Thomas Gottschalk findet, die werberelevante Zielgruppe gehört abgeschafft. Das findet er wahrscheinlich schon länger, seit vergangener Woche aber auch im Auftrag seines Zweitarbeitgebers Tele 5. Der dpa erklärte der Moderator, für ihn sei nur die Gesamtzahl der Zuschauer ausschlaggebend, nicht irgendeine „Zielgruppe“:
„Es kann nicht sein, dass ‚Wetten, dass…?‘ mit knapp zehn Millionen auf dem zweiten Platz landet, während der Kollege Bohlen mit knapp sieben Millionen Spitzenreiter ist – nur weil bei ihm mehr Halbwüchsige vor der Kiste saßen.“
Im Interview, das Gottschalk DWDL.de gab und indem er fast dasselbe sagt wie bei dpa, formuliert er es etwas emotionaler:
„Ich werde nie mein Publikum in ein ‚werberelevantes‘ und in ein überflüssiges aufteilen. Dass dies von anderen getan wird, macht mich wütend und es ärgert mich, wenn in den entsprechenden Charts ‚Deutschland sucht den Superstar‘ vor ‚Wetten, dass..?‘ rangiert, obwohl ich 3 Millionen Zuschauer mehr habe. Weiter hinten folgt dann meistens relativ verschämt unter dem Stichwort ‚Gesamtpublikum‘ die gültige Abrechnung.“
Die „gültige Abrechnung“ ist für Gottschalk also die, in der keine Altersunterschiede gemacht werden. Das Problem ist nur: Auch im Gesamtpublikum sind Sendungen wie „Das Supertalent“ und „DSDS“ nicht mehr weit von „Wetten dass..?“ entfernt. (Am Samstag betrug die Differenz noch 2,31 Mio.) Deshalb hat Gottschalk die „Würde des öffentlich-rechtlichen Fernsehens“ erfunden. So hat’s Michael Seewald für die F.A.Z. bei der Pressekonferenz zur „Wetten dass..?“-Sendung in München erfahren:
„Inzwischen sage er [Gottschalk] sich, ‚lieber sieben Millionen Aufrechte als vierzehn oder fünfzehn Millionen Millionen von damals‘. (…) Heute – mit jemandem wie Dieter Bohlen bei RTL – gebe es am Samstagabend im Fernsehen weniger einer Konkurrenz der Moderatoren oder Systeme, sondern eher der sozialen Milieus.“
Zusammengefasst bedeutet das: Gottschalk ärgert sich über eine (vom Privatfernsehen) erfundene Maßeinheit, erfindet aber selbst eine (fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen), um seine Zuschauerzahlen zu rechtfertigen und sein Zuschauer in ein relevantes und ein überflüssiges Publikum aufzuteilen?
Irgendwas stimmt nicht mit Thomas Gottschalk. Hat ihn sein 60. Geburtstag in diesem Jahr nervös gemacht? Der Mann ist unbestritten ein toller Entertainer: Er hat ein feines Gespür für Angemessenheit, kommt mit dem Bauern vom Lande genauso gut klar wie mit dem Star aus Hollywood und besitzt immer noch eine Spontaneität, mit der sonst wenige im deutschen Fernsehen mithalten können. Große Reflektionen zum Zustand des Fernsehens oder – noch schlimmer: des Landes, erwartet niemand von ihm. Sobald er anfängt von früher zu erzählen, wird es peinlich. Und doch kann er nicht darauf verzichten.
In seiner neuen Tele-5-Sonntagskolumne stellte Gottschalk gestern Abend den Facebook-Film „The Social Network“ vor, der diese Woche in die Kinos kommt, sagte, dass es in seiner Jugend noch Helden wie Spiderman gegeben habe, die heute von Helden wie Mark Zuckerberg abegelöst seien (was wirklich kompletter Unfug ist) und erzählte eine Anekdote, wie er mit Facebook (oder wie Gottschalk sagt: „das Facebook“) in Berührung kam, nämlich als sein Sohn versäumte, die Privacy-Einstellungen seines Accounts so einzustellen, dass die „Bild“-Zeitung nicht darauf zugreifen kann, um dort das Ultraschallfoto dessen ungeborenen Kindes zu sehen und eine Geschichte draus zu machen.
