusammenarbeit mit den Kollegen“ vom Fernsehen:

„Das NDR Filmteam scheute weder Schnee noch eisige Temperaturen, um die faszinierenden Bilder von AIDA blu einzufangen, die die schöne Reportage ausmachen. (…) Uns haben die Aufnahmen des NDR gut gefallen (…).“

Kein Wunder: Kellners Film sieht aus wie eine vom Veranstalter in Auftrag gegebene Werbeproduktion, die vor Positiveindrücken fast platzt (vollständiges Video bei ndr.de ansehen). Über das Schiff mit seinem „sympathischen Markenzeichen“ wusste Kellner zu berichten, dass „in anspruchsvollen Programmen“ dort „gut ausgebildete Unterhaltungskünstler“ auftreten. Wenn es im Schiffsinnern mal rumpelt, „ist in den Passagierkammern wenig zu spüren“. Und in den „Spezialrestaurants“ mit ihrem „gewünscht minimalistischen Design“ werden ausschließlich „marktfrische Zutaten“ verarbeitet, „edles Gemüse“, „fast nur Hausgemachtes“, „alles frisch“, „viel frisches Obst“, einfach eine „kulinarische Vielfalt, die dekorativ präsentiert wird“. Gegen einen „angemessenen Aufpreis“ lässt es sich in einer „Gourmet-Oase“ speisen. Es gibt dort eine „gastronomische Vielfalt, die fast alle Geschmackswünsche erfüllt“. Auf der Shoppingmeile warten „verführerische Angebote“ (an Seetagen sogar 20 Prozent günstiger). In der schiffseigenen Brauerei wird „natürlich nach deutschem Reinheitsgebot“ gebraut, „vorzüglich“ schmeckt es.

Können Sie noch?

Die Sicherheitsmaßnahmen sind so streng, dass man sich „im Ernstfall [darauf] verlassen kann“. „Zahlreiche Trainings- und Sportmöglichkeiten“ sind selbstverständlich, die „Wellness-Oase“, das „Aqua-Freiluft-Paradies“ – ach, es lässt sich gar nicht alles aufzählen bei diesem „Clubschiff, das Lust macht auf Reisen und Sehnsüchte weckt“. Manche Formulierungen Kellners stammen direkt von der AIDA-Website. Und einmal sagt der Off-Sprecher ganz direkt: „Gut beraten ist, wer vor Reisebeginn eine Zusatzversicherung abschließt: Dann ist man bei Doktor Bettina Bauer auf der sicheren Seite.“ Die Zusatzversicherung ist Teil des AIDA-„Komfortschutz-Pakets“.

„Unsere Philosophie ist: alles kann, nichts muss“, verrät der Schiffsmanager dem NDR-Journalisten im Interview. Und dann ist da noch der Kapitän, der als „Papst der Besatzung“ bezeichnet wird und sagt: „Ich bin ein Kapitän zum Anfassen.“ Ja, genau: der Kapitän, der in seinem Blogeintrag die Zusammenarbeit mit dem NDR lobt.

Kritische Anmerkungen spart sich Kellner ganz: Die Bedenken von Umweltschützern, die den Ausbau der Ems kritisieren, über die die Schiffe von der Werft aufs Wasser gebracht werden, wischt er schon am Anfang beiseite. Die Werft unterstütze ja „umfangreiche Renaturierungsmaßnahmen“. Für die Crew, die hauptsächlich auf den Philippinen rekrutiert wurde, sei die Arbeitskleidung „kostenlos“, es gebe „ein relativ gutes Einkommen“ – im Vergleich zum Heimatland.

Darauf angesprochen, wie dieses Wirtschaftsförderungsfernsehen zu den strengen Richtlinien im NDR passt, erklärt Chefredakteur Cichowicz, für die Reportage nicht zuständig zu sein, da diese auf einem Sendeplatz lief, der von den Landesfunkhäusern des Senders bespielt wird. Zuständig ist Marlies Fertmann, Fernsehchefin des Landesfunkhauses Niedersachsen. Die Frage, wie eine solche Reportage im Sender durchgelassen werden kann, möchte sie lieber nicht direkt beantworten und verweist darauf, dass man sich auf dem Sendeplatz am Freitagabend, zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr, „nicht mit harten Dokumentationen beschäftigt“: „Die dort platzierten Filme zeigen norddeutsche und maritime Themen, Menschen und Landschaften.“

Produktionshilfe seitens AIDA Cruises habe es bei den Dreharbeiten keine gegeben. Die Reise für das sechsköpfige Filmteam habe der NDR komplett bezahlt. Wie schön: Beim Norddeutschen Rundfunk werden Werbefilmchen für die Touristikunternehmen also mit Gebühren bezahlt und niemand stört sich daran. Eines sagt Fertmann dann aber doch ganz direkt:

„Eine Inszenierung von Marken oder Logos hat es in dieser Reportage nicht gegeben.“

Und so sieht das dann aus, wenn beim NDR auf Marken-Inszenierungen verzichtet wird:


Screenshots: NDR

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