Der größte Feind des Individualtouristen ist bekanntermaßen: die Busreisegruppe. Zumindest ist es mit der andächtigen Stille, in der man historische Bauwerke auf sich wirken lassen mag, augenblicklich vorbei, sobald draußen der bunt beklebte Dreiachser hält. Weil es dann keine dreißig Sekunden dauert, bis sich die Pauschalurlauber in die Sehenswürdigkeit ergießen, um während des minutiös geplanten Besichtigungsaufenthalts ein vollständiges Abbild des Gebäudes zu fotografieren, und zwar im Kampf um die beste Position ohne Rücksicht auf menschliche Verluste.
Wie gut, dass es für alle, die diese Gefahr meiden wollen, ersatzweise das Fernsehen gibt.
Andächtige Stille ist dort zwar auch eher selten, und Reportagen, die sich Zeit nehmen, sind der Schreck jedes Programmplaners – aber wenigstens fehlen die Busreisegruppen.
Zum Beispiel heute Abend im SWR: Da sitzt Moderatorin Enie van de Meiklokjes in einem ganz in weiß verkleideten Loft, um mit zwei Herren vom Fach – liebe studierte Architekten, bitte jetzt weghören! – innerhalb von knapp 29 Minuten „die ganze Architekturgeschichte in 10 Gebäuden“ zu erklären: die Konstruktion der Hagia Sophia in Istanbul, das Statikgeheimnis der Kathedrale von Chartres, die Mischung der Bauformen der Münchner Glypothek.
„Nie wieder keine Ahnung“ heißt die dreiteilige Reihe, die der SWR heute in seinem Dritten Programm in die Fortsetzung schickt. (Die erste Staffel widmete sich der Malerei.) Der Titel ist als Versprechen zu verstehen: Drei mal dreißig Minuten sind Zeit, um dem Architektur-Laien zu erklären, wo eigentlich der Unterschied zwischen Gotik und Romanik ist, was den Klassizismus ausmacht, warum sich die komplette Baugeschichte auf fünf Grundstoffe reduzieren lässt und wer in den vergangenen Jahrhunderten die prägendsten Gestalter waren.
Das Prinzip der Sendung beruht auf gnadenloser Reduktion: Jede Epoche, jede Technik und jedes Wirken eines bekannten Architekten wird auf die wichtigsten Fakten reduziert. Van de Meijklokjes stellt die Fragen (Wie hoch kann man bauen? Was ist ein Doppel-T-Träger? Woran erkennt man den Klassizismus?), und Professor Raimund Wünsche, Direktor der staatlichen Antikensammlung und der Glyptothek in München, sowie Architekt Andreas Hild beantworten sie. Mit großer Lust, dabei auch den ein oder anderen Spaß mitzumachen.
Denn damit die Geschichtsstunde nicht in einer staubtrockenen Veranstaltung endet, klettern die Moderatorin und ihre Experten per Tricktechnik aufs Guggenheim-Museum, spazieren als Schwarzweiß-Figuren in den 1936 zerstörten Londoner Chrystal Palace, rütteln zur Demonstration der Baukonstruktion am Seagram-Building in New York und springen erst in eine Zeichnung der Säulenhalle im römischen Pantheon und dann ins antike Pompeji.
Zwischendurch ist auch ein bisschen Zeit zum gemeinsamen Diagucken und Popcornessen. Und einmal, in Versailles, verkörpert der Herr Professor vertretungsweise sogar den Sonnenkönig.
Selbst wenn viele der Dialoge arg auswendig gelernt wirken (wahrscheinlich weil sie’s sind), kommt die Sendung sehr nah an das heran, wie öffentlich-rechtliches Fernsehen sein muss, um seine Zuschauer ein wenig schlauer zu machen und sie gleichzeitig zu unterhalten. Wann gelingt es sonst schon, über Ordnungsunterschiede griechischer Säulen, romanische Blendbögen und die Aufhängungstechnik moderner Wolkenkratzer zu reden, ohne dass auf der anderen Seite des Bildschirms hektisch die Suche nach der Fernbedienung losgeht?
