„Ich suche nach den Mördern“, sagt der Mann im rentnerbeigen Trenchcoat, „und ich kriege sie alle“. Nein, Bescheidenheit ist seine Sache wirklich nicht: Kommissar Kreutzer strotzt geradezu vor Selbstsicherheit, jeden seiner Fälle in exakt vier Stunden, 37 Minuten und 48 Sekunden zu lösen.
Es ist ein Mord passiert im Hotel. Kreuzter kommt, scannt die Situation, macht unzählige Handyfotos, redet geheimnisvollen Quatsch und spielt jedem einzelnen Verdächtigen im Verhör einen anderen Ermittler vor, um ihn entweder auf seine Seite zu ziehen oder zu verunsichern. (Anfang des Films online ansehen.)
Herbst als Kommissar Kreutzer mit Assistentin Belinda (Rosalie Thomass) / Foto: Pro Sieben
Es ist eine ziemlich anstrengende Rolle, die Christoph Maria Herbst da heute Abend auf Pro Sieben übernimmt. Anstrengender noch als die des liebenswerten Büroarschlochs Bernd Stromberg, weil dieser Kreutzer anders als Herbsts Paradeprotagonist aus der Versicherungsbranche so maßlos überzeichnet ist, dass man beim Zuschauen permanent das Gefühl hat, dass die Figur gleich kippt und dann nur noch nervt. Regisseur Richard Huber kriegt aber doch noch die Kurve, was auch an der tollen Idee liegt, einen ganz und gar altmodischen Krimi zu erzählen, der ohne Verfolgungsjagden und Schusswechsel auskommt.
„Der greise Atem von Miss Marple schwebt über allem – aber frisch, als hätte sie vorher ein Eukalyptusbonbon gelutscht“, sagt Herbst über „Kreutzer kommt“.
Der ganze Film spielt an ein und demselben Schauplatz. Verdächtig sind irgendwie alle. Nach und nach stellt sich heraus, wie die handelnden Personen mit dem Mordopfer verbunden waren. Und dass nach den vielen falsch gelegten Fährten die Auflösung am Schluss ein bisschen aus dem Nichts geholpert kommt, verzeiht man dem Film gerne. Weil es sowas im deutschen Fernsehen schon lange nicht mehr gegeben hat: einen Kammerspiel-Mord zum Mitraten!
Zur Vorstellung des Films im Berliner Kempinski-Hotel, das für die Dreharbeiten gekapert wurde, waren vor einigen Wochen Pro-Sieben-Sat.1-Fiction-Chef Christian Balz und Pro-Sieben-Geschäftsführer Thilo Proff angereist, auch um über die eigene Strategie zu reden. Balz sagte:
„Wenn man fürs Privatfernsehen Fiction macht, denkt man immer darüber nach, wie sich den Zuschauern signalisieren lässt: ‚Das kennt ihr, darauf könnt ihr euch einlassen!‘ Aber auch: ‚So habt ihr das noch nie gesehen!'“
Das Kalkül ist sozusagen, mit Bekanntem zu überraschen. Die Quadratur des Kreises. Thilo Proff erzählte, Pro Sieben habe leider „nicht die Mittel, einen Slot das ganze Jahr mit deutscher Fiction zu bespielen“, was auf Deutsch heißt: Es ist nicht genug Geld da, um das ganze Jahr zu einer verlässlichen Zeit eigenproduzierte Filme zu zeigen. Und genau das ist ziemlich schade.
(Auf maxdome.de wartet „Eva Blond“ darauf, noch einmal angesehen zu werden, der Auftakt ist erfreulicherweise kostenlos.)
Sechs Filme gab es bis die Reihe 2006 eingestellt wurde – und mit ihr ein Genre, das bei den öffentlich-rechtlichen Sendern eine Selbstverständlichkeit ist („Stubbe“, „Bella Block“, „Rosa Roth“), dem Privatfernsehen aber programmiertechnisch nicht in den Kram passt.
Pro Sieben muss man zugutehalten, dass der Sender im vergangenen Jahr schon einmal versuchte, Alexandra Neldel als Staatsanwältin Anna Winter weiterleben zu lassen, nachdem die düstere Serie „Unschuldig“ mit Winter als Hauptprotagonistin zuvor gefloppt war. (Was vermutlich auch daran lag, dass sie mitten im Sommer während der Fußball-EM ausgestrahlt wurde – besser kann man so ein Projekt kaum versenken; erste Folge ebenfalls kostenlos bei maxdome.de.) Aber auch die beiden neuen Anläufe in Spielfilmlänge wurden vom Publikum kaum wahrgenommen. Und genau darum geht es: die Wahrnehmung! Wie schön wäre es, wenn Pro Sieben seinen Helden mehr Zeit gäbe, sich ihrem Publikum vorzustellen. Und zwar nicht auf Sendeplätzen, die alle paar Wochen wieder vollständig umgekrempelt werden.
„Kreutzer kommt“ muss sich nun am Montagabend behaupten, wo sonst „Fringe“, „Human Target“ und „Supernatural“ laufen. Ob sich das Mystery-Publikum so einfach für eine Hercule-Poirot-Neuinterpretation begeistern lässt?
Liebes Pro Sieben: Mit euren Filmen macht ihr ja schon ganz viel richtig. Aber über die Programmierung und die Frequenz müssen wir uns ganz dringend mal unterhalten.
„Kreutzer kommt“ läuft am Montag um 20.15 Uhr. „Unschuldig“ ist auf DVD erhältlich.
Fotos: Pro Sieben