- Verzeih mir RTL
- Doctor’s Diary RTL
- Lieber Onkel Olli Sat.1
- Klugsch-Eisser & Co. BR
- Die Geissens RTL 2
Morgens, viertel vor zehn in Deutschland: Das Hallenbad ist frisch geputzt, Melanie sitzt nichtsahnend mit den Kollegen im Frühstücksraum zusammen – zack, da platzt die Tante von RTL rein und sagt: Mitkommen! Zwei Stunden später hat sich Melanies Vater bei ihr per mitgebrachter Videobotschaft dafür entschuldigt, dass er nach ihrer Geburt abgehauen ist und den Kontakt abgebrochen hat. Dabei stellt sich heraus, dass sie einen Halbbruder hat, den ihr der Vater verschwieg und der glücklicherweise ganz in der Nähe wohnt, weshalb er mittags mal vorbeikommt. Den Papa hat RTL auch hergeholt, aber Melanie reicht das erstmal für einen Tag: vom Fernsehen aus der Arbeit rausgeboxt zu werden; die Hoppla-Entschuldigung vom Vater; der neuer Bruder.
Richtig: RTL hat seine Heul-, Schluchz- und Tränen-Show „Verzeih mir“ neu aufgelegt (ganze Folge bei rtlnow.de). Und weil die ehemalige Moderatorin inzwischen für die Konkurrenz arbeitet, spielt „Vermisst“-Frau Julia Leischik die Ersatz-Ulla und fragt Menschen, die Freunde oder Verwandte um Verzeihung bitten wollen: „Würdest du sagen, du hast ein richtiges Schuldgefühl?“ Weil: Schuldgefühl muss schon sein. Schlechtes Gewissen reicht einfach nicht, um ins Fernsehen zu kommen.
In der Neuauflage gibt’s kein Studio und kein Publikum mehr, alles spielt sich direkt in den Wohnungen der Entschuldiger ab – weil das so authentisch ist. (Und billiger.) Dafür drückt RTL von Anfang an gleich richtig auf die Tube: Fliederfarben rankt sich der Sendungstitel durchs Bild, dazu läuft eine Take-That-Ballade, im Hintergrund singen One Republic feat. Timbaland „It’s too late to apologize“. Stimmt aber gar nicht.
Nun kann man sich darüber streiten, ob das wirklich der richtige Weg ist, sich mit seinen Liebsten zu versöhnen: indem RTL die Kamera draufhält und 4 Millionen Unbekannte zusehen. Aber, ach, wenn’s anders nicht geht. Leischik erledigt den Job hochprofessionell, fragt ganz vorsichtig Offensichtlichkeiten ab und bohrt unschuldig in alten Wunden, damit’s Tränen gibt. Wenn sich die Beteiligten am Ende in die Arme fallen, hält sie einen Sicherheitsabstand, um die Intimität der Situation nicht zu gefährden.
Gut, das Kamerateam, das den Versöhnten die ganze Zeit über die Schultern filmt, muss man sich natürlich wegdenken.
Abgesehen davon, dass RTL angesichts so viel positivem Feedback noch unter Schock stehen muss, wirkt „DD“ immer noch wie ein Fremdkörper im Programm, dessen Ironiedichte sonst deutlich geringer ist, ganz zu schweigen von der Seltenheit intelligent dahingefrotzelter Dialogduelle. So angemessen die Anerkennung dafür aber auch ist: In der dritten Neuauflage nervt das anstrengende Aneinanderrumgebaggere schon sehr. Es sind immerzu dieselben Szenen, die gleichen Missverständnisse, die bekannten Schwärmereien, die in unterschiedliche thematische Kulissen gestellt werden. „Ich achte schon drauf, dass man ‚Doctor’s Diary‘ auch als Mann gucken kann, ohne zu kotzen“, hat Serienautor Bora Dagtekin gerade der „taz“ gesagt. Aber wer nicht kotzt, pennt halt auch leichter ein.
Die Charaktere treten auf der Stelle, ganz anders übrigens als bei Dagtekins „Türkisch für Anfänger“, wo sich die heimliche Verknalltheit der beiden Hauptprotagonisten zwar durch alle Staffeln zog, die Figuren sich aber trotzdem ausprobieren, verändern und überraschen durften. Bei „Doctor’s Diary“ überrascht – trotz Ensembleerweiterung – gar nichts mehr. Und am Ende ist der Kitsch immer stärker als die Ironie.
Olli: „Du fragst dich sicher, warum muss ich in dem Hotel arbeiten. Ich sag’s dir: Wirtschaftskrise.“
Nele: „Irgendwann erwischt’s halt mal jeden.“
Das kann kein gutes Omen sein, wenn Achtjährige witziger sind als der hochbezahlte Mann vom Fernsehen.
Das Bayerische Fernsehen kann natürlich auch witzig sein. Sogar modern. Selbst wenn der Titel der neuen Bruno-Jonas-Sendung „Klugsch-Eisser & Co.“ zunächst einmal das Gegenteil befürchten lässt (Video in der schlimmen BR-Mediathek bitte selbst suchen). Gemeinsam mit den Komikkollegen Monika Gruber und Rick Kavanian hatte der „Scheibenwischer“-Ex diese Woche Premiere mit seiner neuen Politkabarettreihe. Gut, die Rahmenhandlung wirkt ein bisschen bemüht: Jonas betreibt eine Agentur, die zufälligerweise immer jene Politiker berät, die in der Vorwoche Schlagzeilen gemacht haben, und hängt deshalb permanent mit ihnen am Telefon.
Da kann man auch mal drüber hinwegsehen, dass 10 Wikileaks-Gags pro Minute ein paar zu viel sind und Witze über die CSU momentan relativ günstig zu kriegen.
Alternativ gibt’s noch „Die Geissens“, das Dokusoap-Porträt einer „schrecklich glamourösen Familie“, das RTL 2 seit dieser Woche zeigt. Oder besser: das jetzt auch RTL 2 zeigt, schließlich turnt der angeblich „millionenschwere Jetsetter“ mit seiner Sippschaft schon eine ganze Weile durch durchs deutsche TV-Programm (ganze Folge bei rtl2.de sehen).
Die Eigenleistung von RTL 2 besteht vermutlich darin, den eher nicht so spannenden Alltag der Familie um Ex-Sportbekleidungsunternehmensgründer Robert und seine 1982 zur „Miss Fitness“ gewählte Carmen durch gezielte Provokation spannungsträchtiger Ereignisse auf dokusoaptaugliche 60 Minuten (minus eine Werbepause) zu bringen. Programmpunkt 1: Die Geissens suchen eine Nanny für ihre Töchter. Kann ja keiner ahnen, dass die Agentur bloß ein paar junge Dinger mit tief ausgeschnittenem Dekolleté schickt, die lieber den Hausherrn anbaggern.
Zum Schluss haben sich die beiden für die hässliche Nanny aus der Slowakei entschieden, weil die wahrscheinlich nicht mit Robert ins Bett will, und deren Hässlichkeit einzig und allein im Nichttragen von Miniröcken begründet ist. Wieder ein Tag glücklich zu Ende gegangen im RTL-2-Land.
Soviel für diese Woche.
Screenshots: RTL, Sat.1, BR, RTL 2