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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Schnellkurs für Architektur-Laien: Der SWR verspricht "Nie wieder keine Ahnung"

| 13 Lesermeinungen

Quasi nebenbei ist beim SWR die Geschichtsstunde zum Ausprobieren erfunden worden: In drei mal dreißig Minuten lässt sich Enie van de Meiklokjes ab heute von zwei Fachmännern die Geschichte der Architektur erklären. Und als Zuschauer ist man nachher tatsächlich ein bisschen schlauer – ganz ohne Umschaltpanik.

Der größte Feind des Individualtouristen ist bekanntermaßen: die Busreisegruppe. Zumindest ist es mit der andächtigen Stille, in der man historische Bauwerke auf sich wirken lassen mag, augenblicklich vorbei, sobald draußen der bunt beklebte Dreiachser hält. Weil es dann keine dreißig Sekunden dauert, bis sich die Pauschalurlauber in die Sehenswürdigkeit ergießen, um während des minutiös geplanten Besichtigungsaufenthalts ein vollständiges Abbild des Gebäudes zu fotografieren, und zwar im Kampf um die beste Position ohne Rücksicht auf menschliche Verluste.

Wie gut, dass es für alle, die diese Gefahr meiden wollen, ersatzweise das Fernsehen gibt.

Andächtige Stille ist dort zwar auch eher selten, und Reportagen, die sich Zeit nehmen, sind der Schreck jedes Programmplaners – aber wenigstens fehlen die Busreisegruppen.

Bild zu: Schnellkurs für Architektur-Laien: Der SWR verspricht "Nie wieder keine Ahnung"Zum Beispiel heute Abend im SWR: Da sitzt Moderatorin Enie van de Meiklokjes in einem ganz in weiß verkleideten Loft, um mit zwei Herren vom Fach – liebe studierte Architekten, bitte jetzt weghören! – innerhalb von knapp 29 Minuten „die ganze Architekturgeschichte in 10 Gebäuden“ zu erklären: die Konstruktion der Hagia Sophia in Istanbul, das Statikgeheimnis der Kathedrale von Chartres, die Mischung der Bauformen der Münchner Glypothek.

„Nie wieder keine Ahnung“ heißt die dreiteilige Reihe, die der SWR heute in seinem Dritten Programm in die Fortsetzung schickt. (Die erste Staffel widmete sich der Malerei.) Der Titel ist als Versprechen zu verstehen: Drei mal dreißig Minuten sind Zeit, um dem Architektur-Laien zu erklären, wo eigentlich der Unterschied zwischen Gotik und Romanik ist, was den Klassizismus ausmacht, warum sich die komplette Baugeschichte auf fünf Grundstoffe reduzieren lässt und wer in den vergangenen Jahrhunderten die prägendsten Gestalter waren.

Das Prinzip der Sendung beruht auf gnadenloser Reduktion: Jede Epoche, jede Technik und jedes Wirken eines bekannten Architekten wird auf die wichtigsten Fakten reduziert. Van de Meijklokjes stellt die Fragen (Wie hoch kann man bauen? Was ist ein Doppel-T-Träger? Woran erkennt man den Klassizismus?), und Professor Raimund Wünsche, Direktor der staatlichen Antikensammlung und der Glyptothek in München, sowie Architekt Andreas Hild beantworten sie. Mit großer Lust, dabei auch den ein oder anderen Spaß mitzumachen.

Bild zu: Schnellkurs für Architektur-Laien: Der SWR verspricht "Nie wieder keine Ahnung"Denn damit die Geschichtsstunde nicht in einer staubtrockenen Veranstaltung endet, klettern die Moderatorin und ihre Experten per Tricktechnik aufs Guggenheim-Museum, spazieren als Schwarzweiß-Figuren in den 1936 zerstörten Londoner Chrystal Palace, rütteln zur Demonstration der Baukonstruktion am Seagram-Building in New York und springen erst in eine Zeichnung der Säulenhalle im römischen Pantheon und dann ins antike Pompeji.

Zwischendurch ist auch ein bisschen Zeit zum gemeinsamen Diagucken und Popcornessen. Und einmal, in Versailles, verkörpert der Herr Professor vertretungsweise sogar den Sonnenkönig.

Bild zu: Schnellkurs für Architektur-Laien: Der SWR verspricht "Nie wieder keine Ahnung"Selbst wenn viele der Dialoge arg auswendig gelernt wirken (wahrscheinlich weil sie’s sind), kommt die Sendung sehr nah an das heran, wie öffentlich-rechtliches Fernsehen sein muss, um seine Zuschauer ein wenig schlauer zu machen und sie gleichzeitig zu unterhalten. Wann gelingt es sonst schon, über Ordnungsunterschiede griechischer Säulen, romanische Blendbögen und die Aufhängungstechnik moderner Wolkenkratzer zu reden, ohne dass auf der anderen Seite des Bildschirms hektisch die Suche nach der Fernbedienung losgeht?

