Es sind sicher gerade keine leichten Tage für Fernsehnachrichtenmacher, vor allem nicht für die deutschen, die in Live-Schaltungen ständigen Kontakt zu ihren Korrespondenten in Japan halten mussten, während die bis zu ihrer Evakuierung auf Tokioter Häuserdächern festwurzelten, um von dort zu berichten, was sie beim Hörensagen von den japanischen Kollegen aufgeschnappt hatten.
Mit Betonung auf „uns“.
Während die Japaner also noch damit beschäftigt sind, ihr Land aufzuräumen und die Toten zu bergen, die das Erdbeben und der Tsunami am vergangenen Freitag zur Folge hatten, während rund um Fukushima die Sperrzone wegen des Atomunfalls ausgeweitet wird, wollte Sonja M. aus Bad Ingbert wissen: Wie sieht’s mit Fischstäbchen aus? „Das ist eine Frage, die häufig gestellt wird“, sagte WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn in der Sendung zum ARD-Wissenschaftsmann Ranga Yogeshwar, der sichtlich froh ist, endlich mal aus dem piefigen ARD-Vorabend rauszudürfen, jetzt ständig Angebersätze sagt wie „Ich hab da eine noch nicht verifizierte Information…“, am Sonntag schon bei Anne Will saß und im „Brennpunkt“ vorher mit einfachen Haushaltsgegenständen – einem Textmarker, einem Wasserglas und einem Sektkühler – in wenigen Sekunden die Kühltechnik japanischer Atomkraftwerke erklärt hatte.
„Die Natur ist ein Fressen und Gefressen werden“, sagte Yogeshwar nun am Montagabend, übersprang aber die Feinheiten der Nahrungskettenforschung und kam gleich zum Punkt: „Das Fischstäbchen von vor zwei Wochen ist genauso viel oder wenig kontaminiert wie das Fischstäbchen jetzt.“
Im Anschluss musste Yogeshwar sich die Aufmerksamkeit mit Sebastian Pflugbeil, dem Präsidenten der deutschen Gesellschaft für Strahlenschutz teilen, und das war nicht ganz ohne, weil Pflugbeil in der Fischfrage einen Tag vorher schon bei „RTL aktuell“ vorgelegt und auf die Frage, wie das mit der Kontamination aussehe, geantwortet hatte:
„Man wird gucken, wie sich das im Fischfang niederschlägt. Die Japaner essen viel Fisch.“
Mit einem geschickt eingewobenen Haushaltsvergleich gelang es dem „Wissen vor 8“-Moderator allerdings, Schönenborns Aufmerksamkeit wieder auf seine Seite zu ziehen: Das sei „wie beim Dampfkochtopf zuhause“ mit so einem Reaktor, sagte Yogeshwar: „Wenn zuviel Druck da ist, muss man Druck ablassen.“
Und da sagen die Leute sonst immer, Atomkraft sei kompliziert.
Und im Hintergrund ruft der Sohn des Ex-WDR-Intendanten bei CNN an? Moderator Schönenborn im Ersten
Zugegebenermaßen war es Yogeshwar, der auch deutlich darauf hinwies, dass es derzeit noch keine messbare Radioaktivität aus Japan in Deutschland gebe und dass völlig ungewiss sei, ob es überhaupt dazu komme – was Schönenborn registrierte, um es augenblicklich wieder zu ignorieren und weitere wichtige Fragen vorzulesen: Dürfen die Kinder draußen spielen? Soll ich Dosennahrung kaufen? Müssen wir damit rechnen, dass Japaner in Deutschland eine Gesundheitsgefahr sind, wenn sie mit dem Flugzeug gekommen sind? Um wieviel Cent steigt der Strompreis, wenn wir jetzt eigene Atomkraftwerke abschalten? Und, ganz wichtig:
„Man merkt an einigen Fragen, die Osterferien stehen vor der Tür: Alfons G. aus Borken fragt zum Beispiel: Wir wollen in Thailand Urlaub machen – können wir da unbesorgt hinfahren?“
So engagiert die ARD sonst auch über die Katastrophe in Japan informieren mag: Mit derartigen Sondersendungen trägt sie mehr zur Unsicherheit der Bevölkerung bei als zur Aufklärung.
Mindestens nämlich zur Unsicherheit, ob die Menschen eigentlich noch ganz klar im Kopf sind, wenn sie sich jetzt um ihr Mittagessen und ihren Urlaub Gedanken machen, während auf der anderen Erdhälfte gerade die Welt untergeht.
Ach, eines noch: Selbst nach 25 Jahren habe das Unglück von Tschernobyl im Jahr 1986 immer noch klarer erkennbare Konsequenzen für Deutschland als jetzt Japan, erklärte Yogeshwar. Im Süden etwa speicherten Trüffel die Radioaktivität und würden von Waldtieren gefressen. Wenn Sie sich deshalb bitte noch eines merken mögen für ihren nächsten Einkauf im Supermarkt: „Wildschweine in Süddeutschland sind heute immer noch problematisch.“
Guten Appetit. Und schöne Ferien.
Screenshot: Das Erste
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