Manchmal wirkt Deutschlands größter Entertainer wie ein Mann, der im Dampfmaschinenzeitalter groß geworden ist und mit großem Staunen aus der Zeitmaschine steigt.
In der konzeptfreien Tele-5-Kolumne erklärte Gottschalk am Sonntagabend außerdem, welchen Wetteinsatz bei „Wetten dass..?“ er sich bisher nicht einzulösen getraut hatte:
„Stefan Raab hat mich mal genötigt, vom Zehner zu springen. Da hab ich ehrlich gesagt Schiss. Das hab ich bisher vermieden. Aber kann ja gut sein, dass ich in meiner allerletzten Sendung sage: Jetzt ist eh wurscht, ich verabschiede mich. Und dann guckt ganz Deutschland: Taucht er noch mal auf oder taucht er nicht mehr auf? Aber bis dahin ist noch ein bisschen Zeit.“
Dass Gottschalk am Abend zuvor in „Wetten dass..?“ vom Sprungturm ins Schwimmbecken des Münchner Olympiageländes gesprungen ist, hat da natürlich nicht mehr so ganz gepasst: Die Tele-5-Kolumne ist eine Woche zuvor aufgezeichnet worden, und dass sie zum Zeitpunkt der Ausstrahlung bereits veraltet war, scheint beim Sender, wo Mitarbeiter ja sonst nur auf Knöpfchen drücken, um die Wiederholungen aus dem Archiv abzufahren, niemanden gestört zu haben. Und dass Gottschalk sich mit seinem Sprung vom Fernsehen verabschieden wollte, ist natürlich Quatsch. Schließlich hat er sich nur vom 7,5-Meter-Brett hinabgestürzt.
Der Zehner kann ruhig noch ein paar Jahre warten. Wenn er bis dahin darauf verzichtet, uns die Welt erklären zu wollen.
Screenshot: Tele 5
er erklaert uns die Welt ja...
er erklaert uns die Welt ja nicht nur dass sein Anzug von anno dazumal unmoeglich aussah (blau-braun) und Frisuren hatten wir alle seinerzeit so aehnliche also um es mit englischem Humor zu erklaeren: Mr. Edwards Sie koennen das Ei aufschlagen
es ist angerichtet
Verstehe ich das richtig:...
Verstehe ich das richtig: Halbwüchsige sind beeinflussbarer und kaufen eher den Murks, den die Werbeindustrie den Zuschauern vor die Nase hält, als „reifere“ Bürger mittleren Alters (obwohl diese vermutlich über emhr Geld verfügen!) und werden daher beim Ranking höher gewichtet? Finde ich ja großartig! Aber wie messen diejenigen, die diese Zahlen veröffentlichen, das bloß auf die Nachkommastelle genau? Am Samstag betrug die Differenz zwischen beiden besprochenen Sendungen angeblich noch 2,31 Mio. Wirklich? Nicht 2,305 oder 2,32? In der Spitze? Im Schnitt? Werden die Werbepausen beim privaten Kanal herausgerechnet? Ich bin skeptisch.
Sie verlangen zu viel von ihm...
Sie verlangen zu viel von ihm (Gottschalk).
Das mit dem Ultraschallbild...
Das mit dem Ultraschallbild hat er schonmal irgendwann vor geraumer Zeit in seiner Kinokolumne erwähnt (falls es keine Wiederholung war – keine Ahnung, ich schaue das nicht gezielt, auch wenn ich Gottschalk am besten finde wenn er kolumnös frei von der Leber weg Zeugs plaudern kann). Scheint ihn wirklich zu nerven. Allerdings finde ich, dass er keineswegs unrecht hat, sowohl was den Werbegruppenunfug als auch die Socialnetworkisierung des Lebens angeht. Ich sehe daran nicht, dass er „die Welt“ nicht mehr verstünde, und er erklärt sie „uns“ natürlich deswegen, weil er gefragt wird. Warum denn auch nicht?