Oder um’s noch etwas klarer zu formulieren: „Nie wieder keine Ahnung“ ist ein hervorragendes Vorbild für alle Programmverantwortlichen bei ARD und ZDF, die bisher nicht daran geglaubt haben, dass es einen Weg gibt, jüngeres Publikum für sich zu begeistern ohne sich dabei an der Machart der Privaten zu orientieren.

Das Problem ist nur: Daran muss sich der SWR künftig halt auch in Zukunft messen lassen.

„Nie wieder keine Ahnung“ zum Thema Architektur läuft ab heute donnerstags um 22.30 Uhr im SWR. Und sicher auch bald jetzt online in der Mediathek. Außerdem haben sich die Kollegen von jetzt.de mit Enie van de Meiklokjes über die Sendung unterhalten.

Screenshots: SWR

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13 Lesermeinungen

  1. Klaus sagt:

    Danke für den schönen Tipp....
    Danke für den schönen Tipp. Erfreulich.
    Nur leider habe ich inzwischen den Fernseher abgeschafft. Es gab zu viel Mist.

  2. perdita sagt:

    Peer, was ein Glück - vorhin...
    Peer, was ein Glück – vorhin noch deinen Tipp gelesen, um halb 11 SWR eingeschaltet und kann nur bestätigen: sehr empfehlenswert! Vor allem weiß ich jetzt mal, wieso Geldinstitute „Bank“ heißen ; )
    Sehr schöne Geschichte, liebevoll und abwechslungsreich gemacht – nur schade, dass „nie wieder keine Ahnung“ wie so viele gute Sendungen bei den öffentlich rechtlichen keinen früheren Sendeplatz abgekriegt hat… dennoch: lohnt sich!

  3. H.M.Voynich sagt:

    Leider behauptet auch diese...
    Leider behauptet auch diese Sendung, die Menschen hätten die Erde bis 1492 für eine Scheibe gehalten.
    Schade.

  4. Wolfgang sagt:

    @Klaus: Deshalb war der Peer...
    @Klaus: Deshalb war der Peer doch so vorsorglich und hat das mit der SWR-Mediathek erwähnt. Internet haben Sie ja offensichtlich.
    @Peer: Enie darf doch straflos Moderatorin genannt werden, oder? „Moderator Enie“ klingt etwas seltsam und wird ihr möglicherweise nicht in vollem Umfang gerecht. 😉

  5. Robert sagt:

    Enie ist übrigens eine Frau....
    Enie ist übrigens eine Frau.

  6. Oh mein ... sagt:

    @Klaus
    Toll!
    Jetzt schon der...

    @Klaus
    Toll!
    Jetzt schon der erste Kommentar, von einem der den Fernseher abgeschafft hat!
    Haben Sie auch Ihren Nordmende unfrei an die ARD zurückgesandt als dieses unterträgliche Farbfernsehen eingeführt wurde?
    Zum Artikel selber:
    Lob, hier? Ist ja seltsam.
    Scheint aber wirklich was Gutes zu sein, klingt ein bischen wie „Sendung mit der Maus“ für Erwachsene (das wäre mal wirklich was tolles).

  7. pschader sagt:

    @perdita: Ich find 22.30 Uhr...
    @perdita: Ich find 22.30 Uhr schon gar nicht so schlecht.
    @H.M.Voynich: Soweit ich mich erinnere, wird explizit gesagt, dass das vorher bekannt war und nur wieder „vergessen“ wurde. Weiß aber nicht mehr, ob’s in Folge 1 oder in den anderen beiden war.
    @Wolfgang/Robert: Natürlich. Einer meiner berühmten Flüchtigkeitsfehler. Korrigiert.

  8. Andi sagt:

    @Oh mein: Die "Sendung mit der...
    @Oh mein: Die „Sendung mit der Maus für Erwachsene“ gibt’s schon. Sie heißt „Sendung mit der Maus“.

  9. Matthias sagt:

    Ich habe es gesehen und war...
    Ich habe es gesehen und war enttäuscht.
    Es wirkte irgendwie halbfertig und historisch .. fragwürdig.
    Was gut war waren die Animationen und das In-Szene-setzen der Interviews.
    Aber inhaltlich hätte ich mehr erwartet.

  10. Oh mei ... sagt:

    @Andi,
    Da haben Sie Recht...

    @Andi,
    Da haben Sie Recht (Durchschnittsalter der Zuschauer liegt wohl bei 40+), aber diese Sendung hier (Nie wieder keine Ahnung) scheint eben nur eine Sachgeschichte zu sein, ohne die Kinderlieder (die sind das einzige was mich nervt).
    Vorallem der Verzicht auf die achso tollen Effekte finde ich bei der Maus prima, im Zweifel wird die Maschine/das Verfahren nachgebaut und so im Kleinen erklärt.

Kommentare sind deaktiviert.