Oder um’s noch etwas klarer zu formulieren: „Nie wieder keine Ahnung“ ist ein hervorragendes Vorbild für alle Programmverantwortlichen bei ARD und ZDF, die bisher nicht daran geglaubt haben, dass es einen Weg gibt, jüngeres Publikum für sich zu begeistern ohne sich dabei an der Machart der Privaten zu orientieren.
Das Problem ist nur: Daran muss sich der SWR künftig halt auch in Zukunft messen lassen.
„Nie wieder keine Ahnung“ zum Thema Architektur läuft ab heute donnerstags um 22.30 Uhr im SWR. Und sicher auch bald jetzt online in der Mediathek. Außerdem haben sich die Kollegen von jetzt.de mit Enie van de Meiklokjes über die Sendung unterhalten.
Screenshots: SWR
Das gefällt Ihnen? Das Fernsehblog gibt’s auch bei Facebook.
Die Effekte fand ich teils...
Die Effekte fand ich teils aufgesetzt: „Guck hier, wir sind modern, deswegen habe ich ein Foto in der Hand in dem sich was bewegt und über dem ich aus irgendwelchen Gründen auch eine Wischgeste machen muss. Und ein bunter Schimmer läuft auch noch drüber, damit es auch jeder merkt!“
Und leider komme ich mit der Piepsstimme der Moderatorin nicht klar, genauso wie mit dem ewigen angedeuteten Grinsen, wenn sie gerade mit spannenden Fakten befüttert wird. (Ok, ich schließe vermutlich von mir auf andere, aber wenn *ich* was lerne, dann ist das Arbeit und ich lächele bestenfalls wenn mir gerade ein Licht aufgeht…)
Auch die Kameraführung macht mich fertig. Dauernd zappelt die hin- und her, die Schärfe muss wohl in regelmäßigen Abständen neu eingestellt werden, damit es hip ist. Dazu so lustige Text-Bild-scheren wie: „meine beiden Experten…“ (Kamera zoomt weg und zeigt gerade noch am rechten Rand des Bildes einen einsamen einzelnen Experten…).
Oder die Szene in dem Crystal-Palace: „Oh guck mal, spektakulär, aber in dieser Richtung *zeig* ist es noch viel spektakulärer“ (und der Zuschauer hat keine Chance, dem Fingerzeig hinterherzugucken). Das wäre doch mal die Chance gewesen, das Gebäude als 3d-animierte Zeichnungs-Kamerafahrt zu zeigen, das haben sie ja zumindest laut dem Trailer an anderer Stelle auch hinbekommen (und das können sie offensichtlich auch deutlich stilvoller als diese Discovery-Channel-Style „Rotierende explodierende Plexiglas-Scheiben-Modelle“).
Nunja, ich bin offensichtlich schwer zufriedenzustellen und vielleicht schon ein bischen zu alt für die angestrebte Zielgruppe. Die Sendung war auch nicht wirklich schlecht, triggert aber definitiv ein paar meiner Fremdschäm-Sinne…
Viele Grüße,
Simon
@Peer:
Muß wohl in einer der...
@Peer:
Muß wohl in einer der anderen gewesen sein – bin gespannt, denn mit „vergessen“ wirds auch nicht richtiger (die Kugelgestalt der Erde war im Mittelalter Konsens, stand sie doch beim unangreifbaren Aristoteles. Vergessen wurde das erst im 19.Jh. nach Irvings Columbus-Erzählung).
die Kameraführung ist eine...
die Kameraführung ist eine Katastrophe, die Erzeugung von Pseudodynamik ist nicht nur nervig, vor allem komplett sinnlos und lenkt vom Geschehen, sprich den Dialogen einfach ab.
Ansonsten eine gelungene Sendung, die ja gar nicht mehr sein kann und will, als einen ersten Einblick in Architekturgeschichte zu geben und in dem Kontext ist das durchaus gelungen