Aber so ganz unrecht hat...
Aber so ganz unrecht hat Gottschalk trotz aller Kritik nicht.
So richtig konnte ich nie nachvollziehen, warum die „werberelevante“ Zielgruppe bei 45 Jahren (oder 50) endet.
Zumal der zielgruppenrelevante Teil ja extrem willkürlich ist.
Meinetwegen können die Werbe- und Fernsehheinis aber ruhig weiter glauben, dass Menschen über 50 so gut wie scheintot sind. Sie sollten sich dann aber nicht beschweren, dass ihr Kram nicht gekauft wird.
thomas Gottschalk erklärt...
thomas Gottschalk erklärt hier, genau das was es zu erklären gibt Die öffentlich rechtlichen hat dert Marktanteil nicht zu interessieren, sondern wenn dann überhaupt die Einschaltquote, wenn überhaupt. – leider hat das leider auch dort bislang kaum jemand verstanden. Die ÖR haben halt die Gesamtbevölkerung zu bespielen und nicht nur die marektrelevante Zielgruppe – deshalb erhält sie z.B Gebühren.
Ja Pardel, das ist zwar etwas...
Ja Pardel, das ist zwar etwas frei ausgedrückt, aber im Grunde richtig.
Jüngere sind durch Werbung im Kaufverhalten eher zu beeinflussen. Das hängt teilweise auch mit Gewohnheiten zusammen. Wenn ich mein Leben lang eine Biermarke einkaufe, stelle ich meine Gewohnheiten mit 60 Jahren nicht mehr um, nur weil ich einen tollen Werbespot sehe.
Für die Quotenermittlung zeichnet sich in Deutschland die AGF Fernsehforschung verantwortlich. Bei weitergehendem ‚Interesse einfach mal in die gewünschte Suchmaschine eingeben. Das hier zu erklären, wäre zu viel Aufwand.
@pardel:
Naja, die Werte...
@pardel:
Naja, die Werte werden eben hoch gerechnet. Die GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) misst in Deutschland die Quoten anhand so genannter Quoten-Boxen.
Momentan steht in ca. 5.500 Haushalten eine solche Box, erfasst werden damit ca. 13.000 Bewohner. Die Werte, die aus diesen Boxen ausgelesen werden, werden im Anschluss zur Quote hochgerechnet, die sich immer auf den gesamten Teil der Fernsehzuschauer bezieht (ca. 73Mio.). Die Haushalte in denen eine solche Box steht, werden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt.
Jede einzelne Box repräsentiert als ca. 5615 Zuschauer (!).
Aus diesem Grund sind die Quoten höchst inakkurat, Menschen die keine GEZ zahlen fallen beispielsweise fast komplett aus diesen Statistiken raus. Das wären dann locker (vermutlich eher mehr) 50% aller Studenten.
Weitere Informationen dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Einschaltquote#Deutschland
Hans Weingartner hat dies auch in seinem Film „Free Rainer – Dein Fernseher lügt“ plakativ behandelt.
Die Grenzen der...
Die Grenzen der „werberelevanten Zielgruppe“ wurden willkürlich vom damals aufkommenden Privatfernsehen festgelegt. Man sah einfach nach, wo man vor den quotenstarken „alten“ Sendern lag und definierte diesen Bereich als den wichtigeren Teil. Wären RTL & Co damals der Liebling der Senioren gewesen, dann hätte man halt eine plausible Begründung gefunden, warum die „werberelevente Zielgruppe“ aus den über 50 -Jährigen besteht. Marketing ist alles.
https://de.wikipedia.org/wiki/Werberelevante_Zielgruppe#Kritik
@XSB:
Das ist so nicht...
@XSB:
Das ist so nicht richtig – die AGF bildet lediglich eine Arbeitsgemeinschaft rund um das Thema Quotenermittlung, diese wird aber nicht von der AGF durchgeführt.
Die AGF ist der Zusammenschluss aus den großen Fernsehanstalten und bestimmt praktisch wie die Quoten erhoben werden.
Die AFG bauftragt regelmäßig die GfK.