Bei „Deutschland sucht den Superstar“ gibt es drei Gruppen von Menschen, deren Verhalten ich nicht verstehe.
Die erste sind die Leute, die das gucken. Siebeneinhalb Millionen haben die erste Folge der neuen Staffel gesehen – obwohl die Sendung so berechenbar, formelhaft und ausgewalzt ist wie kaum eine andere.
Das zweite sind die Leute, die da hingehen. Zigtausend Kandidaten hatten sich wieder beworben – obwohl sie wissen könnten, dass sie nur Rohmaterial für eine Maschinerie sind, die bestenfalls verspricht, nach einem absurden Aufwand und vielen Demütigungen, eine einzige erfolgreiche Single zu produzieren.
Das dritte sind die Leute, die das produzieren.
Über die ersten beiden Gruppen ist ausdauernd diskutiert worden. Über die Anziehungskraft der Show auf das Publikum und noch viel mehr über die Frage, ob man die Menschen, die dort mitmachen, vor sich selbst schützen müsste. Einige der Kandidaten, über die sich RTL ausführlich lustig macht, wirken geistig behindert. Aber erstens ist das kein klares Kriterium und zweitens keine Antwort auf die Frage, wie man mit ihnen umgehen müsste. Diese Leute dürfen, mutmaßlich, wählen, Geld ausgeben, heiraten, ihr Leben selbst bestimmen. Womöglich haben sie auch das Recht, sich vor der Nation zu Deppen zu machen.
Es ist wie beim alten Dilemma vom Zwergenweitwurf: Verstößt eine solche Veranstaltung gegen die Menschenwürde oder gehört zu dieser Menschenwürde, im Gegenteil, auch das Recht eines Zwergen, sich aus freien Stücken zum Objekt eines solchen Spektakels zu machen?
Mindestens so interessant finde ich aber eine andere Frage: Was sind das für Menschen, die mit Zwergen werfen wollen?
Auf „Deutschland sucht den Superstar“ bezogen, ist das natürlich diejenige der eingangs genannten Gruppen, deren Verhalten oberflächlich am einfachsten zu erklären ist: Leute arbeiten für „Deutschland sucht den Superstar“, weil sie damit Geld verdienen. Sie tun nur ihren Job.
Und doch verstehe ich diese Gruppe am wenigsten. Ich kann die Schadenfreude beim Gucken nachvollziehen, ich kann die Selbsttäuschung der Kandidaten erahnen, aber ich weiß nicht, wie verkommen man sein muss, um die Liebe einer todkranken Frau zu ihrem Sohn, der sie rund um die Uhr pflegt, als Mittel zu benutzen, um seine öffentliche Demütigung zu maximieren.
Der dreißigjährige Stefan hat nichts von einem Superstar, er hat nicht einmal etwas von einem RTL-„Superstar“. Er kann nicht singen; er ist, wenn er es vor der Jury versucht, eine lächerliche Figur. Andererseits bringt er eine ungewöhnlich tragische Lebensgeschichte mit sich.
Das ist eine ungewöhnliche Kombination von zwei Eigenschaften, die RTL für seine Show braucht, sonst aber streng trennt: Eigentlich sind es die Gewinner, die die persönlichen Schicksale mitbringen und dadurch noch bewundernswerter wirken.
Stefan erzählt Dieter Bohlen und den zwei Jurystatisten von seiner Liebe zur Musik und von seinem harten Leben. Nachdem er gesungen hat, bemühen sich die drei, ihm ungewöhnlich schonend beizubringen, dass er nicht in die nächste Runde kommt. Jedem Zuschauer ist klar, dass das milde Urteil nicht die wahre Leistung widerspiegelt, sonden rausschließlich Zeichen des Respekts ist vor dem persönlichen Schicksal des Kandidaten. Selbst Dieter Bohlen schafft es, eine menschliche Seite von sich zu zeigen.
Kurz.
