Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Die Fischstäbchen sind sicher! Der Atom-Info-Reinfall der ARD

| 59 Lesermeinungen

Anlässlich des Atomunfalls in Japan hat die ARD am Montagabend eine Sendung fürs Volk ins Programm geschoben, in der Zuschauer ihre drängendsten Fragen an Experten stellen konnten: Soll ich Dosennahrung kaufen? Sind Japaner in Deutschland eine Gesundheitsgefahr? Und was ist mit meinem Urlaub?

Es sind sicher gerade keine leichten Tage für Fernsehnachrichtenmacher, vor allem nicht für die deutschen, die in Live-Schaltungen ständigen Kontakt zu ihren Korrespondenten in Japan halten mussten, während die bis zu ihrer Evakuierung auf Tokioter Häuserdächern festwurzelten, um von dort zu berichten, was sie beim Hörensagen von den japanischen Kollegen aufgeschnappt hatten.

Bild zu: Die Fischstäbchen sind sicher! Der Atom-Info-Reinfall der ARDAber die ARD hat es trotzdem fertig gebracht, nach all „Brennpunkten“ und Zusatz-„Tagesschau“-Ausgaben am Montagabend noch eine Sendung fürs Volk einzuschieben, in der Zuschauer per Telefon und Mail ihre Fragen an die eingeladenen Experten stellen konnten. Die Sendung hieß ja schließlich „Atom-GAU in Japan – Was heißt das für uns?“ (Video bei daserste.de ansehen).

Mit Betonung auf „uns“.

Während die Japaner also noch damit beschäftigt sind, ihr Land aufzuräumen und die Toten zu bergen, die das Erdbeben und der Tsunami am vergangenen Freitag zur Folge hatten, während rund um Fukushima die Sperrzone wegen des Atomunfalls ausgeweitet wird, wollte Sonja M. aus Bad Ingbert wissen: Wie sieht’s mit Fischstäbchen aus? „Das ist eine Frage, die häufig gestellt wird“, sagte WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn in der Sendung zum ARD-Wissenschaftsmann Ranga Yogeshwar, der sichtlich froh ist, endlich mal aus dem piefigen ARD-Vorabend rauszudürfen, jetzt ständig Angebersätze sagt wie „Ich hab da eine noch nicht verifizierte Information…“, am Sonntag schon bei Anne Will saß und im „Brennpunkt“ vorher mit einfachen Haushaltsgegenständen – einem Textmarker, einem Wasserglas und einem Sektkühler – in wenigen Sekunden die Kühltechnik japanischer Atomkraftwerke erklärt hatte.

„Die Natur ist ein Fressen und Gefressen werden“, sagte Yogeshwar nun am Montagabend, übersprang aber die Feinheiten der Nahrungskettenforschung und kam gleich zum Punkt: „Das Fischstäbchen von vor zwei Wochen ist genauso viel oder wenig kontaminiert wie das Fischstäbchen jetzt.“

Im Anschluss musste Yogeshwar sich die Aufmerksamkeit mit Sebastian Pflugbeil, dem Präsidenten der deutschen Gesellschaft für Strahlenschutz teilen, und das war nicht ganz ohne, weil Pflugbeil in der Fischfrage einen Tag vorher schon bei „RTL aktuell“ vorgelegt und auf die Frage, wie das mit der Kontamination aussehe, geantwortet hatte:

„Man wird gucken, wie sich das im Fischfang niederschlägt. Die Japaner essen viel Fisch.“

Mit einem geschickt eingewobenen Haushaltsvergleich gelang es dem „Wissen vor 8“-Moderator allerdings, Schönenborns Aufmerksamkeit wieder auf seine Seite zu ziehen: Das sei „wie beim Dampfkochtopf zuhause“ mit so einem Reaktor, sagte Yogeshwar: „Wenn zuviel Druck da ist, muss man Druck ablassen.“

Und da sagen die Leute sonst immer, Atomkraft sei kompliziert.

Bild zu: Die Fischstäbchen sind sicher! Der Atom-Info-Reinfall der ARD
Und im Hintergrund ruft der Sohn des Ex-WDR-Intendanten bei CNN an? Moderator Schönenborn im Ersten

Zugegebenermaßen war es Yogeshwar, der auch deutlich darauf hinwies, dass es derzeit noch keine messbare Radioaktivität aus Japan in Deutschland gebe und dass völlig ungewiss sei, ob es überhaupt dazu komme – was Schönenborn registrierte, um es augenblicklich wieder zu ignorieren und weitere wichtige Fragen vorzulesen: Dürfen die Kinder draußen spielen? Soll ich Dosennahrung kaufen? Müssen wir damit rechnen, dass Japaner in Deutschland eine Gesundheitsgefahr sind, wenn sie mit dem Flugzeug gekommen sind? Um wieviel Cent steigt der Strompreis, wenn wir jetzt eigene Atomkraftwerke abschalten? Und, ganz wichtig:

„Man merkt an einigen Fragen, die Osterferien stehen vor der Tür: Alfons G. aus Borken fragt zum Beispiel: Wir wollen in Thailand Urlaub machen – können wir da unbesorgt hinfahren?“

So engagiert die ARD sonst auch über die Katastrophe in Japan informieren mag: Mit derartigen Sondersendungen trägt sie mehr zur Unsicherheit der Bevölkerung bei als zur Aufklärung.

Mindestens nämlich zur Unsicherheit, ob die Menschen eigentlich noch ganz klar im Kopf sind, wenn sie sich jetzt um ihr Mittagessen und ihren Urlaub Gedanken machen, während auf der anderen Erdhälfte gerade die Welt untergeht.