Dann ist der Kandidat gegangen und Bohlen sagt zu der Frau neben sich: „Hätte er die kranke Mutter nicht, hätte ich ihn fertig gemacht.“
Das war den Zuschauern schon klar. Aber dass Bohlen es ausspricht und dass RTL es ausstrahlt, gibt dem ganzen eine andere Dimension. Bohlen schafft es, gleichzeitig zu betonen, dass er zu Mitleid fähig ist, und seine Mitleidslosigkeit zu demonstrieren, indem er dem Kandidaten und der Welt auf diesem Weg trotzdem noch mitteilt, dass er richtig scheiße war – nur damit da keine Missverständnisse bleiben.
Während des Auftrittes des Kandidaten hatte die Produktion ihre eigene Skrupellosigkeit bewiesen. Während er die letzten Zweifel, ob er wirklich so schlecht ist, wegsang, schnitt sie noch einmal die Aussagen seiner Mutter dazwischen, die sich wünschte, dass DSDS für ihn ein „Sprungbrett“ sein könnte, „weg von seiner kranken Mutter“. Mit billigstem Geigenkitsch und verdunkelten Zeitlupenaufnahmen hatten RTL und die Produktionsfirma Grundy die Geschichte der todkranken Frau, die im Rollstuhl sitzt und einen Sauerstoffschlauch trägt, vorher in Szene gesetzt – reiner Zynismus, wie sich herausstellte.
Während Stefan seine Talentlosigkeit zeigte, zeigte RTL noch einmal, wie seine Mutter schwärmte: „Stefan ist der neue Superstar. Und er hat das Talent.“
Diese Diskrepanz zwischen der Liebe und Hoffnung einer Mutter und der Realität wäre dem Zuschauer auch so schmerzhaft bewusst geworden, aber die Produzenten von „Deutschland sucht den Superstar“ gingen auf Nummer sicher und schnitten das direkt ineinander. Sie benutzten Stefan und seinen missratenen Auftritt, um seine kranke Mutter zu verhöhnen. Und sie nutzten die kranke Mutter und ihren verklärten Blick auf ihren Sohn, um Stefan zu verhöhnen.
Ganz unabhängig davon, wie der Kandidat das fand, der anscheinend dankbar war, dass er überhaupt teilnehmen durfte: Das muss man erst einmal tun wollen.
Das ist die Frage, die ich mehr als jede andere stelle, wenn ich „Deutschland sucht den Superstar“ gucke: Was sind das für Menschen, die an einer solch verkommenen Inszenierung mitwirken? Tom Sänger, der Unterhaltungschef von RTL, hat einmal gesagt: „Wir sind sehr darauf bedacht, die Akteure nicht zu beschädigen.“ Ich weiß nicht, ob das Zynismus ist. Oder ob man, wenn man lange genug in diesem Umfeld gearbeitet hat, abstumpft. Oder ob es doch einfach schlechte Menschen sind, die dort arbeiten.
(Den Auftritt kann man sich bei Clipfish ansehen.)
"...obwohl die Sendung so...
„…obwohl die Sendung so berechenbar, formelhaft und ausgewalzt ist wie kaum eine andere.“
Oho. Eine mutige Aussage (oder doch nur so dahergeredet?), falls es eine negative Wertung sein sollte. Sollte sie wohl.
Es gibt doch massenhaft (!) Sendungen, die berechenbar, formelhaft und ausgewalzt sind, sogar vom (noch) geliebten „Dr. House“ kann man das sagen. Deshalb IST sowas doch so beliebt bei vielen: immer das gleiche, bekannte.
Dem Autor dieses Artikels kann...
Dem Autor dieses Artikels kann man in der Tat nur beipflichten. An Geschmacklosigkeit ist ein solches Programm wohl kaum mehr zu überbieten.