Ach, eines noch: Selbst nach 25 Jahren habe das Unglück von Tschernobyl im Jahr 1986 immer noch klarer erkennbare Konsequenzen für Deutschland als jetzt Japan, erklärte Yogeshwar. Im Süden etwa speicherten Trüffel die Radioaktivität und würden von Waldtieren gefressen. Wenn Sie sich deshalb bitte noch eines merken mögen für ihren nächsten Einkauf im Supermarkt: „Wildschweine in Süddeutschland sind heute immer noch problematisch.“

Guten Appetit. Und schöne Ferien.

Screenshot: Das Erste

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59 Lesermeinungen

  1. murry sagt:

    Yogeshwar tut mir eigentlich...
    Yogeshwar tut mir eigentlich ein bischen leid, er ist in meinen Augen zur Zeit einer der Besten im Wissenschaftsfernsehen in Deutschland. Leider muss er seine Zeit bei der ARD als Sidekick von Frank Elstner in erbärmlichen Wissenschaftsshows fristen oder in Sondersendungen dümmliche Zuschauerfragen beantworten.

  2. Ich finde es völlig in...
    Ich finde es völlig in Ordnung, sich zu fragen, ob und inwiefern die Katastrophe von Japan einen selbst persönlich betrifft. Und stellt man eben solche, für manche banal wirkende Fragen.
    Das bedeutet noch lange nicht automatisch, dass man mit den direkt betroffenen in Japan nicht mehr mitfühlt.

  3. Matze sagt:

    Die Frage in der...
    Die Frage in der Bildunterzeile verstehe ich nicht – Pleitgen ist doch schon länger CNN-Reporter. Im Übrigen kann die ARD nicht für die Fragen ihrer Zuschauer verantwortlich gemacht werden, und die Antworten waren alles andere als dümmlich.
    Matze

  4. Alexander sagt:

    Schade, dass wir uns in Peers...
    Schade, dass wir uns in Peers Welt entscheiden müssen, ob wir entweder Trauer und Mitgefühl für die Opfer in Japan haben oder ob wir uns Sorgen um die Auswirkungen der Katastrophe auf unser Leben und unseren Alltag machen.
    Mist, dass er uns nicht beide Gedankengänge gleichzeitig gestattet 🙁

  5. dermax sagt:

    Muss mich Streck anschliessen,...
    Muss mich Streck anschliessen, mit der gleichen Argumentation kann man ja auch den Verkehrsfunk ausschalten, weils ja wohl grade unerheblich ist, ob jemand etwas länger von A nach B braucht, wenn der Grund ein schwerer Verkehrsunfall mit Opfern ist…

  6. O.G. sagt:

    zur Bildunterschrift: Frederik...
    zur Bildunterschrift: Frederik Pleittgen ist der Sohn des ehemaligen WDR Intendanten, allerdings auch Auslandskorrespondent bei CNN.

  7. Sebastian sagt:

    Ich sehe das ähnlich wie M....
    Ich sehe das ähnlich wie M. Streck. Für einen „Atomexperten“ mögen viele der Fragen „naiv“ und „unnötig“ sein, aber viele Menschen sind eben keine Experten und es ist völlig legitim, dass sie sich fragen, ob und welche Auswirkungen das Ganze für unser Alltagsleben hier haben mag. Die Leute sollte man dann informieren und beruhigen, statt sie als dumm abzubügeln und zu verunsichern.

  8. Chica sagt:

    "Es sind sicher gerade keine...
    „Es sind sicher gerade keine leichten Tage für Fernsehnachrichtenmacher, vor allem nicht für die deutschen, die in Live-Schaltungen ständigen Kontakt zu ihren Korrespondenten in Japan halten mussten, während die bis zu ihrer Evakuierung auf Tokioter Häuserdächern festwurzelten, um von dort zu berichten, was sie beim Hörensagen von den japanischen Kollegen aufgeschnappt hatten.“
    >> Besser kann man die deutsche Berichterstattung aus Japan nicht zusammenfassen. Vielen Dank dafür!

  9. Doby sagt:

    Was für ein Schwachfug. Was...
    Was für ein Schwachfug. Was ist daran verwerflich, sich über die Dinge Gedanken zu machen, die einen persönlich betreffen? Leute, die sich fragen, ob unsere Nahrung künftig sicher ist haben ein Recht dies zu tun, auch wenn es den Japanern gerade sehr viel übler geht.
    Genausogut könnte man den Japaner sagen, sie mögen sich nicht so anstellen, von wegen Haus und Eigentum weg, denn so richtig dreckig geht es den 50 totgeweihten Arbeitern, die versuchen das AWK zu retten.
    Soll ich aufhören, bewußt zu leben, nur weil ich kein Japaner bin? Warum wird einem gleich mangelnde Empathie unterstellt wenn man sich über das eigene Wohlergehen sorgt?

  10. Spare audere sagt:

    M. Streck, ich dachte, die...
    M. Streck, ich dachte, die Zielgruppe, die augenscheinlich mit solcher Art Informationen angepeilt wird, die gäbe es gar nicht. Ich dachte: „Hey, verschwendet nicht meine Gebührengelder mit diesem Dummfug“! Das sehe ich nun, dank Ihnen M. Streck, anders. Ich finde, es ist wichtig, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Ja, auch Sie M. Streck! Sie sind ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft und werden nicht zurückgelassen. Das verspreche ich Ihnen. Wir kümmern uns um sie. Und wenn der Ranga den ganzen Tag mit Ihnen Nachhilfe machen muss! Wir schaffen das! Ich bin mir sicher.

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