Zur Gruppe der Produzenten eines solchen Formats ist hinzuzufügen, dass sie zwar durch und durch korrumpiert sind, ihren Job allerdings vor ihren gegebenen Zielen sehr gut machen. Schließlich geht es in der TV- und Radiolandschaft in Deutschland darum Marktanteile zu sichern. RTL verkauft Werbung. Und die verkauft sich besser, je mehr Menschen sie sehen. RTL muss also Aufmerksamkeit bündeln, im Gespräch sein und bleiben. Bekanntlich sind „Bad news“ ja „Good news“ und somit ist nahezu jedes Mittel recht, wenn nur über den eigenen Sender gesprochen wird und nicht über den Mitbewerber.
Man stelle sich einmal vor, Bohlen hätte NICHT diesen Nachsatz gesagt. Dann gäbe es diese Diskussion hier nicht !
Dieser Thread hier ist also genau das was die Macher der Sendung beabsichtigten: Es wird darüber gesprochen.
"Vielen Dank, dass Sie uns...
„Vielen Dank, dass Sie uns Ihre Meinung mitteilen! Bitte haben Sie etwas Geduld, falls Ihr Feedback nicht sofort erscheint: Alle Kommentare werden vor Freigabe gegengelesen.“
Zensur bei der FAZ ???
Wenn ich das so lese ist das...
Wenn ich das so lese ist das quasi die Bankrotterklärung von Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz.
Wobei ich mich generell frage wo diese Zahl von knapp 8 Millionen Zuschauern her kommt. Im Prinzip müsste jeder Zehnte das Format sehen. Aber ehrlich gesagt kenne ich niemanden der sich dies freiwillig antut.
Ich kenne Leute die sowas...
Ich kenne Leute die sowas regelmäßig schauen. Ihr Argument ist „läuft ja sonst nichts anderes“ oder „ich möchte nur entspannen nach der Arbeit“. Wenn man ihnen dann beim Fernsehschauen zuschaut sieht man sehr schön, wie sie sehr schnell nach Einschalten des Programms in diese „traumatische Fernseh-Starre mit Hirnabschaltung“ (Kalkofe) fallen. Danach können sie sich entweder nicht mehr an das Gesehene erinnern oder sie rechtfertigen sich damit, daß sie das „eh nicht ernst“ nehmen. Aber anschauen tun sie es trotzdem.
Was ist die Wirkung von solchen Szenen? Die Schamgrenzen werden verschoben und die Emphatiefähigkeit verringert. Ganz langsam aber stetig seit Jahren.
Ist denn mal jemand auf die...
Ist denn mal jemand auf die Idee gekommen, dass die ganzen „schlechten“ Kandidaten in Wirklichkeit nur Laienschauspieler sind, die schlicht für ihren Auftritt bezahlt werden, wie in so ziemlich jeder anderen RTL-Serie auch? Meine Freundin hat beim Schauen dieser Szene sofort gesagt, das Sauerstoffgerät ist nicht echt und völlig sinnlos. Schon bei dem Lacher-Kandidaten davor, der angeblich zufällig auf der Straße eine Frau kennen gelernt hat, die dann mit zu DSDS gekommen ist und spontan während des Auftritts hinzu gekommen ist um die zweite Stimme (schief) zu singen, hat sich mir der Verdacht aufgedrängt, dass das doch bloß Schauspieler sein können. Beim Supertalent sind ja die meisten Kandidaten auch gecastete Leute (mittlerweile aus der ganzen Welt). Das würde natürlich die Diskussion, die hier geführt wird zu einem Großteil obselet machen, da die Leute ja nicht nur wissen, was sie tun, sondern sich sogar bewusst verstellen.
Es gibt viele...
Es gibt viele Geschäftemacher, denen Moral und Anstand keinen Pfifferling wert sind. Zynismus und unmoralisches Verhalten gibt es überall. Im Fernsehen wird es nur schneller sichtbar. Da aber in weiten Kreisen unserer Gesellschaft Anstand, Moral und Ehre keinen Marktwert mehr haben, zählt das Geld allein. Ein anständiger Mensch dürfte Leute wie Frau Schäferkordt, Frau Kofler (ehemals zu Salm) und die übrige Mischpoke aus den Geschäftsführungen dieser Abzock- und Ver*rschungssender doch nicht zu seinen Freunden und Bekannten zählen wollen. Der Grundsatz „Sowas tut man nicht!“, der früher eine moralische Grenze weit vor den gesetzlichen Grenzen, etwa des Strafrechts, gesetzt hat, zählt kaum noch. Alles was heute nicht gesetzlich verboten ist, wird als erlaubt angesehen. Die Grauzonen uszunutzenwird als Cleverness verkauft. Faule Begründung: Wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer! Solange diese Art von skrupelloser Geldgier nicht mit sozialer Ächtung geahndet wird, werden wir wohl das Treiben dieser Typen weiter ertragen müssen. „Der Zuschauer“ würde auch öffentliche Hinrichtungen besuchen, auf den brauchen wir nicht zu hoffen. Das alles hat auch mit „Freiheit“ nichts zu tun. Denn Freiheit besteht auch darin, etwas nicht zu tun, obwohl man es könnte. Geht die Kultur der Freiheit des Unterlassens verloren, geht auch die Handlungsfreiheit über kurz oder lang zugrunde. Das Fernsehen ist auch in diesem Punkt nur der Spiegel unserer Gesellschaft.
"Bankrotterklärung von...
„Bankrotterklärung von Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz“
Ist es vielleicht möglich, die Sache NOCH etwas HÖHER zu hängen?
Da drängen sich Menschen verschiedenster Art vor die Kameras und legen – dieser Eindruck verstärkt sich immer mehr – gescriptete Auftritte hin.
Das Publikum amüsiert sich eine Weile darüber, gegebenenfalls werden die Laiendarsteller noch zweit- und drittverwertet.
Empörung darüber ist leicht, und sie ist sinnlos. Schon der hier „vorgeführte“ Kandidat sagt, dass er stolz sei, dabei gewesen zu sein, auch wenn er nachher bloßgestellt wird. Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen.
ookay, - nur: dass der...
ookay, – nur: dass der behinderte kandidat „richtig sch**** war“, das hat nicht D. Bohlen gesagt sondern Stefan Niggemeier schreibt es hier.
@Muriel: nein, eigentlich...
@Muriel: nein, eigentlich meinte ich direkt den Stefan und seine Frage im letzten Absatz: „Was sind das für Menschen, die an einer solch verkommenen Inszenierung mitwirken“
Wie ich oben bereits, vielleicht etwas ungelenk, formuliert habe, sind es eben Menschen wie du und ich. An sich normale Menschen, die angesichts der Tatsache, dass jemand anderes die Verantwortung für ihr Handeln übernimmt, gänzlich ihre Hemmungen fallen lassen können. Das machen sie dann aber auch mit Genuss.
Natürlich sind da auch Leute dabei, die das moralisch nicht ok finden, ihre moralischen Bedenken dann aber wiederum der Quote opfern.
In meinem beruflichen Umfeld in der Telekommunikationsbranche gibt’s auch oft Entscheidungen, bei denen ich weiß, dass es die betroffenen Kunden nicht freuen wird. Weigere ich mich deshalb, an der Umsetzung mitzuhelfen? Nein, natürlich nicht. Ich weise darauf hin und wenn’s demjenigen, der das verantwortet, egal ist, dann bin ich meiner Pflicht nachgekommen und sorge für eine Umsetzung in unserem Bereich.
Natürlich ist es eine andere Liga, jemand vor acht Millionen Zuschauern blosszustellen, oder seine besonderen Lebensumstände heranzuziehen.
Die Richtung ist allerdings die gleiche. Ich mache etwas, von dem ich weiß, dass dadurch nachher jemand einen wie auch immer gearteten Nachteil hat.